Im Wahlkampf 2008 haben Sie die Losung "Genug gestritten" ausgegeben. Ein Refrain, der angesichts des Zustandes der Regierung nur noch müdes Lächeln hervorruft. Oder Zorn.
WERNER FAYMANN: Was man der Regierung doch zugestehen muss, ist: Sie hat in der Krise die richtigen Entscheidungen getroffen. Jetzt geht es darum, aus der Krise herauszuführen, eine harte Aufgabe. Wir wissen nicht, wie sich die Ukraine-Krise auswirkt. Wir können nicht sagen, wie sich das Wirtschaftswachstum entwickelt. Und da zeigt sich die Regierung als stabiler Faktor. Kaum hat die Regierung eine Meinungsverschiedenheit, entweder durch Wichtigtuerei von irgendjemandem oder eine wirklich inhaltliche Frage, bekommt das in der Öffentlichkeit eine Dimension eins zu hundert. Sie arbeitet viel stärker zusammen, als dies von Medien dargestellt wird.
Die Regierung, ein Medienopfer?
FAYMANN: Sie hat in den nächsten zwölf Monaten ein großes Thema zu lösen, das ist die Steuersenkung. Das muss man schaffen. Wir müssen die Steuern auf Arbeit senken. Wer die Diskussion der letzten Tage zur Grundsteuer oder Gegenfinanzierung beobachtet, merkt: Es gibt Bewegung.
In der deutschen Regierung gönnt man sich untereinander Erfolge. Warum in Ihrer nicht? Perlt die harsche Kritik eines Lopatka bei Ihnen ab?
FAYMANN: Das perlt völlig ab. Wichtigtuerei kann ich nicht leiden. Was an mir nicht abprallt, ist der Unterschied zu Deutschland. Tatsächlich können wir uns, Journalisten und Politiker, die Hand geben. Es gibt in Deutschland im Journalismus einen deutlich größeren Respekt, trotz harter Kritik an der Politik. Ich werde oft von deutschen Journalisten interviewt. Und ich kann Ihnen sagen, es ist ein enormer Unterschied: Eine Frage in Deutschland ist hart, aber man akzeptiert die Antwort. In Österreich hat es sich eingebürgert, erst zufrieden zu sein, wenn die Herabwürdigung - ich sage das für beide Berufsgruppen - ans Äußerste geht.
Bestehen Sie darauf, dass die Steuerreform 2015 in Kraft tritt?
FAYMANN: Der Zeitplan ist, die Steuerreform im März ins Parlament zu bringen und im Juli zu beschließen. Wir haben also zwölf Monate, das fair und vertraulich auszudiskutieren.
Wie kompromissbereit sind Sie? Wann ist die Steuerreform wichtiger, wann die Koalition?
FAYMANN: Wichtig ist, die Steuer auf Arbeit zu senken. Jetzt hat die ÖVP gesagt, die Grundsteuer ist diskutabel. Einige in der ÖVP haben gesagt, eine Erbschaft- und Schenkungsteuer mit Ausnahmen für kleine Vermögen und Betriebe sei ebenfalls, worüber man reden könne. Warum soll ich jetzt dem Koalitionspartner etwas ausrichten? Ich gehe davon aus, auch er möchte, dass wir nächstes Jahr vor die Öffentlichkeit treten und sagen, wir haben es geschafft, die hohen Steuern auf Arbeit zu senken.
Gerhard Schröder hat sich in Deutschland mit seiner Reform in die Geschichte eingetragen. Das Land profitiert heute noch. Warum ermutigt Sie das nicht, auch das Große zu wagen?
FAYMANN: Reformen müssen quer durch die Verwaltung spürbar sein. Da gehören auch die Bundesländer dazu. Wenn wir wissen, dass der Bund ein Steueraufkommen von 79 Milliarden hat und die Länder über den Finanzausgleich 33 Milliarden bekommen, sieht man, dass nur gemeinsam etwas geht. Das ist schwierig in einem Land, das stolz ist auf regionale Eigenständigkeit.
Schröders "Agenda 2010" ist in einem durch und durch föderalistischen Land gelungen.
FAYMANN: Deutschland ist aber größer, stärker. Bayern alleine würde nie eine föderalistische Finanzstruktur unkontrolliert aufsetzen, wie es bei uns da und dort der Fall ist. Der Rechnungshofpräsident hat es bestätigt: Es gebe keine Übersicht. Es gebe noch immer abgedunkelte Räume. Föderalismus kann doch nicht heißen, dass etwa das Land Kärnten bei einer Bank so hohe Haftungen übernimmt, dass jetzt die Republik zahlen muss. Wir wissen zur Stunde nicht, welche Risiken die Länder haben und wie ihre Finanzen wirklich ausschauen. Also muss Transparenz her.
Das Ziel lautet also, den bis 2016 laufenden Finanzausgleich neu aufzusetzen?
FAYMANN: Ja, absolut. Das ist eines unserer Hauptthemen.
In Kombination mit einer Steuerhoheit der Länder?
FAYMANN: Das ist in einzelnen Bereichen durchaus denkbar. Wenn es so etwas wie eine Bandbreite gibt, in der die Länder oder auch die Gemeinden Steuersätze zum Beispiel bei der Grundsteuer festlegen können, dann kann man darüber reden. Was wir nicht wollen, ist, dass ein Betrieb einen eigenen Steuerberater zusätzlich anstellen muss, weil in jedem Bundesland, in dem er tätig ist, ganz andere Steuern existieren.
Sind Sie dafür, die Sanktionen gegen Russland zu verschärfen?
FAYMANN: Ich verspreche mir von Sanktionen nicht allzu viel. Damit erreicht man keine Deeskalation. Wichtiger wäre es, durch Grenzkontrollen dafür zu sorgen, dass es keinen Nachschub von Kriegsgeräten für die Separatisten gibt. Ziel muss es sein, in gemeinsamen Verhandlungen zu einer Waffenruhe zu kommen, damit Blauhelme oder andere Friedensmissionen dorthin dürfen. Ohne Waffenstillstand und UN-Mandat keine Blauhelme.
Wird Österreich verschärfte Sanktionen mittragen?
FAYMANN: Wir haben immer die europäische Verfahrensweise mitgetragen. Wir gehören aber nicht zu jenen, die ständig diese Sanktionskeule schwingen, in dem Vertrauen, das würde das Problem lösen. Wir sagen, das ist das letzte Mittel, um einen Druck zu erhöhen, und der wird sorgsam angewendet. Österreich hat sich da nie an die Spitze gestellt.
Würde sich Österreich an einer Blauhelmmission in der Ostukraine beteiligen?
FAYMANN: Natürlich. Aber ein Waffenstillstand und ein UN-Mandat sind die Voraussetzung dafür. Und von einem solchen sind wir weit entfernt.