Der straffe Wind bläst ein unablässiges Dröhnen und dumpfes Hämmern in die Bucht. Der Lärm stammt von riesigen Lastschiffen, Montageplattformen und Rangierbooten, die draußen auf dem Meer im Hochbetriebsmodus am Werken sind. Sie bauen an Kroatiens größtem Infrastrukturprojekt – der Peljesac-Brücke, benannt nach der Halbinsel, die sich 44 Kilometer nördlich von Dubrovnik wie ein Splitter vom Festland in die zu dieser Jahreszeit noch kühle Adria streckt.

Chinesischer Transport- und Montageschiffe
Chinesischer Transport- und Montageschiffe © Höfler
Unter chinesischer Flagge
Unter chinesischer Flagge © Höfler

Die schon seit 2007 geplante Brücke wird die südkroatische Gespanschaft Dubrovnik-Neretva aus ihrer bisherigen Enklaven-Lage befreien und mit dem Rest Kroatiens verbinden. Bisher liegt ein gerade einmal 20 Kilometer schmaler Streifen Bosnien und Herzegowina rund um die Transit- und Touristenhochburg Neum dazwischen. Dass es sich dabei um Bosniens einzigen Zugang zum Meer handelt, ist trotz bilateraler Grenzstreitigkeiten um zwei Felsen im Wasser zweitrangig. Primär pikant ist das Staatsflächenmosaik, weil es sich um eine EU-Außengrenze handelt. "Will man vom Norden auf dem Landweg nach Dubrovnik, kann das stundenlange Grenzwartezeiten inkludieren", klagt Dubrovniks Bürgermeister Mato Frankovic. Das senke die Lebensqualität der Bevölkerung in der Region. Mehr Touristen in seiner ohnehin von Gästen hochfrequentierten Stadt erwartet er nicht: "Zu 85 Prozent kommen sie schon jetzt mit dem Flugzeug." Mit der Brücke soll es künftig jedenfalls auch am Landweg deutlich schneller Richtung Süden gehen.

Chinesische Baufirma...

Noch ist von ihr aber außer ein paar massigen Stahlpoller, die aus dem Wasser spitzeln, nicht viel zu sehen. Trotzdem sorgt das Bauwerk schon für mächtig Gesprächsstoff. Es ist ein buntes Potpourri aus Hoffnung und Bedenken, Neugier und Gleichgültigkeit, Zuversicht und Ärger. Dieses Gefühlsgemisch hat viele Gründe. Und einen Namen: China.
Denn es ist das Staatsunternehmen China Road and Bridge Corporation (CRBC), das hier baut. Es sind chinesische Ingenieure, die hier arbeiten. Es ist ein chinesisches Motivationsmantra, das am Ufer hinter dem gut zweieinhalb Meter hohen Absperrzaun zu sehen ist: „Wir erhöhen das Bewusstsein für den Umweltschutz und bauen eine ökologische Brücke“, steht in weißen Schriftzeichen auf dem knallroten Stoffband. Es sind chinesische Zigarettenstummel, die am Strand zu finden sind. Es ist die chinesische Flagge, die auf den Montageschiffen weht, während diese kohlschwarze Dieselwolken in den Himmel speien.

... europäisches Fördergeld

Aber es ist europäisches Fördergeld, mit dem das Projekt realisiert wird. Exakt 357,284407 Millionen Euro – das sind 85 Prozent der Projektkosten – schießt Brüssel als Kofinanzierung zu. Ein Deal, der im Allgemeinen Symbolkraft besitzt – und Sprengkraft im Detail. Denn die Auftragsvergabe an die CRBC verlief nicht ohne lauten juristischen Zwist. Zuerst wurde das Angebot eines italienisch-türkischen Bündnisses über 2,55 Milliarden Kuna aufgrund ungültiger Bankgarantien abgelehnt. Dann ging auch der österreichische Baukonzern Strabag mit seinem Angebot über 2,62 Milliarden Kuna – rund 353 Millionen Euro – leer aus. Die chinesische CRBC blieb mit nur 2,08 Milliarden Kuna nämlich deutlich unter den Mitbewerbern und bekam den Zuschlag. Seither wird gebaut. Und geklagt.

Strabag-Klage gegen Vergabe

Die Strabag beeinspruchte die Vergabeentscheidung. – Ohne Erfolg.
Die Strabag brachte beim Verwaltungsgericht Zagreb Klage gegen die Entscheidung der „Staatlichen Kommission zur Überwachung von öffentlichen Vergabeverfahren“ ein und forderte eine Annullierung. – Die Klage ist noch anhängig. „Weitere Informationen liegen uns derzeit nicht vor“, heißt es aus der Strabag-Zentrale.
Die Strabag hat auch die Beteiligung der Chinesen an der Ausschreibung hinterfragt, wo es doch kein entsprechendes Abkommen zwischen der EU und China gebe. – Gibt es nicht, braucht es aber auch nicht. Es reicht eine bilaterale Einladung Kroatiens für die Abwicklung konkreter Infrastrukturprojekte. Diese scheint es zu geben.
Die Strabag äußerte auch bei der EU-Kommission Zweifel, ob die Anti-Dumping-Regeln eingehalten wurden, die vor Billigimporten aus China schützen sollen. Allein für die Stahlseile der 2,4 Kilometer langen und 55 Meter hohen Schrägseilbrücke kalkulierte die Strabag 9,5 Millionen Euro. – Das chinesische Staatsunternehmen kommt mit 4,5 Millionen aus.

Chinesische Begrüßungsformel am Ortseingang von Komarna
Chinesische Begrüßungsformel am Ortseingang von Komarna © Höfler

Komarna, eine überschaubare Ansammlung von Häusern am östlichen Brückenkopf, hat sich jedenfalls auf die Gastarbeiter aus Fernost eingestellt. An der Ortstafel, die das touristische Angebot mit Symbolbildern großspurig anpreist, steht neben dem kroatischen „Dobro do(s)li“ auch eine chinesische Begrüßungsformel.
Es ist einer dieser aufregungslosen Küstenorte, die abseits des Sommers und seiner Urlaubsgäste wie ausgestorben wirken. Gerade einmal 60 Einheimische wohnen hier. Keine Shops, keine Restaurants, eine Handvoll Ferienappartements. Es dominieren Sackgassen zum Meer oder ins Nichts, die wie verödete Lebensadern den Ort an seinen Rändern ausrinnen lassen.

Arbeiter aus Peking

Eine dieser Schlaglochpisten führt zur Beach-Bar Uvala. Mitte April ist hier alles auf Neben- oder besser Nullsaison gebürstet. Die weißen Holzbänke und -tische schlummern aufgestapelt um die zentrale Hütte. Plastikplanen mit dem Logo der lokalen Biermarke verhängen die Bar, ein Werbeständer, auf dem „Fish Picnic“-Exkursionen angepriesen werden, lehnt lustlos in der Ecke. An den blau-gelben Fitnessgeräten, die in die Steine in Strandnähe verschraubt sind, verraten Spinnweben, dass hier eine gefühlte Ewigkeit niemand mehr geschwitzt hat.
Nur draußen auf dem Meer, da wird gearbeitet, als gäbe es weder Sonntagsruhe, Osterfrieden noch Mittagspause. Mit den Wellen schwappen chinesische Kommandos von der wuchtigen Kranplattform Richtung Ufer. Arbeiter huschen vorbei. „Aus Peking“, antwortet einer auf die Frage nach dem Woher in bestem Englisch. „No idea“, heißt es, wenn man die Dauer des Aufenthalts wissen will. Die Fertigstellung der Brücke wird jedenfalls mit Jänner 2021 angegeben.
Die Baufirma hat mitgerechnet. Die Dauermiete eines kleinen Hotels im Nachbarort wäre teurer gekommen als der Kauf. Das Haus hat jetzt chinesische Besitzer, will ein Mann wissen, der sich mit seiner Familie in die kleine Bucht verirrt hat. Seine beiden kleinen Kinder interessieren sich weder für die zwei gelben Tretboote, die am Strand herumlungern, noch für die Transportschiffe, auf denen sich draußen auf dem Meer die Stahlpoller stapeln. Einer nach dem anderen werden sie in kroatischen (Meer-)Boden gerammt. Wie Standarten zum Zeichen der Landnahme. Und so etwas Ähnliches ist es ja auch.

China investiert 13 Milliarden Euro

China ist, hochgerüstet mit galaktischer Finanzkraft, auf seinem wirtschaftspolitischen Eroberungsfeldzug rund um den Globus auch in Europa im Vormarsch. Nicht nur, aber gerade auch in Ost- und Südosteuropa werden strategische und operative Investments getätigt. Klotzen statt Kleckern, lautet die Devise mit den Devisen.
Als Rahmen für diese Aktivitäten hat sich 2012 die „16 plus 1“-Initiative gegründet.

Unter diesem Dach versammeln sich sechzehn osteuropäische Länder, die wirtschaftlich, kulturell und im Bildungsbereich mit China zusammenarbeiten. Priorität hat allerdings die Infrastruktur. Insgesamt sollen 13 Milliarden Euro von China in diesen Raum investiert werden – als Teil der „neuen Seidenstraße“, mit der sich Peking Handelswege bis ins Wohlstandsherz Europas aufbaut. Die Investitionen auf der diesbezüglich alles andere als geschlossenen Balkanroute haben aber schon lange vor der „Ein Gürtel – eine Straße“-Initiative begonnen. So kaufte sich die China Ocean Shipping Company bereits 2009 den Hafen von Piräus in Griechenland, für Chinas Staatschef Xi Jinping „das Tor zu Europa“.
Auch der Flughafen in Albaniens Hauptstadt Tirana hat chinesische Eigentümer. In Serbien hat ein Konsortium aus China Railway International und China Communications Construction Company den 943-Millionen-Euro-Auftrag zum Bau einer 110 Kilometer langen Hochgeschwindigkeitseisenbahn zugesprochen bekommen. Die Strecke soll Teil der geplanten Verbindung Belgrad–Budapest sein, an der andernorts ebenfalls chinesische Firmen arbeiten. Aus einem 760-Millionen-Euro-Kraftwerksprojekt in Bosnien zogen sich die chinesischen Investoren allerdings im September 2018 zurück. Dafür ist der kroatische Hafen Zadar, wo gerade ein futuristisches Passagierterminal gebaut wird, in chinesischer Hand, auch am Hafen von Rijeka zeigt man Interesse. Die prestigeträchtige Peljesac-Brücke ist ein weiteres Juwel dieser Perlenkette.

Kritik an "Projekt des Friedens"

Beim gemeinsamen Besuch auf der Baustelle vor zwei Wochen sprach Kroatiens Ministerpräsident Andrej Plenkovic in Anwesenheit seines chinesischen Amtskollegen Li Keqiang von einem „Projekt des Friedens und der Sicherheit“. In den europäischen Hauptstädten wird die chinesische Offensive allerdings mit Misstrauen und Sorge beobachtet.
Zuletzt meldete sich EU-Kommissar Johannes Hahn mahnend zu Wort: „Der Einfluss Chinas am Balkan wird unterschätzt.“ Die Länder im Südosten Europas würden sich bei den Chinesen stark verschulden, um die Erneuerung ihrer notleidenden Infrastruktur zu finanzieren. Wenn aber die Darlehen nicht zurückbezahlt würden, würden die Anlagen später in chinesischen Besitz überführt. Davor hatte sich Hahn schon als kulturapokalyptischer Reiter versucht. „China war sehr erfolgreich darin, sich als ein Land zu präsentieren, das nur geschäftliche Interessen verfolgt“, so Hahn: „Aber das Gegenteil ist der Fall.“ China exportiere ein Gesellschaftsmodell, das es auch in Europa salonfähig machen möchte. Die europäische Marktwirtschaft sehe sich von einer Mischung aus Diktatur und Turbokapitalismus herausgefordert.

Neue Straße, neue Stromleitung

In Brijesta ist von brutaler Hochgeschwindigkeitswirtschaft nichts zu merken. Das abgewohnt wirkende Fischerdorf liegt versteckt in einer Bucht auf der Halbinsel, an deren Stirnseite der westliche Brückenkopf entsteht. Die kurvige, holprige Straße durch die dalmatinische Küstenvegetation lässt gerade einmal einem Auto Platz. Bis sie sich kurz nach dem Ortsschild plötzlich weitet. Rechts auf den Hügel führt ein breiter, frisch asphaltierter Weg, begleitet von einer ebenfalls neuen Strommasten-Galerie: Es ist die für Außenstehende gesperrte Versorgungsader zur Baustelle auf dieser Seite der Brücke.

Austernfischer in der Nähe der Baustelle
Austernfischer in der Nähe der Baustelle © Höfler

Auf halber Höhe parken zwei Bagger. Unten glitzern die Austernbänke im seichten Wasser der Bucht. In einem Zeltverschlag im Hafen sitzt eine Familie und putzt die vom Vater gerade herausgefischten, drei Jahre alten Muscheln mit Bürsten. Die Brücke ist dem wortkargen Mann eher egal. Wie auch den Bediensteten auf der Fähre, die weiter im Norden, zwischen Ploce auf dem Festland und Trpanj auf Peljesac, Touristen mit ihren Autos hin- und hertransportiert. „Weniger werden es nicht werden“, sagt der Mann mit der zigarettengeräucherten Stimme. Das glauben auch die beiden Polizisten, die sich im Hafen von Trpanj einen Kaffee gönnen. Vor ihnen döst ein Hund mitten auf der Straße. Osterfrieden ohne Baustellenlärm.