Immer zäher waren die zuletzt Gesprächsrunden geworden, das Ende kam dann aber doch überraschend. Die Schweiz teilte in einem durch Staatssekretärin Livia Leu persönlich und formell an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen überbrachten Schreiben mit, dass sie die Verhandlungen über einen neuen Rahmenvertrag abbricht.

Von „sieben vergeudeten Jahren“ spricht Andreas Schwab (CDU), Vorsitzender der Schweiz-Gruppe im EU-Parlament. So lange hatten die Bemühungen gedauert, die Beziehungen zwischen den Eidgenossen auf eine neue, bessere Basis zu stellen. Doch zu weit lagen die Vorstellungen auseinander. Natürlich ist auch in der Europäischen Union nicht alles nur Milch und Honig. Doch wer teilhaben will an den Vorzügen der Union, muss auch einen Teil seiner Eigenständigkeit aufgeben. Die Schweiz wollte zwar einige ihrer Gesetze an EU-Recht anpassen, aber das kann man sich dann nicht einfach nach Belieben aussuchen. Für die Kommission ist klar: man kann nur dann vom EU-Binnenmarkt profitieren, wenn man sich so wie alle anderen an alle Regeln hält.

Doch diese Regeln – eine Übernahme des Rechtssystems, Schiedsgerichte mit dem EuGH im Hintergrund, Regelungen für Staatsbeihilfen, Lohnschutz usw. – wollten die Schweizer nicht akzeptieren. Die Befürchtung, das „stille 28. Mitgliedsland“ der EU zu werden und dafür Souveränität aufzugeben, war offensichtlich größer, als der Griff nach den Vorteilen.

Die Folgen dieser Entscheidung werden erst nach und nach sichtbar werden. Die Schweiz ist schon bisher mit rund 120 bilateralen Verträgen an die EU gebunden, das wird vorerst so bleiben. Auch der Beitrag, den die Schweizer dafür leisten – die sogenannte „Kohäsionsmilliarde“ – wird wohl bezahlt werden, die Schweiz möge sich, so die Meinung in Brüssel, auch am EU-Budget beteiligen, um wenigstens am Forschungsrahmenprogramm Horizon Europe teilnehmen zu können.

Aber einzelne Auswirkungen werden dennoch schon jetzt sichtbar. Der Verbandspräsident der Schweizer Wirtschaft wies schon einmal besorgt darauf hin, dass in zwei Jahren jene Verträge auslaufen, die für die Elektro- und Metallindustrie wichtig sind, ein Kern-Wirtschaftszweig, der 55 Prozent in die EU liefert. Und sogar um die Stromversorgung der Schweiz macht man sich Sorgen, laut FAZ warnt der Netzbetreiber Swissgrid davor, ohne neue Abkommen würde der Ausschluss aus dem „Regelenergiemarkt“ drohen. Neue Abkommen sind aber mit Abbruch der Verhandlungen derzeit nicht mehr machbar.

Keine Anerkennung von Medizinprodukten

Eine ganz konkrete Auswirkung gab es innerhalb weniger Stunden: Die Kommission teilte heute mit, dass die gegenseitige Anerkennung und die damit verbundenen Handelserleichterungen für Medizinprodukte zwischen der EU und der Schweiz ab dem 26. Mai nicht mehr gelte. Dies hängt mit der neuen Verordnung über Medizinprodukte zusammen, die am selben Tag in der EU in Kraft tritt. Das Abkommen (MRA) sei eines der wichtigsten Abkommen zwischen der EU und der Schweiz, das den bilateralen Handel in einer Reihe von Schlüsselbereichen erleichtert. Für die Schweiz heißt das vor allem kompliziertere Abläufe und hohe Kosten – es ist die Rückstufung auf den Drittland-Status.

Nun müssen Bern und Brüssel nach all den Jahren zurück an den Start. Der Rückzug der Schweiz vom Verhandlungstisch löst kein Problem, er schafft nur neue.