Gestern habe ich den Kanzler versetzt. Wahrscheinlich ist es ihm nicht aufgefallen, bei Pressegesprächen verbergen wir uns alle ja nach wie vor hinter den Masken und da muss man schon immer ganz genau schauen, wer jetzt da ist und wer nicht. Gekommen ist das so: Im Verlauf eines EU-Gipfels trifft man das eine oder andere Mal mit dem Regierungschef zusammen, Information aus erster Hand gewissermaßen, weil dabeisein kann man ja nicht. Diesmal mussten selbst die Staats- und Regierungschefs und alle Mitarbeiter ihre Handys beim Eingang des großen bunten Saales im Ratsgebäude abgeben – unklar, ob es dabei ums „Durchsickern“ von Neuigkeiten gegangen ist oder ob man Sorge hatte, dass Putin und Lukaschenko mithören könnten.

Jedenfalls ist das vor Beginn eines Gipfels leichter und entspannter, weil gut geplant. Am Montag gab es dann sogar noch Zeit für ein Hintergrundgespräch, das glitt dann ein wenig in eine Mediendiskussion ab, war aber vom Timing her sehr angenehm. Gestern aber lief es anders, man weiß nie genau, wann so ein Gipfel aus ist und dann muss plötzlich alles sehr schnell gehen. Ich hatte genau 24 Minuten Zeit von der Verständigung bis zum Kanzlertermin und das geht sich knapp aus wenn man sein Homeoffice am Stadtrand hat, 21 Minuten mit dem Auto ins EU-Viertel als langjähriger Schnitt, da kann man noch drei Minuten verschnaufen bis es losgeht. Gestern aber nicht, weil ich wider besseres Wissen die an sich schnellere, aber an Gipfeltagen definitiv falsche Route wählte.

Der kurze Tunnel, der von der N23 direkt in die Avenue Cortenbergh führt, wo die Ständige Vertretung Österreichs ihren Sitz hat, ist an Gipfeltagen gesperrt. Drei Sekunden, nachdem ich in diese Richtung abgebogen war, wurde mir das bewusst und es war bereits zu spät. Ich stand folglich im Stau, als Sebastian Kurz über den zweiten Gipfeltag zu referieren begann und stand immer noch im Stau, als der Konvoi der österreichischen Delegation längst schon zum Flughafen unterwegs war und lange danach immer noch. Kanzlers kennen das Phänomen aneinandergereihter Stehzeuge nicht, sie haben Polizeieskorte und schaffen es zwischen Ratsgebäude und Airport in exakt 16 Minuten, egal, ob Tunnel gesperrt sind oder nicht. Für mich gab es kein Licht am Ende des Tunnels.

Dabei war der zweite Tag eh nicht so dramatisch wie der erste, der neue Streit ums Klima hat gerade erst begonnen und ist noch diffus, Russland haben sie vertagt und über Corona und Brexit, kommt einem vor, ist schon mehr gesagt worden, als ein Einzelner vertragen kann. Der wilde Tag war eindeutig der Montag, da hat Luftpirat Lukaschenko nicht nur eine Ryanair, sondern gleich den ganzen Gipfel in Beschlag genommen. Das war auch irgendwie schlechtes Timing (also aus Despotensicht), weil so ein Gipfel kann dann ja gar nicht anders, als auf der Stelle zu reagieren. Zwei Tage später, und es hätte wieder Wochen gedauert, bis sich die EU zu einer Antwort zusammengefunden hätte. So aber quollen Twitter und der Maileingang vom ersten Augenblick an schon über mit scharfen Verurteilungen.

Also nicht nur. Verkehrskommissarin Adina Valean wählte ihre Worte, nun, nicht weise. Als das Flugzeug nach Stunden endlich weiterfliegen konnte – ohne den Oppositionellen Roman Protassewitsch und dessen Freundin Sofia Sapega, die bereits auf dem Weg in eines der gefürchteten Gefängnisse waren – säuselte Valean glücklich: „Großartige Nachrichten, vor allem für die Familien und Freunde von allen an Bord.“ Viel daneben-er kann man nicht sein. Die Nachricht steht heute noch auf dem Account der rumänischen Kommissarin, und dass sie kurz darauf dazugeschrieben hat, man müsse nun schauen, was tatsächlich passiert sei und es werde Konsequenzen geben, macht es auch nicht besser.

Die Twitternachrichten der Kommissarin bekommen üblicherweise keine Antworten oder nur einige wenige – der missratene Text kam (Stand heute Nachmittag) auf weit über 4000 Kommentare und wurde 3000mal geteilt. Trending now – auch die Rücktrittsaufforderungen, was kein Wunder ist.