Viktor Orban macht, was er will – ob das nun in die Grundwerte der Europäischen Union passt, oder nicht. Ungarn ist nach wie vor Mitglied der EU und geht permanent auf Konfrontationskurs, obwohl es bereits mehrere EuGH-Verurteilungen gibt und ein Rechtsstaats-Verletzungsverfahren nach Artikel 7 anhängig ist. Diesmal aber könnte Orban zu weit gehen: Weil ihm das nun in wochenlangen Sitzungen ausverhandelte Instrument zur Konditionalität bei der Vergabe der EU-Mittel nicht gefällt, droht er mit einer Blockade des diese Woche unter großer allgemeiner Erleichterung abgeschlossenen Finanzpakets. Das könnte nicht nur die dringend erwarteten Coronahilfen für alle anderen Länder massiv verzögern, sondern auch zum Bumerang für Ungarn werden.

Zwei riesige Finanzpakete, die aneinander geknüpft sind, wurden diese Woche von EU-Parlament, Rat und Kommission beschlossen: der langjährige Finanzrahmen MFR, der für die kommenden sieben Jahre das gesamte EU-Budget in Höhe von 1074 Milliarden regelt, und das damit verbundene Corona-Wiederaufbauprogramm in Höhe von 750 Milliarden Euro, auf das besonders betroffene Länder wie Spanien, Italien oder Frankreich schon dringend warten. Einer der zentralen Punkte des Abkommens ist die Konditionalitätsregelung. Sie soll es ermöglichen, EU-Gelder zu kürzen, wenn in einem Mitgliedsland zum Beispiel wegen mangelnder Unabhängigkeit der Justiz oder Einschränkung der Medienfreiheit ein Missbrauch von Mitteln aus dem Gemeinschaftshaushalt droht. Vor allem den Regierungen in Ungarn und Polen wurde zuletzt immer wieder vorgeworfen, ihren Einfluss auf die Justiz in unzulässiger Weise auszubauen. Alle Versuche, sie mit politischen Mitteln zu einem Kurswechsel zu bewegen, blieben bisher erfolglos.

Während Polen mittlerweile zögert und sich eher verhalten zeigt, sucht Ungarn die offene Konfrontation. Am Mittwochabend erneuerte ein Vertreter des Landes in Brüssel die Drohung, wegen dieser Rechtsstaatsklausel dem Paket die Zustimmung zu verweigern.

Das könnte weitreichende Folgen haben, zu guter Letzt den Ungarn aber selbst auf den Kopf fallen. Das Druckmittel, das sie haben, könnte zum Bumerang werden.

Drei entscheidende Abstimmungen

In den nächsten Phasen gibt es drei Entscheidungspunkte: der Rechtsstaatsmechanismus selbst kann mit qualifizierter Mehrheit beschlossen werden, da kann Orban nichts ausrichten. Der Gesamt-Haushalt muss einstimmig beschlossen werden - da kann er blockieren, dann sind aber auch normale Haushaltsgelder für ihn vorerst auf Eis gelegt. Einstimmig muss auch das Corona-Paket beschlossen werden – und hier gäbe es zumindest die hypothetische Möglichkeit (weil es eben kein normaler Haushalt ist, wo das anders geregelt ist, sondern eine einzigartige Sondermaßnahme), dass die anderen 26 ausscheren und Orban im Regen stehen lassen; wenn Ungarn das Rettungspaket nicht will, so die Lesart, dann entkoppeln sie das Hilfspaket doch noch einmal vom normalen Budget und beschließen das Rettungspaket unter denen, die doch wollen – und dann wäre Ungarn wohl draußen und verzichtet auf rund sieben Milliarden Euro. Das würde dann mit lauter „Einzelhilfen“ gehen. Es wäre auf jeden Fall eine technisch machbare Lösung, die jedoch an den Grundfesten der EU rütteln würde und deshalb im Grunde kaum umsetzbar erscheint.

Dabei ist Ungarn so oder so (neben Polen) schon einer der größten Nutznießer der EU-Gelder und hat auch im Frühjahr, als die Kommission die Soforthilfen in Form von noch nicht abgeholten Fördergeldern freigegeben hat, einen Jackpot gelandet: Obwohl Ungarn zu diesem Zeitpunkt noch kaum von der Pandemie betroffen war, konnte es rund fünf Milliarden Euro lukrieren. Weit mehr als Italien, in dem damals die Bestattungen Tausender Corona-Opfer kaum noch schaffbar waren.

Nebenbei bemerkt, ist Ungarn auch das einzige Land, das sich von der gemeinsamen europäischen Beschaffung von Impfstoffen absondert und ernsthaft in Betracht zieht, das russische Mittel zu kaufen. Aus Kreisen der Kommission heißt es, dass bei der Beschaffung der Impfmittel nach Vertragsabschluss jedes Land eine „Opt out“-Option hat, sich also ausklinken kann, dass das bisher aber von niemandem angekündigt worden wäre.

Ungarn hatte neben Polen bisher schon die Rolle eines schwarzen Schafes in der EU, die erpresserische Blockadedrohung beim Budget hebt die Außenseiterrolle auf ein nächstes Level: das Land ist dabei, seine Mitgliedschaft in der EU infrage zu stellen.