Wie legt man die wichtigste Rede einer politischen Laufbahn an, vor einem Auditorium von 747 Abgeordneten aus ganz Europa, die kritisch-distanziert oder vorbehaltlich-zustimmend nur darauf warten, dass man sich inhaltlich oder sprachlich in eine Sackgasse manövriert? Ursula von der Leyen, die sich gestern auf dem Weg zur EU-Kommissionspräsidentin dem Votum der Parlamentarier stellen musste, machte nichts falsch.

Zu Beginn ihrer Rede, in der sie in der Manier ihres Vorgängers Jean-Claude Juncker zwischen Deutsch, Englisch und Französisch wechselte, kam sie auf ihre Rolle als Frau in der Politik zu sprechen, die 40 Jahre nach der ersten Parlamentspräsidentin Simone Veil nun im Sinne des damaligen Pioniergeistes wirken könne – für die Worte, sie wolle die Aufgabe mit „Courage und Kühnheit“ wahrnehmen, erntete sie gleich einmal Applaus. Von der Leyen sprach über ihre Kinder, die im friedvollen Europa von heute aufwachsen, und erinnerte an den langen Weg dorthin. Heute müsse man aber kämpfen und aufstehen für Europa, das vor zahlreichen Herausforderungen stehe. Und sie lieferte auch gleich die Antworten mit, schriftlich, in Form eines 20-seitigen Arbeitspapiers mit dem Titel: „Meine Agenda für Europa“. Darin wiederholt sie alle jene Punkte, die ihr im Vorfeld die Kritik einbrachten, sie verspreche allen das Blaue vom Himmel herunter: ehrgeizige Ziele beim Klimaschutz, einen neuen Migrations- und Asylpakt, eine weitere Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion, Legislativinitiativen nach Mehrheitsbeschlüssen im Parlament, Kampf gegen Armut und Gewalt gegen Frauen, Arbeitslosenrückversicherung usw.

Viel Privates

Immer wieder kam sie auf private Ereignisse zu sprechen; so habe sie einen jungen Syrer beherbergt, der mittlerweile voll integriert sei und mehrere Sprachen spreche. Zum Schluss erwähnte sie ihren Vater: Er war 15, als der Krieg endete, und habe ihr und ihren Geschwistern klargemacht, wie bedeutsam es damals gewesen sei, dass Deutschland trotz allem wieder in den Kreis der anderen Länder aufgenommen worden sei. Auf ihre Schlussworte „Es lebe Europa“ gab es stehende Ovationen – und der Kampf um die Stimmen war knapp, aber doch gewonnen.

In der anschließenden Debatte gelang es ihr sogar noch, durch ebenso klare wie energische Antworten auf Brexiteer Nigel Farage („Auf Reden wie Ihre können wir verzichten“) und AfD-Chef Jörg Meuthen („Ich bin geradezu erleichtert, dass ich Ihre Stimme nicht bekomme“) eine klare und von den anderen eingeforderte Abgrenzung zum rechten Lager zu dokumentieren.
Grüne, Linke und Rechte (Identität und Demokratie) waren nicht zufrieden und verweigerten die Zustimmung, die Sozialdemokraten waren geteilter Meinung (Deutsche und Österreicher blieben beim Nein) und bei den Liberalen herrschte Zustimmung, Einzelne wie Claudia Gamon (Neos) stimmten nicht für von der Leyen.

Am Ende hieß es: 383 gültige Stimmen. Ursula von der Leyen kann am 1. November als erste Frau das Amt der EU-Kommissionspräsidentin antreten.