Nur drei Tage nach seiner Angelobung zum Bundeskanzler reist Alexander Schallenberg (ÖVP) am heutigen Donnerstag nach Brüssel zu seinem Antrittsbesuch. Die jüngsten Turbulenzen in Österreich haben nach Ansicht des EU-Experten Janis Emmanouilidis dem Ansehen des Landes innerhalb der EU nicht geschadet, sondern nur jenem des zurückgetretenen Kanzlers Sebastian Kurz (ÖVP). Allerdings werde es zu einem "relativen Einflussverlust", zumindest in der "öffentlich Wahrnehmung" kommen.

Die jüngste Regierungskrise in Österreich sei zwar aufgrund der Vorwürfe gegen Kurz "etwas Besonderes", aber auch in anderen Mitgliedstaaten komme es zu Regierungskrisen unterschiedlichster Natur, erklärte Emmanouilidis vom Brüsseler "European Policy Centre" (EPC) in einem Interview mit der APA. Für das Ansehen Österreichs sei sie nicht "ausschlaggebend" gewesen, die EU-Partnerstaaten würden Österreich jetzt nicht "weniger wertschätzen" oder künftig "weniger auf die Stimme der österreichischen Regierung" hören.

"Einflussverlust des Landes"

Die Geschehnisse würden aber "natürlich das Bild von Kurz selbst prägen, der in den vergangenen Jahren auf europäischer Ebene eine gravierende Stimme war, die über die Größe des Landes herausging", betonte der EU-Beobachter. Kurz habe in der EU eine "besondere Rolle gespielt", da er jetzt aber nicht mehr an der Spitze stehe, werde "es natürlich zu einem gewissen, relativen Einflussverlust des Landes, zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung", kommen.

Man könne sich, so Emmanouilidis weiter, aber die Frage stellen, "ob jenseits der politischen Debatte Kurz auf der europäischen Ebene tatsächlich eine gravierende Rolle gespielt hat". In der Migrationsfrage hatte er auf jeden Fall Einfluss auf die Debatte in Deutschland gehabt, in dem er sich klar gegen die deutsche Kanzlerin Angela Merkel stellte.

Kommissionspräsident

Medien hatten Anfang des Jahres über Kurz als künftigen EU-Kommissionspräsident spekuliert, hat er noch Chancen auf diesen Posten? "Kurz hat in der öffentlichen Wahrnehmung außerhalb der nationalen Grenzen Schaden erlitten", bekräftigte Emmanouilidis. Im Europäischen Rat, in dem jedes Mitgliedsland mit Staats-oder Regierungschef vertreten ist, hätte seiner Einschätzung nach der eine oder andere Kollege von Kurz seine Meinung geändert oder sich bestätigt gefühlt. Der Experte wolle aber nichts ausschließen, zudem sei Kurz noch "sehr, sehr jung".

Zu den Angriffen der ÖVP auf die Justiz äußerte sich Emmanouilidis zurückhaltend. Die regelmäßigen Rechtstaatlichkeitsberichte der EU-Kommission würden zeigen, dass es auch in anderen EU-Ländern Probleme gebe. "Ich würde jetzt nicht sagen, es gibt hier eine Gruppe von Staaten, die eine besondere Kategorie sind", sagte der EU-Experte. Er warnte auch davor, den Fall Kurz in den "gleichen Topf" zu werfen wie beispielsweise Fragen zur Unabhängigkeit der Justiz in Ungarn oder Polen.

Der künftige Kurs unter Neo-Kanzler Schallenberg werde sich etwa in Hinblick auf die Visegrad-Länder (Ungarn, Polen, Tschechien und die Slowakei) noch zeigen, so Emmanouilidis. "Ich wage zu bezweifeln, dass eine gemeinsame Positionierung mit Ungarn und Polen die eigene Position auf EU-Ebene stärkt", gibt er zu bedenken. Anders sei das bei der Zusammenarbeit mit den "Frugalen", zu denen etwa die Niederlande oder Dänemark gehören, - "eine Formation, die tatsächlich auf europäischer Ebene eine Wirkungskraft hat".