Mit Spannung hat ganz Europa darauf gewartet, was die EU-Kommission an diesem Mittwoch auf den Tisch legen wird. Fix war schon vorher: Der Entwurf des europäischen Klimaprogramms "Fit for 55" (gemeint ist das Treibhausgas-Reduktionsziel von minus 55 Prozent bis 2030) wird umfassend sein und zahlreiche Lebens- und Wirtschaftsbereiche erfassen. Entsprechend groß war die Nervosität vor der Präsentation des Pakets. Dieses muss nun freilich erst den Verhandlungsprozess zwischen den europäischen Instanzen in Gestalt von EU-Kommission, EU-Parlament und EU-Rat durchlaufen. Es dürften damit zumindest noch Monate vergeben, bis einzelne Vorhaben tatsächlich wirksam werden können.

Dass es der Kommission ernst ist, betonte Präsidentin Ursula von der Leyen gleich zu Beginn der Präsentation. "Wir wissen, wohin wir uns bewegen müssen, und wir wissen, was wir dafür tun müssen", sagte die Deutsche. "Unsere auf fossilen Energieträgern basierende Wirtschaft hat ihre Limits erreicht." Das zentrale Mittel, um die Wende hin zu mehr Klimaschutz zu nehmen, soll wie erwartet die CO2-Bepreisung sein. "Wir wissen, dass das System funktioniert und wir wollen es ausbauen", sagt von der Leyen.

Heizen und Autofahren werden teurer

Konkret will die Kommission in zwei Bereichen nachschärfen. Einerseits soll der bereits 2005 existierende Emissionsrechtehandel von der Industrie und der Energieerzeugung auf den gesamten Flugverkehr und die Schifffahrt ausgeweitet werden. Die Menge der ausgegebenen Zertifikate soll zudem rascher als geplant reduziert werden, die Menge an Gratis-Zertifikaten soll sinken. Andererseits - und das wird die meisten EU-Bürger direkt betreffen - soll ein zweites Emissionshandelssystem geschaffen werden, das auch private Bereiche erfasst, nämlich den Gebäude- und den Mobilitätssektor. Bedeutet: Kommt diese Änderung tatsächlich, wird künftig für jedes Kilogramm CO2, das aus Kaminen und Autoauspuffen ausgestoßen wird, zu bezahlen sein. Sprit, Heizöl und Gas würden damit teurer. "Gebäude verbrauchen 40 Prozent der Energie, im Verkehrssektor wachsen die Emissionen, statt zu sinken. Wir müssen handeln", betont von der Leyen.

Eingehoben wird der CO2-Preis nicht direkt bei Autofahrern oder Hausbesitzern, sondern bei jenen, die das Heizöl und den Sprit inverkehrbringen, also bei der Mineralölbranche. Die Kosten werden aber am Ende bei den Verbrauchern ankommen.

Aus für Benziner und Diesel

Wie erwartet, werden auch die Emissionsvorschriften für neue Fahrzeuge massiv verschärft. Bis 2030 müssen die Emissionen im Flottendurchschnitt der europäischen Neuwagen um 55 Prozent absinken (verglichen mit 2021), bis 2035 um 100 Prozent. Ab dann dürfen also nur noch emissionsfreie Fahrzeuge verkauft werden, für Diesel- und Benzinmotoren wäre das das Ende. Es soll auch eine Überprüfungsklausel geben. Demnach soll alle zwei Jahre analysiert werden, wie weit die Hersteller sind; 2028 soll ein großer Prüfbericht folgen.

Langfristiges Ziel der EU ist es, dass 2050 netto gar keine klimaschädlichen Gase mehr in die Atmosphäre gelangen. 

Um die Wende sozial gerecht zu gestalten, wird ein sozialer Klimafonds gestaltet, der rund ein Viertel der über den Emissionshandel eingenommenen Mittel rückverteilen soll. Der Fonds soll für die Periode 2025 bis 2032 ein Volumen von 72,2 Milliarden Euro haben und allen Mitgliedsstaaten offen stehen. "Ja, das alles ist schwierig. Ja, das alles ist hart. Aber wir können es uns nicht mehr leisten, zu versagen", sagt Kommissions-Vize Frans Timmeremans.

Österreich muss seine Anstrengungen erhöhen

Das EU-Paket sieht auch eine Anpassung aller nationalen Klimaziele der Staaten vor, um dem neuen EU-2030-Ziel gerecht zu werden. Für Österreich bedeutet das: Bis 2030 müssen die Emissionen statt um die bisher vorgesehenen 36 Prozent (im Vergleich mit dem Jahr 2005) um 48 Prozent gesenkt werden. Das macht in weiterer Folge auch ein Nachschärfen der nationalen Klimapolitik erforderlich. 50 Prozent an Einsparungen müssen die EU-Staaten Schweden, Luxemburg, Deutschland, Finnland und Dänemark liefern. Am unteren Ende der Skala befinden sich Bulgarien (-10 Prozent), Rumänien (-12 Prozent) und Kroatien (-16 Prozent).

Europaweit werden die Vorgaben für den Anteil erneuerbarer Energieträger verschärft. Neues Ziel für 2030: 40 Prozent Erneuerbare statt wie bisher 27 Prozent. Derzeit hält die Union bei 20 Prozent, muss den Anteil in den kommenden zehn Jahren also verdoppeln.

Umstrittene CO2-Grenzsteuer kommt

Die gefürchtete Abwanderung der Industrie aus Europa soll mit der angekündigten CO2-Grenzabgabe abgewendet werden. Wer außereuropäischen Stahl oder Zement importiert, muss dafür ebenso viel aufzahlen wie an CO2-Mehrkosten bei innereuropäischer Produktion anfallen würde, erläutert EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni.

Flugzeug-Kerosin wird besteuert

Fluggesellschaften müssen nach dem Willen der EU-Kommission den Anteil von nachhaltigen Flugkraftstoffen in den nächsten Jahren kontinuierlich steigern. Bereits ab dem Jahr 2025 sollten den Tanks mindestens zwei Prozent an nachhaltigem Kerosin beigemischt werden, ab 2030 fünf Prozent, ab 2035 schon zwanzig Prozent. Bis 2050 solle der Anteil dann auf mindestens 63 Prozent gesteigert werden. Außerdem soll Kerosin künftig für Flüge innerhalb der EU besteuert werden.

Schwieriger Zielpfad

Der Grund für die Verschärfung des Klimakurses der EU liegt in den harten Zahlen bei den Emissionen: Seit 1990 konnte die Union ihre Emissionen um zwar etwas mehr als ein Fünftel reduzieren. Doch bis 2030 sollen es minus 55 Prozent sein - ein essenzieller Zwischenschritt, um das Gesamtziel der Klimaneutralität bis 2050 realistisch zu halten. Binnen eines Jahrzehnts muss Europas Treibhausgas-Ausstoß also um fast 30 Prozentpunkte absinken. Schaffbar ist das aus Sicht der Kommission nur mit umfassenden Maßnahmen.

Lob und Sorge um Unternehmen

Unterschiedlich fallen die ersten Reaktionen auf das EU-Klimapaket aus. Die Grünen begrüßen den Vorstoß als "längst überfällig" und plädieren für noch weitergehende Maßnahmen. "Die Kosten der Klimawende dürfen aber nicht primär auf die BürgerInnen abgewälzt werden", sagt der grüne EU-Abgeordnete Thomas Waitz. SPÖ und NEOS sprechen von der "richtigen Richtung" beziehungsweise einem "großen Schritt für den Klimaschutz". Vorsichtiger die Europäische Volkspartei: "Im Kampf gegen den Klimawandel dürfen wir unsere Unternehmen, allen voran die klein- und mittelständischen Betriebe, nicht belasten, sondern müssen sie gezielt unterstützen", sagt EU-Abgeordnete Angelika Winzig.