Plötzlich ist eine Lösung auf dem Tisch. Nach Jahren des Chaos und der Verwirrung, nach massiven Schädigung der Wirtschaft (hüben wie drüben) und einer Zerreißprobe für die britische Bevölkerung scheint sich nun jenes entscheidende Tor aufzutun, das einen geregelten Austritt Großbritanniens aus der EU und eine relative Zufriedenheit auf beiden Seiten des Ärmelkanals ermöglicht.

Was musste passieren, damit das alles genau jetzt, wenige Tage vor dem drohenden "No Deal"-Austritt am 31. Oktober, in die Gänge kommt? Ein simpler Vorgang: Großbritannien, namentlich Premierminister Boris Johnson, hat endlich einen konkreten Vorschlag gemacht, mit dem die EU-27 arbeiten können. Nach drei Jahren Verhandeln liegt im Grunde etwas auf dem Tisch, das schon im Februar 2018 überlegt und von London damals postwendend verworfen worden war: Es gibt keine harte Grenze in Nordirland, dafür werden zwischen dort und der britischen Insel (elektronische) Kontrollen durchgeführt, die Schlupflöcher in der "neuen" EU-Außengrenze verhindern sollen. Nach zähem Ringen wurde auch noch eine Einigung bei den Steuersätzen gefunden. Trockener Kommentar von Jean-Claude Juncker: Where there is a will, there is a deal (Wo ein Wille, ist eine Lösung).

Die Lösung, an deren Details bis zur letzten Sekunde gearbeitet wurde, zeigt, wie Politik funktioniert - und es ist kein schönes Bild, das sich bietet. Die nordirische DUP, schon unter Theresa May Zünglein an der Waage und auch für Johnson von elementarer Bedeutung, stand unter dem Verdacht, sich ihre Zustimmung zu diesem Deal teuer abkaufen zu lassen. Die Rede sei "nicht von Millionen, sondern Milliarden", wie britische Medien berichten. Inzwischen hat sie schon wieder erklärt, dem Deal nicht zuzustimmen. Preistreiberei oder finale Blockade des Deals? Genaueres wird man am Samstag wissen, wenn das Unterhaus tagt. Und Boris Johnson? Er hat seinen Plan, das Land notfalls auch ohne Deal aus der EU zu führen, letzte Woche offensichtlich mit Leichtigkeit über Bord geworfen. Keine Rede mehr von "lieber liege ich tot im Graben".

Johnson, der lange als EU-Korrespondent in Brüssel arbeitete, weiß genau, wie man Dramatik aufbaut. In EU-Diplomatenkreisen hält man es für möglich, dass er einfach in den letzten Wochen die Option gewählt hat, die ihm innenpolitisch das Meiste einbringt - gelingt ihm die Übung, geht er nicht als Chaos-Premier in die Geschichte ein, sondern als jener heldenhafte Mann, der das Land nach Irrungen und Wirrungen mit einer akzeptablen Lösung doch noch aus der EU geführt hat. Mit einem Schlag nimmt er damit der Brexit-Party von Nigel Farage jeden Wind aus den Segeln - und kann im Falle einer Neuwahl mit einem fulminanten Erfolg rechnen. Immerhin: Das, was die EU unbedingt wollte (eine Lösung für Irland und den Erhalt des Friedens) hat sie bekommen.

So geht Politik. Was das (auch an Glaubwürdigkeit) kostet und wie sehr die Bürger zum Spielball werden, steht auf einem ganz anderen Blatt.