Der britische Premierminister Boris Johnson bekräftigte, er wolle bei einem Scheitern der Gespräche keine Verschiebung des für den 31. Oktober geplanten Brexit beantragen. Johnsons EU-Beauftragter David Frost führte am Montag "technische Gespräche" in Brüssel. Die EU verlangt bis Freitag einen Durchbruch, damit den Mitgliedstaaten vor dem EU-Gipfel am 17. und 18. Oktober ein Rechtstext zur Beratung vorgelegt werden kann.

EU-Chefunterhändler Michel Barnier hatte bereits am Wochenende "neue Vorschläge" zu den für die EU problematischen Themen gefordert. Ohne diese sehe er nicht, "wie wir vorankommen können", sagte Barnier am Samstag.

Die in der vergangenen Woche von Johnson präsentierten Vorschläge entsprächen nicht den 2017 vereinbarten Zielen für die künftige Grenze zwischen der britischen Provinz Nordirland und dem EU-Mitglied Irland, sagte die Kommissionssprecherin. Dies sei sowohl die Haltung des Europaparlaments wie auch der Mitgliedstaaten.

Zweifel, ob das umsetzbar ist

Johnson hatte vorgeschlagen, dass Nordirland nach dem Brexit in einer Zollunion mit Großbritannien bleibt. Kontrollen im Warenhandel mit Irland sollen aber nicht an der Grenze, sondern "dezentralisiert" über Online-Formulare und Überprüfungen auf Firmengeländen und entlang der Lieferkette erfolgen. Die EU zweifelt an der Umsetzbarkeit und kritisiert außerdem, dass das nordirische Parlament alle vier Jahre entscheiden soll, ob die Regelung beibehalten wird.

Der britische Brexit-Minister Stephen Barclay hatte am Sonntag erklärt, der Vorschlag Johnsons sei lediglich "eine breite Landungszone". Er forderte aber gleichzeitig von der EU "Kreativität und Flexibilität", um eine Vereinbarung zu erreichen.

Johnson schloss unterdessen einen erneuten Aufschub des für den 31. Oktober geplanten Brexit aus. Er wolle um keine weitere Verlängerung bitten, sagte er laut einem Sprecher in einem Telefonat mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Ein vom Londoner Parlament verabschiedetes Gesetz zwingt den Regierungschef aber eigentlich dazu, einen Aufschub zu beantragen, wenn bis zum 19. Oktober keine Einigung mit der EU steht.

Worum es bei dem Streit geht

Der komplizierte Streit dreht sich um zwei Kernpunkte: Für Nordirland wurde nach jahrzehntelangen Konflikten 1998 eine Friedensregelung getroffen, das Karfreitagsabkommen, das ein Zusammenwachsen mit der Republik Irland zu einem gemeinsamen Wirtschaftsraum vorsieht. Der Brexit droht, die Insel wieder zu teilen. In Nord und Süd würden unterschiedliche Regeln, Produktstandards, Zölle und Steuern gelten.

Die EU will keine Grenze mit Kontrollen, sieht aber ihren Binnenmarkt in Gefahr, wenn unkontrolliert minderwertige Billigwaren über die "Hintertür" der irischen Grenze kommen könnten. Um das Dilemma zu umgehen, sieht der Backstop vor, dass ganz Großbritannien in einer Zollunion mit der EU bleibt, bis eine bessere Lösung gefunden ist. Johnson will das nicht, weil Großbritannien dann keine eigenen Freihandelsabkommen schließen könnte.

Johnsons Ersatzlösung: In Nordirland sollen zwar vorerst weiter EU-Regeln für Lebensmittel und andere Waren gelten, so dass keine Warenkontrollen nötig sind. Doch soll Nordirland mit Großbritannien aus der Zollunion ausscheiden. Die dann nötigen Zollkontrollen sollen nach Johnsons Ideen nicht an der Grenze, sondern dezentral erfolgen. Die EU hält das nicht für machbar. Zudem lehnt sie ab, dass die nordirische Volksvertretung die Anbindung an EU-Regeln einseitig kippen könnte.