Dienstagabend stimmt das Europäische Parlament über die Bestellung von Ursula von der Leyen zur EU-Kommissionspräsidentin ab. Sie benötigt eine Mehrheit der aktuell 747 Mitglieder des Parlaments, also 374 Stimmen.

Je näher das entscheidende Votum rückt, desto hektischer werden in Brüssel die Bemühungen, durch Hintergrund-Absprachen die Vorbehalte gegen die Deutsche aus der Welt zu schaffen. So bot von der Leyen am Montag dem EU-Parlament eine Art Initiativrecht für neue EU-Gesetze an: Formal soll zwar weiterhin die Kommission das alleinige Vorschlagsrecht für neue EU-Richtlinien haben. Doch verspricht von der Leyen: Jedes Vorhaben, das im EU-Parlament eine Mehrheit finde, werde sie "mit einem Gesetzgebungsakt" beantworten.

Hier die wichtigsten Faktoren im sich zuspitzenden Poker um den europäischen Topjob:

Wie wird abgestimmt?

Die Mitglieder des Europäischen Parlaments sind länderübergreifend in acht Fraktionen organisiert. Bei Abstimmungen herrscht offiziell kein Klubzwang (wie auch im österreichischen Parlament). Somit müssen die Abgeordneten einer Fraktion nicht einheitlich abstimmen. Zudem ist das Votum über von der Leyen geheim.

Wie sieht es derzeit für von der Leyen aus?

Es tut sich eine Rechts-Links-Spaltung auf: Neben den Konservativen, die "ihre" Kandidatin klarerweise unterstützen, tendieren auch die noch weiter rechts stehenden Gruppierungen sowie die Liberalen zu einem Ja für die Kommissionspräsidentin. Dem entgegen haben sich die Grünen klar für ein Nein positioniert und die Sozialdemokraten haben noch keine Empfehlung abgegeben.

Europäische Volkspartei (EVP): 182 Abgeordnete

Von der Leyen ist CDU-Politikerin, ihre Partei gehört der konservativen EVP-Fraktion im Europaparlament an. Doch die Fraktion ist nicht vollkommen im Reinen mit ihrer Kandidatin. Denn eigentlich sollte EVP-Fraktionschef Manfred Weber (CSU) den Kommissionsjob bekommen - er war nämlich extra als Spitzenkandidat für die EU-Wahl nominiert worden. Doch die Kommission hielt sich nicht an diesen Wunsch des Parlaments, und jetzt ist die Versuchung für die Parlamentarier groß, es der Kommission heimzuzahlen.

Weber gehe allerdings davon aus, dass es eine "klare Mehrheit" für von der Leyen als Kommissionspräsidentin geben werde.

Progressive Allianz der Sozialdemokraten (S&D): 153 Abgeordnete

Die Sozialdemokraten haben noch keine Abstimmungsempfehlung ausgesprochen, diese soll Dienstagnachmittag abgegeben werden. Viele S&D-Abgeordnete sind verärgert, dass ihr Spitzenkandidat Frans Timmermans nicht zum Zug gekommen ist, nachdem Weber aus dem Rennen war. Deshalb haben sich beispielsweise die deutschen SPD-Abgeordneten und die SPÖ-Delegation bereits auf ein Nein festgelegt.

Renew Europe (RE): 108 Abgeordnete

Bei den Liberalen soll von der Leyen bei ihrer Anhörung "einen positiven Eindruck" hinterlassen haben. Die Fraktion fordert jedoch die Zusage, dass die liberale Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager in der neuen Kommission einen herausgehobenen Status bekommt. Auch dies hat von der Leyen de facto bereits versprochen: Vestager werde eine "herausgehobene Position auf Augenhöhe" mit Timmermans erhalten. 

Die Grünen / Europäische Freie Allianz (EFA): 74 Abgeordnete

Die Grünen haben erklärt, dass sie gegen von der Leyen stimmen wollen. Sie kritisierten zunächst, dass die Konservative niedrigere Klimaziele anstrebe als vom Parlament gefordert. Die Delegationsleiterin der beiden österreichischen Grünen, Monika Vana, betonte am Montag, dass eine Ablehnung von der Leyens "kein Schaden für die EU" wäre, "sondern ein Beweis für tatsächlich gelebte europäische Demokratie".

Von der Leyen hat inzwischen auch hier ihr Angebot nachgebessert: Bei der Reduzierung von Treibhausgasen bis 2030 verspricht sie einen Plan, um "in verantwortlicher Weise Richtung 55 Prozent" zu gehen.

Identität und Demokratie (ID): 73 Abgeordnete

Die rechtspopulistische Fraktion ist die einzige, die ihr Stimmverhalten ohne vorherigen Anhörungstermin mit der Kandidatin festlegt. Die italienische Regierung, zu der die ID-Partei Lega von Innenminister Matteo Salvini gehört, hat aber beim EU-Gipfel die Nominierung von der Leyens unterstützt.

Europäische Konservative und Reformer (EKR): 62 Abgeordnete

Die europakritische Fraktion, zu der die polnische Regierungspartei PiS gehört, äußerte sich nach der Anhörung verhalten positiv. Sie wolle in der Personalfrage "konstruktiv" sein, hieß es.

Konföderale Fraktion der Vereinigten Europäischen Linken / Nordische Grüne Linke (GUE / NGL): 41 Abgeordnete

Die Linken kündigten - wie die Grünen - an, von der Leyen nicht zu unterstützen. Die CDU-Politikerin habe "keine Vision", die "auf sozialer Gerechtigkeit und Menschenrechten" basiere.