Dass Sebastian Kurz den Wahlkampf unterbrochen hat, um sich zwischendurch wieder einmal der Europapolitik zuzuwenden, diese Erzählung stimmt in der Form nicht. Am Vortag weilte er noch im burgenländischen Leithaprodersdorf, heute Abend steht eine große türkise Party in der Werft von Korneuburg auf der Agenda. Gestern flog der Ex-Kanzler in die deutsche Hauptstadt. Mit an Bord Fotografen und Kameraleute, die die Bilder von den schillernden Berliner Terminen in die Heimat liefern sollten, um die Weltläufigkeit des wahlkämpfenden ÖVP-Chefs unter Beweis zu stellen.

Fragen zu den budgetären Folgekosten des Parlamentsmarathons, zu den Parteispenden, dem „stillen Tod der Justiz“ (Copyright Justizminister Clemens Jabloner) waren nicht erwünscht oder wurden nicht beantwortet. Und während Pamela Rendi-Wagner oder Norbert Hofer ihre Auftritte auf den Raum zwischen Neusiedler und Bodensee beschränken, bastelt die ÖVP bereits an den nächsten Fototerminen im nahen und ferneren Ausland.

In Berlin wurde dem ehemaligen Bundeskanzler der türkise, pardon der rote Teppich ausgerollt. Kanzlerin Angela Merkel, CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer (AKK) und die designierte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen schaufelten ihre Terminkalender frei, um Kurz zu jeweils mehr als einstündigen Gesprächen zu empfangen. In den Abendstunden lud Springer-Chef Mathias Döpfner zum informellen Dinner ins legendäre Axel-Springer-Haus, bei dem sich unter anderem auch Ex-SPD-Chef Sigmar Gabriel, die ehemaligen AKK-Gegenspieler Friedrich Merz und Jens Spahn, „Bild“-Chefredakteur Julian Reichelt sowie die bekannte ZDF-Moderatorin Dunja Hayali einfanden.

Gegenwelt zur deutschen Sackgasse

Österreich ist in Deutschland derzeit wieder in, die deutschen Medien berichten auch über kleinere innenpolitische Verrenkungen, die „Bild“-Zeitung vermeldete auf der gestrigen Titelseite den 29. September als Wahltermin. „Österreich fasziniert, weil es die Gegenwelt zu der Sackgasse, in der Deutschland steckt, darstellt“, erklärt ein Beobachter. Während in Berlin der groß-koalitionäre Stillstand regiert, werden in Österreich Kanzler gestürzt, Interimsregierungen angelobt und Neuwahlen vom Zaun gebrochen.

Was Kurz in Berlin medial loswerden wollte, formulierte er im Vorfeld des Termins bei der Kanzlerin griffig und schlagzeilenträchtig. Was die EU in den letzten Tagen abgeliefert habe, sei ein „unwürdiges Schauspiel“ gewesen und habe dem Image der EU schweren Schaden zugefügt. Er verurteile den „Hinterzimmerdeal von Osaka“ aufs Schärfste, er sei allerdings froh, dass „Frans Timmermans verhindert“ wurde, die Kür des niederländischen Spitzenkandidaten der Sozialdemokraten zum Kommissionschef hätte „zu einem Linksruck in Europa“ geführt.

Hätte Timmermans das Rennen gemacht, wäre es für Kurz ein fatales Signal gewesen. „Der, der die Wahl verliert, lenkt dann Europa. Das wäre keinem Wähler zu vermitteln gewesen.“ Dass EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber, den Kurz besonders protegiert hatte, als Wahlsieger verhindert wurde, finde er „sehr problematisch“.

In Zukunft sollten derartige Diskussionen transparenter ablaufen und „in größerer Runde“ stattfinden. Deshalb wünscht sich Kurz, dass das Spitzenkandidaten-Modell rechtlich verankert und in den EU-Verträgen festgeschrieben wird. Die designierte Kommissionspräsidentin Ursula von den Leyen, die erst heute auf dem Programm steht, wurde von Kurz allerdings in den höchsten Tönen gelobt.

Wer wird Kommissar?

Bei den Gesprächen im deutschen Kanzleramt sowie im Konrad-Adenauer-Haus war natürlich auch die Zusammensetzung der künftigen EU-Kommission ein Thema. In deutschen Kreisen war informell zu vernehmen, dass „ein Teil der Kommissarsposten“ im Zuge des EU-Gipfels bereits vergeben wurde.

Welches Dossier der oder die österreichische Kommissarin erhalten könnte, steht noch in den Sternen. Die ÖVP macht allerdings kein Geheimnis daraus, dass sie als klarer Wahlsieger bei der EU-Wahl im vergangenen Mai Anspruch auf den EU-Kommissar stellt