Vor der entscheidenden Abstimmung im Europaparlament am 16. Juli schlagen jetzt die Befürworter und die Gegner der deutschen Kandidatin für den Kommissionsvorsitz, Ursula von der Leyen, ihre Pflöcke ein. Ob von der Leyen in Straßburg die nötige Mehrheit von zumindest 376 der 751 Abgeordneten im Parlament erhält, ist bis zur Stunde offen. Fällt sie durch, müssen die Staats- und Regierungschefs nach Artikel 17 EU-Vertrag "innerhalb eines Monats" einen neuen Kandidaten vorschlagen. Dazu wäre ein weiterer Sondergipfel nötig.

Charme-Offensive bei Juncker

Von der Leyen setze am Donnerstag in Brüssel ihre Charme-Offensive fort. Bei einem Treffen mit dem scheidenden Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker stärkte ihr dieser den Rücken. Er versicherte seiner designierten Nachfolgerin, dass sie auf die EU-Kommission und seine persönliche Unterstützung für einen reibungslosen Übergang zählen könne.

"Es war ein freundliches Treffen von zwei Europäern, die sich
schon seit Jahren kennen", sagte ein Sprecher. Von der Leyen selbst gab in Brüssel keine Erklärung gegenüber den Medien ab. Für den Nachmittag war auch ein Treffen der Kandidatin mit Noch-EU-Ratspräsidenten Donald Tusk angesetzt.

SPD-Front gegen von der Leyen

Unterdessen wächst ausgerechnet von deutscher Seite der Widerstand. Mehrere SPD-Politiker fordern das Europäische Parlament auf, gegen von der Leyen als EU-Kommissionspräsidentin zu stimmen. Er würde es begrüßen, wenn das Parlament die Kraft fände, einen der Spitzenkandidaten des Europa-Wahlkampfes zum Chef der EU-Kommission zu wählen, sagte Europa-Staatsminister Michael Roth am Donnerstag im Inforadio rbb: "Dann könnte das Parlament das wettmachen, was der Europäische Rat nicht hingekriegt hat."

"Keinen Grund"

Der schleswig-holsteinische SPD-Fraktionschef Ralf Stegner
kündigte im Deutschlandfunk an, dass die SPD-Europaabgeordneten
gegen die Nominierung der deutschen Verteidigungsministerin stimmen würden. "Die sozialdemokratischen Abgeordneten haben keinerlei Grund, für von der Leyen zu stimmen." Er gehe davon aus, dass sehr viele Abgeordnete auch anderer Parteien mit der Personalie ein Problem haben müssten.

Bruch des Kandidaten-Prinzips

Beide SPD-Politiker äußerten sich verärgert, dass sich der EU-Rat
mit der Nominierung der CDU-Politikerin nicht an das
Spitzenkandidaten-Prinzip gehalten hat. Weder für den konservativen EVP-Spitzenkandidaten Manfred Weber noch für den
sozialdemokratischen Spitzenkandidaten Frans Timmermans hatte sich eine Mehrheit abgezeichnet. Um eine Einigung unter den 28 EU-Staats- und Regierungschefs zu erreichen, war dann vor allem von Frankreich und EU-Ratspräsident Tusk nach Angaben von EU-Diplomaten die deutsche Verteidigungsministerin als Kompromisskandidatin vorgeschlagen worden.

Experte bleibt optimistisch

Der EU-Experte Janis Emmanouilidis rechnet allerdings trotz den Turbulenzen letztlich mit einer Mehrheit dür die Deutsche. "Die Alternativen sind weit weniger attraktiv", begründet der
EU-Beobachter. Denn bei einem Nein des Parlaments käme trotzdem kein Spitzenkandidat zum Zug, da es ja für Weber und Timmermans im Rat keine Mehrheit gebe. Dass Margrethe Vestager von den Liberalen dann doch noch eine Chance hätte, glaubt Emmanouilidis auch nicht.

Von der Leyen werde außerdem in den nächsten Tagen versuchen, den Fraktionen Kompromissangebote zu machen, sagt der EU-Experte. Immerhin war die Kommissionschefin in spe bereits am gestrigen Mittwoch nach Straßburg gereist, um abseits der Parlamentssitzung erste Gespräche mit Parteienvertretern zu führen. "Damit wird die Unterstützung für Von der Leyen wachsen", glaubt Emmanouilidis.

Reformen notwendig

Nichtsdestotrotz gebe es einige Lehren aus den vergangenen Tagen
zu ziehen. So müsste das Spitzenkandidatensystem reformiert
werden - etwa durch die Einführung transnationaler Listen: "Das
klingt einfacher als es ist. Aber ich glaube, man braucht diese
Innovation, um das System weiterzuentwickeln."

Morgen, Freitag, wird auch Österreichs früherer Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) in Berlin mit von der Leyen zusammentreffen. Als Hauptthema des Arbeitsgesprächs wurde im Vorfeld die Reform der EU genannt.