In Brüssel sind die 28 Staats- und Regierungschefs wieder zusammengetroffen um weiter über das Personalpaket zu verhandeln. Am Abend gab es die lange ersehnte Einigung - mit Überraschungen.

Immer öfter war am Nachmittag der Name der deutschen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) gefallen, die für den Posten als Kommissionspräsidentin genannt wurde. Ratspräsident Donald Tusk hat von der Leyen schließlich offiziell vorgeschlagen. Die vier Visegrad-Staaten Polen, Ungarn, Tschechien und Slowakei würden Von der Leyen als Kommissionspräsidentin akzeptieren, hieß es alsbald. Diese vier Länder sowie Italien lehnten den sozialdemokratischen Spitzenkandidaten Frans Timmermans als Kommissionschef ab. Ebenfalls plötzlich auf der Liste für einen der Top-Jobs kam der spanische Außenminister Josep Borell - er kennt Brüssel und Straßburg bestens, war er doch jahrelang EP-Abgeordneter und von 2004 bis 2007 dessen Präsident. Borell ist als Außenbeauftragter nominiert. Wieder auf der Liste ist der belgische Ministerpräsident Charles Michel - als Ratspräsident. Christine Lagarde, derzeit Chefin des Währungsfonds, soll nach Wünschen des Rats die neue EZB-Chefin werden. Die Spitzenkandidaten Timmermans und Vestager bleiben vorerst in der Kommission.

EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber hat inzwischen seine Spitzenkandidatur offiziell zurückgezogen. Ob er damit auch das mögliche Amt des Parlamentspräsidenten meint, ist unklar.

Bierlein optimistisch

Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein hatte vor dem Treffen die Hoffnung geäußert, dass der EU-Sondergipfel zu einer Lösung über die Vergabe von EU-Spitzenposten kommt. "An meinen Kriterien hat sich nichts geändert", betonte sie. "Wir haben nach wie vor das Ziel eine geografische Ausgewogenheit , eine gendermäßige Berücksichtigung und eine Berücksichtigung der Wahlergebnisse zur Europawahl zu erzielen", sagte die Bundeskanzlerin.

Angesprochen auf konkrete Namen, etwa die Chance der liberalen Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager als EU-Kommissionspräsidentin, hielt sich Bierlein bedeckt. "Ich höre verschiedene Namen. Zu Spekulationen möchte ich mich nicht äußern." In Hinblick auf das Bild, das die EU bei dem Postenschacher abgibt, sagte die Bundeskanzlerin, es gehe um eine wichtige Entscheidung und um wichtige Positionen. Dass da in einem gewissen Ausmaß gerungen werde, verstehe sie.

Sie wolle selbst jetzt hören, welche Bewegung es gebe, sagte Bierlein. Sie habe sich vor der Sitzung mit den österreichischen Parteien ausgetauscht. Angesprochen auf den erschöpfenden Verhandlungsmarathon sagte die Kanzlerin: "Ich hatte Gott sei Dank eine ruhige gute Nacht."

Lange Verhandlungen

Trotz Marathonberatungen hatte es zuletzt keine Einigung gegeben. Deshalb hatte EU-Ratschef Donald Tusk den Sondergipfel in Brüssel am Montag vertagt. Zwischenzeitlich hatte es nach einer Annäherung ausgesehen.

Der niederländische Sozialdemokrat Frans Timmermans wurde als Favorit für die Nachfolge von Jean-Claude Juncker an der Spitze der EU-Kommission gehandelt, wie Diplomaten in Brüssel am Montag sagten. Der Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei, Manfred Weber, könnte demnach EU-Parlamentspräsident werden. Doch gegen diese Lösung gibt es erhebliche Widerstände.

"Beginnen von Neuem"

Die östlichen Visegrad-Staaten sind gegen Timmermans. "Morgen werden wir meiner Einschätzung nach von Neuem beginnen, auch wenn unsere Position aus unserer Sicht sehr klar ist", sagte der tschechische Ministerpräsident Andrej Babis beim EU-Gipfel am Montag in Brüssel. Timmermans sei für ihn der "Schöpfer der Migrationsquoten", erklärte Babis laut der Agentur CTK. "Das ist eine Persönlichkeit, die sich sehr negativ profiliert hat und bestimmte Vorurteile gegenüber unserer Region hat", kritisierte der Gründer der liberal-populistischen Partei ANO.

Zu Kompromiss bereit

Weber selbst besteht bei der Suche nach einem neuen Kommissionspräsidenten auf Einhaltung demokratischer Spielregeln, ist aber auch für einen Kompromiss bereit. Er strecke die Hand aus, obwohl die EVP die Wahl gewonnen habe, sagte er am Montagabend im ZDF heute journal. Dennoch müsse sich das Ergebnis der Europawahl in der Besetzung der Spitzenpositionen Europas spiegeln. "Wir sind zu Kompromissen bereit", betonte er.

Der Generalsekretär der Europäischen Sozialdemokraten (SPE), Achim Post, rief das Europaparlament auf, den Druck auf die Staats- und Regierungschefs aufrecht zu erhalten und einen der Spitzenkandidaten der Europawahl im Mai durchzusetzen. "Alles andere wäre ein Wortbruch gegenüber dem europäischen Wähler", sagte er der Rhein-Neckar-Zeitung. "Man kann ja nicht erst Spitzenkandidaten in die Europawahl schicken, um danach zu sagen: "War nicht so gemeint.""

Zudem müssen noch weitere Posten besetzt werden. Gesucht werden außerdem Nachfolger für die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini sowie für Ratspräsident Tusk selbst. Herauskommen soll ein ausgewogenes Personalpaket, das Parteizugehörigkeit, Herkunft und Geschlecht berücksichtigt.

Die Zeit drängt

Die Zeit für eine Einigung drängt. Sechs Wochen nach der Europawahl kommen an diesem Dienstag die 751 Abgeordneten des neuen EU-Parlaments in Straßburg zu ihrer konstituierenden Sitzung zusammen. Nach der Eröffnung durch den scheidenden Präsidenten Antonio Tajani treffen sich die neuen Fraktionen zu internen Beratungen. Bereits am Mittwoch wollen die Abgeordneten dann ihren neuen Präsidenten wählen. Wer das sein wird, könnte nach den Gesprächen in Brüssel klar sein. Es ist der erste Posten des Personalpakets, dessen Besetzung Auswirkungen auf die anderen hat.

Am Montagabend warf auch die deutsche Grünen-Politikerin Ska Keller ihren Hut für das Amt der Parlamentspräsidentin in den Ring. Die Europäischen Grünen würden die 37-Jährige für die Wahl am Mittwoch vorschlagen, hieß es in einer Mitteilung. "Ich möchte das Europäische Parlament demokratischer, offener und transparenter machen", sagte Keller. Für das Amt der Vizepräsidentin des EU-Parlaments meldete nach einem Medienbericht die SPD-Politikerin Katarina Barley ihre Kandidatur an. "Ich möchte mich als Vize-Präsidentin des Europaparlaments bewerben", sagte die frühere deutsche Justizministerin dem "Business Insider". "Die Europäische Union hat ein Kommunikationsproblem und ich möchte dem EU-Parlament mehr Gehör verschaffen."

Enorme Frustration

Eine Einigung sei kompliziert, aber hoffentlich doch machbar, hatte die deutsche Kanzlerin Angela Merkel am Montag nach der Vertagung gesagt. "Es ist so, dass wir viele Enden zusammenbringen müssen." Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zeigte sich tief enttäuscht vom Verlauf der Gespräche: "Unsere Glaubwürdigkeit ist tief beschädigt." Spaniens Regierungschef Pedro Sánchez sprach von "enormer Frustration".

Die Verhandlungslage ist vertrackt. Der CSU-Politiker Manfred Weber war Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei (EVP), die bei der Europawahl Ende Mai wieder stärkste Fraktion im Europaparlament wurde, allerdings Verluste hinnehmen musste. Timmermans führte die Sozialdemokraten auf Platz zwei. Weber beanspruchte daher die Juncker-Nachfolge für sich. Er stieß im Rat der Staats- und Regierungschefs aber auf Widerstand, auch im EU-Parlament bekam er keine Mehrheit für seine Wahl zusammen.

Mitte vergangener Woche hatte Merkel zunächst intern sondiert, welche Möglichkeiten für den EVP-Kandidaten bestehen. Am Rande des G-20-Gipfels in Japan führte Merkel dann am Wochenende Vorgespräche mit Macron, Sánchez und dem niederländischen Regierungschef Mark Rutte. Dabei bahnte sie einen Kompromiss an.

Demnach war ein Sozialdemokrat - also Timmermans - als Kommissionschef vorgesehen. Im Kreis der konservativen Regierungschefs bekam Merkel am Sonntag dann allerdings heftig Gegenwind.