Er fühlt sich gut an, der neue 100- und 200-Euro-Schein, der Dienstag europaweit in Umlauf gebracht wird.

15. Stock, Nordturm der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt. Ein nüchternes Büro hinter einer Hochsicherheitsschleuse. Auf einem grauen, kreisrunden Besprechungstisch liegen sie. Fein säuberlich getrennt und gut geschützt in einer banalen Klarsichthülle: der neue 100-Euro-Schein im oberen Fach, der neue 200er darunter. Etwas farbintensiver als ihre Vorgänger, der 100er angepasst an die Größe des 50er-Scheins, beide aufgerüstet mit den neuesten Sicherheitsfeatures. „Wir legen die Latte immer sehr hoch und setzen weltweit Standards bei der Qualität“, sagt Markus Emerich.

Die neuen 100- und 200 Euro-Scheine werden ab kommenden Dienstag in Umlauf gebracht
Die neuen 100- und 200 Euro-Scheine werden ab kommenden Dienstag in Umlauf gebracht © Boris Roessler / dpa / picturede

Dafür gibt es hier eine eigene Forschungs- und Entwicklungsabteilung, in der mit schwer zugänglicher Technologie die Fälschungssicherheit der Geldscheine sichergestellt wird.

"Der 20er ist der Hübscheste"

Es geht um viel. Es geht um ein Sinnbild der europäischen Einheit. Es geht um den Euro. „Er ist das einzige europäische Symbol, das alle Menschen ständig bei sich tragen“, holt Doris Schneeberger die Alltagsrelevanz aus der metaphernhaften Schale des Monetären. „Der 20er ist der Hübscheste“, verrät sie ihren persönliches Banknoten-Liebling.
Schneeberger, gebürtige Osttirolerin, und Emerich, Absolvent der Technischen Universitäten in Graz und Wien, arbeiten im Currency Management der EZB. „Wir haben hier eine koordinierende Funktion zwischen den Nationalstaaten – wir müssen alle mit ins Boot holen, jedoch auch die unterschiedlichen nationalen Anforderungen berücksichtigen“, erklärt Emerich. – Ein Spagat im Kleinen, der das Dilemma der EU im Großen widerspiegelt.


Mario Draghi kennt diesen Interessenskonflikt. Seit acht Jahren ist er EZB-Präsident. Wenn er im Sitzungssaal des EZB-Rats seinen sandfarbenen Lederstuhl nach hinten schiebt, aufsteht und die fünf Schritte zurück zur Fensterfront geht, fällt sein Blick aus dem 41. Stock in den Abgrund. Eine Allegorie für die Zinspolitik der letzten Jahre, zu der man sich vorn am Verhandlungstisch entschlossen hat. „Whatever it takes“ – mit diesem legendären Satz machte Draghi im Juli 2012 deutlich, dass er mit seiner Institution alles Notwendige unternehmen werde, um die Gemeinschaftswährung Euro zu retten. Alles Notwendige? Im Verständnis von Draghi eine rigorose Niedrigzinspolitik. Die Rettungsaktion? Noch ist sie nicht zu Ende.

Draghi: "Whatever it takes"

Seit mittlerweile mehr als drei Jahren kriecht der Leitzinssatz der EZB an der 0,0-Prozent-Linie dahin. Wenn Draghi im Oktober abtritt, wird der Italiener der bislang erste Präsident gewesen sein, in dessen Amtszeit der Schlüsselsatz zur Versorgung der Geschäftsbanken nie erhöht wurde. „Whatever it takes“ – Draghi und sein sechsköpfiges Direktorium kannten bis heute gegenüber nationalstaatlichen Befürchtungen, Beanstandungen und Begehrlichkeiten keine Gnade.

Im 41. Stock der EZB tagt der EZB-Rat. Es gibt eine eigene Sitzordnung.
Im 41. Stock der EZB tagt der EZB-Rat. Es gibt eine eigene Sitzordnung. © Alex Kraus / laif / picturedesk.


Man wird nicht ganz falsch liegen, wenn man sich die Meetings mit den 19 Zentralbank-Gouverneuren der Euro-Mitgliedsstaaten als zeitweilig lebhaft vorstellt. Eine Messingglocke am Platz des Präsidenten dient als sopranhohes Schlichtungsinstrument. Zusätzlich hat der Innenarchitekt als „Schallschlucker“ eine kunstvolle Holzdecke installieren lassen, deren geschwungene Lamellen die Landkarte Europas darstellen sollen.
Um diesen Designkniff zu erkennen, muss man aber entweder fantasiehochbegabt sein oder sich in die Mitte des elitären Sitzkreises, in dem die Teilnehmer nicht nach Ländern, sondern dem Anfangsbuchstaben ihres Familiennamens nach reihum sitzen, auf den dunklen Teppich legen. Würde nicht gut kommen. Nicht in diesem noblen Rahmen mit Blick in den Abgrund, auf die Skyline der Innenstadt im Westen, die Ausläufer des Hohen Taunus im Norden und den weitläufigen Stadtwald im Süden. Es liegt dieses distinguiert-distanzierte Knistern in der Luft, das exklusiven Treffpunkten der Macht eigen ist, an denen wenige weitreichende Entscheidungen für viele treffen.

Das Geheimzirkelartige der Beletage wird dem Selbstverständnis der EZB, der geldwirtschaftlichen Realpolitik und dem allgemeinen Arbeitsklima im spektakulären Hochhausturm im Osten Frankfurts aber nicht gerecht. Auf den 185.000 Quadratmetern Bruttogeschoßfläche herrscht professionelle Geschäftigkeit quer über alle Kultur-, Sprach- und Kompetenzgrenzen. „Ich erfahre den großen Horizont als Bereicherung“, sagt Roman Schremser.

Roman Schremser: "–	Ich bin in Sorge, habe aber ein anhaltend positives Verhältnis zu Europa."
Roman Schremser: "– Ich bin in Sorge, habe aber ein anhaltend positives Verhältnis zu Europa." © Höfler


Der Niederösterreicher zählt zu den fünf rot-weiß-roten Pionieren in der EZB, die schon kurz nach dem EU-Referendum beruflich an das Europäische Währungsinstitut, dem Vorläufer der EZB, andockten. „Es gab in den Anfangsjahren nur Zweijahresverträge, weil niemand mit Bestimmtheit gewusst hat, ob diese letzte Stufe des Projekts Währungsunion verwirklicht wird“, erinnert sich Schremser. Seine Karriere verlief steil. Seit 2015 ist er Chief Compliance and Governance Officer und als solcher aus seinem Büro im 26. Stock direkt dem EZB-Präsidenten berichtspflichtig.

"Europa ist ein Stehaufmanderl"

Das Internationale gibt einem eine andere Sichtweise, es macht den Blick auf“, bestätigt auch Barbara Eggl. „Es ist toll zu wissen, dass trotz nationaler Eigenheiten alle an einem Strang ziehen.“ Eggl ist Datenschutzbeauftragte der EZB. „Ich bin also in meiner Funktion die Person, die den verschiedenen EZB-Geschäftsbereichen, die mich bei Fragen zum Datenschutz konsultieren, häufig sagen muss, dass es nicht geht oder zumindest so nicht geht“, lacht die Wienerin, die seit 2002 für die EZB arbeitet.
Als Europäerin gefühlt hat sich die mit einem MBA der London School of Economics ausgestattete Juristin und Volkswirtin ohnehin „schon immer“. Emotional übersetzt wurde die europäische Idee aber erst bei einem Besuch an den Kriegsschauplätzen der Normandie. Die endlosen Reihen von Soldatengräbern. Kreuze mit den Namen von 17-Jährigen. „Schlimm, dass wir das so schnell vergessen“, sagt sie. Man hört die Sorge, die mitschwingt, wenn sie über die gegenwärtigen politischen Entwicklungen, besonders die nationalistischen Strömungen, spricht. „Die EU ist immer ein vermeintlich logischer Sündenbock, wenn etwas schiefgeht oder nicht ankommt.“ Sie habe aber großes Vertrauen, dass Europa wieder stärker wird: „Europa ist ein Stehaufmanderl“, sagt Eggl und ihr Blick wandert durch das weitläufige Foyer im Erdgeschoß des fast 200 Meter hohen Büroturms. Rechts eine Cafeteria, links eine Fachbibliothek, eingebettet in den historischen Kern der Bausubstanz – die Großmarkthalle.

Der österreichische Architekt der EZB-Zentrale, Wolf Prix (Coop Himmelblau)
Der österreichische Architekt der EZB-Zentrale, Wolf Prix (Coop Himmelblau) © dpa


Zwischen 1926 und 1928 von Architekt Martin Elsaesser entworfen, war sie für ihr stützenloses, bis zu 38 Meter hohes Kuppeldach, die ausgeklügelte Erschließung durch Lkw-Trassen, Schiffsanlegestellen und ein Bahngeleis sowie ihre formschöne, aber hoch funktionale Bauweise im ausgehenden Jugendstil mit Bauhaus-Elementen berühmt. Auch die NS-Zeit hinterließ Spuren: Ein Keller diente als Sammelplatz für die Deportation von Juden in das Konzentrationslager Theresienstadt.
Heute erinnert an dieses historische Grauen eine Gedenkstätte; an den architektonischen Glanz endlose Fensterfassaden, aufwendig restaurierte Backsteinwände und ein Paternoster-Lift, der die Etagen zwischen Bibliothek, Fitnessstudio und Parkgarage miteinander verbindet. Reste der Halle dienen als Atrium zwischen dem Nord- und Südturm des neuen Bürowolkenkratzers, den das Wiener Architekturbüro Coop Himmelb(l)au geplant hat. Ganz einfach war die Standortfestlegung nicht.

Fliegende Pflastersteine, Tränengas

Als klar war, dass der Eurotower in der Innenstadt platzmäßig nicht mehr ausreicht, wurden im Rahmen einer Machbarkeitsstudie 35 Standorte geprüft. Die Wahl fiel auf ein damals lebloses Stadtviertel im Ostend in unmittelbarer Nähe zum dortigen Hafen und Bahnhof. Nachdem im Mai 2010 der Grundstein gelegt wurde, kletterten parallel zu den Stockwerken auch die Baukosten in den Himmel. Am Ende lag man mindestens 300 Millionen Euro über dem 2005 budgetierten Plan. Nicht nur deswegen gingen rund um die Eröffnung der EZB-Zentrale 2015 die Wogen hoch. Die Kapitalismusgegner hatten ein symbolstarkes Zielobjekt ihrer Proteste ausfindig gemacht. Aus 40 europäischen Städten reisten Demonstranten an. Es kam zu gewalttätigen Krawallen, es gab brennende Polizeiautos, fliegende Pflastersteine, Wasserwerfer, Tränengas und Festnahmen, während drinnen Mario Draghi in feierlicher Pose ein blaues Band durchschnitt.

Rund um die Eröffnung der neuen EZB-Zentrale gab es 2015 heftige Proteste
Rund um die Eröffnung der neuen EZB-Zentrale gab es 2015 heftige Proteste © AP


Viel besser hätte man die Bipolarität, die der gemeinsamen Währung innewohnt, nicht darstellen können: draußen wild züngelnde Flammen der Wut gegen das System, während drinnen das Feuer der gemeinsamen europäischen Idee lodert. „Die Eurosklerose, die Euphorie, die Eurokrise: Für Europa scheint es keinen Mittelweg zu geben – vielleicht weil das Projekt so riesig ist“, sinniert Eggl. „Es scheint manchmal, dass Europa nur im Krisenmodus wirklich gut funktioniert.“ Aber wir würden Europa aufgeben, wenn wir die Integration aufgeben, mahnt sie. „Europa ist die einzige Lösung für unseren Kontinent, um in einer globalisierten Welt bestehen zu können.“

"Es steht viel auf dem Spiel"

Aber auch unter jüngeren Kollegen von Eggl keimt angesichts aktueller Entwicklungen Sorge. "Wir erkennen, dass es keine Selbstverständlichkeit ist, dass es so etwas Gemeinsames gibt, und fragen uns auch, ob dieses gemeinsame Friedens- und Wirtschaftsprojekt mit sehr positiven Auswirkungen für uns alle sich auch weiterhin gegen solche Strömungen durchsetzen kann", sagt der Niederösterreicher Günther Hauss: "Es steht viel auf dem Spiel." Hauss arbeitet in der Abteilung für Verwaltungsstrafen. Sie ist nicht im EZB-Turm im Ostend, sondern im "alten" Eurotower in der Innenstadt zwischen Bahnhof und der zentralen Shoppingmeile. Im kleinen Park vor dem Glas-Stahl-Betonkomplex strahlt die Skultpur des blauen Euro-Zeichens mit den gelben Sternen. Drinnen widmet man sich eher den dunklen Seiten des Bankgeschäfts.

Euro-Zeichen vor dem Eurotower in der Frankfurter Innenstadt
Euro-Zeichen vor dem Eurotower in der Frankfurter Innenstadt © Höfler

"Wir arbeitet über konkrete Hinweise der Aufsichtsteams, oder auch von Whistleblowern, und analysieren mögliche gesetzliche Verfehlungen von beaufsichtigten Kreditinstituten", erklärt Hauss sein Einsatzgebiet. Für jede Bank gibt es gemeinsame Aufsichtsteams, die sich aus Mitarbeitern der nationalen Behörden und der EZB zusammensetzen. Sie überprüfen, ob gesetzliche Normen eingehalten werden. Kontrollen finden auch vor Ort statt, unter anderem auch um zu prüfen, ob die Meldungen dem tatsächlichen Bild entsprechen. "Wir prüfen den jeweiligen Sachverhalt im Detail und klären ab, ob Verwaltungsstrafen verhängt werden sollten."

Großer Apparat - viele kleine Rädchen

Auch Hauss schätzt das internationale Umfeld seiner Arbeit. Und stößt dabei auch immer wieder auf kulturelle Stereotype und individuelle Eigenheiten im Zugang zu Problemlösungen. "Es geht zum Beispiel um Feinheiten in der Kommunikation und wir müssen in manchen Fällen zwei Mal nachfragen, ob wir dasselbe Verständnis von Textstellen haben." Hauss schätzt das. Es lässt ihn die Vielfalt, aber auch Möglichkeiten der EU spüren. "Wir sind hier zwar ein großer Apparat, aber es ist hier und generell wertvoll zu sehen, dass jeder ein kleines aber nicht unbedeutendes Rädchen in Europa ist", sagt er: "Wir alle sind Europa."