Tektonische Verschiebungen sind bei der EU-Wahl in Österreich keine zu erwarten. Einer Umfrage von ATV, „profil“ und „heute“ zufolge legen ÖVP, SPÖ, FPÖ jeweils um drei Prozent zu, die Grünen bleiben im EU-Parlament, die Neos können ihr altes Ergebnis halten. Viel Lärm um nichts? Österreich als Insel der Seligen, als Hort der Stabilität?

Diametral anders die Lage im übrigen Europa: In vielen EU-Staaten sind die alten Traditionsparteien rechts und links der Mitte auf dem absteigenden Ast, rechts- und auch linkspopulistische Bewegungen, die mit der EU auf Kriegsfuß stehen, sind im Aufwind und setzen den alten christ- und sozialdemokratischen Parteien zu.

Überraschende Auffälligkeit: Der Vormarsch der Ränder ist kein Spezifikum der bevorstehenden EU-Wahl, sondern widerspiegelt den Einbruch der politischen Mitte im jeweiligen Land. Macron, Merkel, May verlieren am 26. Mai nicht nur wegen der EU, sondern weil sie auch national in der Krise stecken.

Laut jüngsten Umfragen hat in Frankreich der Front National von Marine Le Pen mit der Bewegung von Emmanuel Macron gleichgezogen (je 22 Prozent laut Le Figaro), in anderen Umfragen liegt Le Pen knapp vorne. Die Konservativen müssen sich mit 13 Prozent bescheiden, die altehrwürdigen Sozialisten müssen um den Einzug ins EU-Parlament bangen.


Nicht viel anders die Ausgangssituation in Großbritannien, das nun doch an den Wahlen mitwirken muss. Laut Financial Times kann die neue Bewegung des ewigen EU-Gegners Nigel Farage, die Brexit-Party, mit 29 Prozent der Wählerstimmen rechnen, klar vor Labour mit 25 Prozent, katastrophal abgeschlagen die Tories (14 Prozent). Die Anhänger der Tories von Theresa May laufen in großen Scharen zur Brexit-Bewegung über.

EU-Skeptiker auch in Finnland, Belgien, Holland vorne

Ähnlich die Situation in Italien, wo die Lega von Matteo Salvini bei 31,4 Prozent liegt, gefolgt von den Fünf Sternen (22,2 Prozent) und dem sozialdemokratischen Partido Democratico (21,5 Prozent). Glaubt man den Prognosen von „Politico“, liegen auch in Finnland, den Niederlanden, Belgien EU-Skeptiker auf Platz eins. In Ungarn und in Polen haben mit Viktor Orbán und Jaroslaw Kaczynski zwei Politiker, die sich nicht (mehr) zur traditionellen Parteienfamilie zählen, das Sagen.

Über die Gründe für den Vertrauens- und Glaubwürdigkeitsverlust der etablierten Politik ist viel geschrieben worden. Die Flüchtlingskrise ist ein Erklärungsmuster, die Globalisierung schränkt die politischen Handlungsspielräume drastisch ein. Im neuen EU-Parlament dürften die EU-Gegner ein Viertel der Abgeordneten stellen. Dass sie sich zu einer Fraktion zusammenschließen, ist angesichts der Positionierungen (pro-amerikanisch oder pro-russisch, liberal oder protektionistisch) wenig wahrscheinlich.