NEOS-Kandidatin Claudia Gamon will sich ihre Vision nicht nehmen lassen und lässt nicht ab vom Ziel einer Weiterentwicklung der EU zu „Vereinigten Staaten von Europa“. In Sachen Gleichstellung der Frauen bleibt sie dennoch realistisch: „Ich möchte nicht den Eindruck erwecken, die Europäische Union hätte den Zauberstab in der Hand, um die Probleme ein für alle Mal zu lösen.“

Gamon war Gast einer Premiere im EU-Wahlkampf: Die Bundesländerzeitungen hatten in die TT-Lounge in Wien zur Diskussion der Kandidatinnen geladen, neben der NEOS-Frontfrau waren das Sarah Wiener (Grüne), Petra Steger (FPÖ), Julia Herr (SPÖ) und Karoline Edtstadler (ÖVP).

Noch viel zu tun

Einig waren sich alle fünf, dass für und mit den Frauen noch viel zu tun sei. Ist die Quote daher der richtige Weg, fragten die Moderatorinnen Karin Leitner (TT) und Birgit Entner-Gerhold (Vorarlberger Nachrichten). „Man sieht aus der Geschichte der Menschheit, dass nichts ohne Druck passiert“, gab sich Wiener als Verfechterin der Quote – die ja auch wieder abgeschafft werden könne, wenn das patriarchale System einmal überwunden sei. Und: „Wir backen 90 Prozent des Kuchens. Also wollen wir auch mindestens 50 Prozent dieses Kuchens.“

Herr geht einen Schritt weiter: „Wir wollen nicht nur die Hälfte des Kuchens. Wir wollen die Hälfte der Bäckerei.“ Zur Wahlfreiheit gehört für die SPÖ-Kandidatin auch die nötige Infrastruktur bei Kinderbetreuung und Pflege, wo großteils Frauen engagiert sind. Und sie fordert ein Rückkehrrecht in einen Vollzeit-Job.

Für Edtstadler ist eine rechtliche Gleichstellung erreicht, jetzt müsse sich dieses Bewusstsein in der Gesellschaft aber tatsächlich durchsetzen. Dazu gehöre etwa nicht nur, dass Männer nach der Geburt eines Kindes eine Auszeit nehmen, sondern vor allem auch, dass sie zu einem späteren Zeitpunkt zuhause bleiben. Dann wäre Frauen der Wiedereinstieg erleichtert, dann wäre der oft zitierte Gender Pay Gap kleiner.

Gleichstellung ist auch für Steger ein wichtiges Ziel. Dafür müsse der Staat die Voraussetzungen schaffen. Letztlich müsse aber jede Frau selbst entscheiden können, wie sie leben wolle. Und weil sich auch Frauen für die Familie entscheiden, werde der Lohnunterschied wohl nie ganz beseitigt werden.

CO2-Steuern greifen zu kurz

Themenwechsel. Klimaschutz? Was kann die EU beitragen? Edtstadler reiht den Klimaschutz in jene großen Fragen ein, für welche die Union zuständig sein solle. Sie setze auf eine Politik der Anreize und nicht der Strafen. Einfach die Steuern auf den CO2-Verbrauch zu erhöhen, greife zu kurz – dies gelte umso mehr, als die Situation in den Staaten verschieden sei.

Herr verwies auf die Forderung der SPÖ nach einem „Green New Deal“. Umwelt- und Klimaschutz ist für sie auch ein wesentliches Element der Handels- und Wirtschaftspolitik. Ihre Forderungen gehen bis hin zu einem Einfuhrverbot für nicht nachhaltig produzierte Güter. In ihrem Forderungskatalog findet sich auch eine Steuer auf den CO2-Verbrauch.

In diesem Punkt traf sich die rote Kandidatin mit der Pinken. Gamon: „Wir wollen den Emissionen einen Preis geben – und damit die Logik der Besteuerung auf den Kopf stellen.“ Dies bedeute geringere Steuern auf Arbeit, dafür höhere auf den Verbrauch von CO2. Schön wäre, wenn Österreich in diesem Punkt vorangehen würde – wichtiger wäre aber, dass die EU ihren „gesamteuropäischen Hebel“ ansetze.

Ganz anders Steger. Sie lehnt Strafen und höhere Steuern entschieden ab. Dies sei nur zum Nachteil jener, die es sich ohnehin nicht leisten könnten. Als warnendes Beispiel nennt sie Frankreich und die Gelbwesten. Steger: „Das Konsumverhalten muss verändert werden. Aber es kann nur dann verändert werden, wenn die Leute es gerne tun.“

Wiener zeichnete ein drastisches Bild: „Es ist nicht eines der großen Probleme, die wir haben. Es ist das größte Problem, das wir haben.“ Ihr Katalog an notwendigen Maßnahmen schien keine Ende zu finden: Senkung der Emissionen, kleinteilige Landwirtschaft fördern, Zersiedelung verhindern, öffentliche Verkehrsmittel ausbauen. „Es ist ein Gebot der Vernunft und des Hausverstandes, jetzt unsere Zukunft zu schützen“ – nicht eine Frage der Parteipolitik.

Ein europaweiter Mindestlohn?

Schließlich die Sozialpolitik. Herrs größtes Anliegen ist es, EU-weit das Lohnniveau anzugleichen und Lohndumping zu verhindern. Ein Mittel dazu: Ein Mindestlohn.

„Ein Mindestlohn würde überhaupt nichts bringen und keinen einzigen Arbeitsplatz schaffen“, meinte hingegen Edtstadler. Wichtig sei, Anreize für die Entwicklung der Wirtschaft zu schaffen und den Zugang zu Förderungen zu erleichtern.

Ein klares Nein zu einem Mindestlohn kam auch von Steger: „Ich halte das für eine gefährliche Drohung. Weil die Frage bleibt, wer das Ganze finanziert.“ Letztlich würden Nettozahler wie Österreich und Deutschland dafür aufkommen müssen, und das wolle sie nicht.

Auch Gamon ist skeptisch. Besser als ein Mindestlohn gefällt ihr das österreichische Modell der Tarifverhandlungen in den einzelnen Branchen. Und sie betont die Rolle der europäischen Regionalförderungen: Diese müssten „grob umgebaut“ werden, weil sie bisher ihr Ziel eines Abbaus des Stadt-Land-Gefälles auch in weniger entwickelten Ländern nicht erreicht hätten.

Schließlich Wiener. Sie hält es für notwendig, internationale Konzerne stärker zur Kasse zu bitten: „Es gibt Steuern, da wären wir alle froh, wenn wir sie hätten.“ Ebenso nötig sei es, die Niveaus der EU-Staaten anzugleichen: Das schaffe Vertrauen – und Vertrauen gebe mehr Sicherheit als Waffen und hohe Mauern.