Das Europaparlament debattiert heute über die erneute Verschiebung des Brexit-Datums. Dabei geht es auch um die möglichen Konsequenzen für die Europawahl Ende Mai. Falls Großbritannien dann noch Mitglied in der EU sein sollte, müssen die Briten Gelegenheit erhalten, sich an der Wahl zu beteiligen. Damit würden im Juli 73 britische Abgeordnete ins Parlament einziehen.

Diese Perspektive stößt in der EU-Volksvertretung auf heftige Kritik. Die Staats- und Regierungschefs der EU hatten London vergangene Woche eine neue Frist für den EU-Austritt bis zum 31. Oktober eingeräumt - in der Hoffnung, dass das britische Unterhaus dem ausgehandelten Brexit-Vertrag bis dahin doch noch zustimmt.

EU-Ratspräsident Donald Tusk verteidigte die Entscheidung für eine mehrmonatige Verschiebung des Brexit-Datums am Dienstag. Der Aufschub bis zum 31. Oktober erlaube es der EU, sich auf andere wichtigen Themen wie den Handel mit den USA zu konzentrieren, sagte er in Straßburg.

Zugleich sorge die Verschiebung dafür, dass es vorerst nicht zu einem ungeregelten Austritt Großbritanniens komme und dass die Briten weiter alle Optionen auf dem Tisch hätten. Dazu gehöre auch die Möglichkeit, den Austritt aus der EU grundsätzlich zu überdenken.

In diesem Zusammenhang übte Tusk auch Kritik an Politikern wie dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron, der beim EU-Gipfel in der vergangenen Woche, dazu aufgerufen hatte, nicht davon zu träumen, dass die Brexit-Entscheidung noch rückgängig gemacht werden könnte. "Ich würde sagen, dass wir in diesen eher schwierigen Zeiten unserer Geschichte Träumer und Träume brauchen", erklärte Tusk. Zumindest er werde nicht aufhören, von einem besseren und vereinten Europa zu träumen.

"Erschöpft vom Brexit"

"Ich weiß, dass auf beiden Seiten des Ärmelkanals jeder erschöpft vom Brexit ist", sagte Tusk vor den Abgeordneten. Dies dürfe aber nicht dazu führen, dass man sage, der Brexit müsse nun einfach über die Bühne gebracht werden. "Egal was passiert, wir sind durch das gemeinsame Schicksal vereint und wollen auch in Zukunft Freunde und enge Partner bleiben", erklärte Tusk.

Der EU-Ratspräsident spielte mit seinen Äußerungen darauf an, dass es auch aus dem Europaparlament Kritik an einem längeren Brexit-Aufschub gegeben hatte. Abgeordnete fürchten, dass bei der Europawahl Ende Mai erneut auch viele britische EU-Gegner ins Parlament gewählt werden könnten.

Absagen kann Großbritannien die Teilnahme an der Europawahl nämlich nur dann, wenn die britische Premierministerin Theresa May das mit der EU ausgehandelte EU-Austrittsabkommen doch noch durchs Parlament bringt und vor dem Wahltermin auch die Ratifizierung abgeschlossen wird. Dass dies gelingt, gilt als unwahrscheinlich. In Großbritannien ist der 23. Mai als Termin für die Europawahl festgelegt.

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sagte am Dienstag, der Ausstieg Großbritanniens aus der EU dürfe die Arbeit an anderen Themen nicht überlagern. "Der Brexit ist nicht die Zukunft der EU", sagte Juncker vor dem Europaparlament in Straßburg. Die Zukunft gehe weit darüber hinaus. "Es kann nicht sein, dass er uns bei unseren großen Prioritäten ausbremst."

Die Staatengemeinschaft stehe vor strategischen Herausforderungen und dürfe deshalb nicht nachlassen in ihrem Reformeifer, so Juncker. Als nächstes müsse die strategische Ausrichtung der EU für die kommenden Jahre auf dem Gipfel im Mai im rumänischen Sibiu festgelegt werden. Zudem müssen nach den EU-Wahlen Ende nächsten Monats noch die Spitzenämter in der Union neu besetzt werden. Und bis Oktober müsse der neue langfristige Haushalt der EU entschieden werden. Die Einigung sei wichtig, um laufende EU-Programme wie etwa in der Forschung nahtlos zu finanzieren.Gleichzeitig müsse dafür gesorgt werden, dass die Staatengemeinschaft trotz der Übergangsphase, in der Großbritannien sich befinde, handlungsfähig bleibe. Wenn ein Staat die EU verlassen wolle, müssten die anderen das Recht haben, ohne ihn zu tagen, sagte Juncker. Ein Beispiel dafür gebe es bereits mit den eigenständigen Treffen der 19 Euro-Länder im Rahmen der EU.