Wie dankbar sind Sie dem Kanzler, dass er Ihnen bei den 12 Stunden Rückenwind beschert?


CHRISTIAN KERN: Von Dankbarkeit kann keine Rede sein, dieses Gesetz werden leider alle Menschen in Österreich ausbaden müssen. Ich verstehe nicht, wie man ein Gesetz vorlegen kann, wo die Regierung nicht die geringste Ahnung hat, was die Auswirkungen sind. Die Argumente, die ins Treffen geführt werden, kann man in der Luft zerreißen.


Warum?


Weil die Versprechen, die gemacht werden, von der 4-Tage-Wochen bis zur Freiwilligkeit, nicht halten. In Wahrheit bedeutet das Gesetz mehr Arbeit, weniger Freizeit.


Wenn das alles so schlimm ist, warum haben Sie den 12-Stunden-Tag im Plan A propagiert?


Was wir wollten, ist mehr Selbstbestimmung für die Arbeitnehmer. Wir wollten die Möglichkeit einräumen, dass man etwa bei einem Pflegefall sein Arbeitszeitpensum reduzieren kann. Seien Sie mir nicht böse, wer den Plan A mit dem 12-Stunden-Tag gleichsetzt, glaubt auch, dass Karli von Caorle kommt.


Das stimmt nicht, der Plan A sieht ausdrücklich den 12-Stunden-Tag vor.


Ja, aber nicht als Regelfall und in Kombination mit Arbeitszeitverkürzung und geregelter Freizeit. Was die Regierung macht, erlaubt eine massive Ausdehnung der Wochenarbeitszeiten.


Die Regierung hält ausdrücklich am acht Stunden fest.


Nur am Papier, weil die betriebliche Mitbestimmung außer Kraft gesetzt wurde. Bisher hat das der Betriebsrat ausgehandelt, der auf höhere Einkommen, mehr Freizeit oder eine Reduktion der Arbeitszeit achtet. Und das genau passiert jetzt eben nicht.


Ist Ihre Fundamental-Opposition nicht populistisch?


Das lasse ich mir nicht umhängen. Die Digitalisierung kommt, die Arbeitszeit verändert sich, wir müssen flexible Arbeitszeitmodelle finden. Nur haben wir es mit einer Regierung der Großkonzerne und der Großsponsoren zu tun. Ich habe Dutzende Betriebsvereinbarungen in meinem Leben abgeschlossen. Da setzt man sich hin und überlegt, was braucht das Unternehmen, was sind die Schutzbedürfnisse, was sind die Einkommens- und Freizeitbedürfnisse. Kurz und Teile der Industrie gießen Kerosin ins Feuer. Das ist Klassenkampf von oben. Die verändern die Spielregeln in Österreich zum Nachteil fast aller. Das ist mein Vorwurf.


Will heißen: Sie sind grundsätzlich für den 12-Stunden-Tag, aber nur, wenn es im Einvernehmen mit dem Betriebsrat ist.


Nur in Kombination mit Arbeitszeitverkürzung, mit planbaren Freizeitblöcken und einer Begrenzung der All-in-Verträge, mit einem Ausbau der Kinderbetreuungseinrichtung, mit einem Ausbau der Ganztagsschulen und dem Anspruch auf Home-Office.


Sie haben gestern angedeutet, dass die SPÖ im Herbst ein Volksbegehren anstoßen könnte. Kommt es dazu?


Im Herbst bei den Lohnrunden werden auch die Wirtschaftskammer und die Industriellenvereinigung draufkommen, dass das nicht die beste Vorgehensweise war. Wir sollten nicht Konflikte auf die Straße verlagern, aber wenn die Regierung nicht einlenkt, müssen wir die Betroffenen sammeln. Da geht es nicht um die SPÖ, da geht es um die Kirche, die Zivilgesellschaft, die Freiwillige Feuerwehr, die alle Interesse daran haben, dass das so nicht kommt.


Wie geht es Ihnen als Oppositionschef? Haben Sie Ihre Rolle gefunden?


Wenn ich mir die jüngsten Umfragen anschaue, sieht die Lage relativ gut aus. Die Zukunft der SPÖ hängt nicht vom Ballhausplatz ab, sondern unser Herz schlägt dort, wo wir die Sozialdemokratie gegründet haben, an den Ziegelteichen bei den arbeitenden Menschen. Es ist wichtig, dass man eine Phase der Besinnung hat und sagt, wie schaffen wir mehr Bevölkerungszuspruch. Ich erwarte nicht, dass die Regierung morgen auseinanderfällt, aber ich sehe, dass sie ein Problem kriegt, weil sie viele Versprechen nicht hält.


In der Asylpolitik hat Kurz laut jüngsten Umfragen einen enormen Zuspruch.


Die Menschen werden bald draufkommen, dass auch vieles nur eine Inszenierung ist. Schauen Sie sich die Einigung der Deutschen an: Kurz hat Tausende Male betont, er hat die Westbalkan-Route geschlossen, komischerweise kommen da aber immer noch Tausende Leute. Da ist viel Propaganda dabei. Mit dem Ergebnis: Nicht die Balkan-Route ist geschlossen, aber demnächst die Walserberg-Route. Bravo.


Was würden Sie an seiner Stelle jetzt tun?


Die Regierung hatte acht Termine mit Orbán, nicht einmal wurde angesprochen, dass Orbán die Flüchtlinge, die laut Vertrag ihm gehören, zurücknimmt. Diese Nachgiebigkeit gegenüber Orbán verstehe ich nicht. Wenn Orbán und Italien niemanden zurücknehmen und Bayern zurückschickt, sind wir die Pufferzone Europas.


Soll Österreich keine Leute zurücknehmen?


Nicht aus Deutschland. Wenn jemand vor Folter und Terrorismus flieht, haben wir die Verpflichtung zum Schutz, aber wenn es jemand bis Deutschland geschafft hat, dann sticht das menschenrechtliche Argument nicht mehr. Kurz, die Salvinis, Orbáns, Kaczyinskis haben leider die europäischen Spielregeln aufgeweicht und damit zerstört.


Was haben frühere Regierungen verabsäumt, damit diese Herren an die Macht kommen?


Im Zuge der Migrationswelle hatten wir einen Hang zu einfachen Antworten. Man muss den Menschen zeigen, dass die einfachen Formeln nicht funktionieren.


Sie meinen, dass die Wähler das Spiel nicht durchschaut haben?


Keineswegs. Die Leute wählen, was sie spüren. Unsere Alternative kann nur sein: Ernsthaftigkeit und Seriosität. Es gibt auf dieser Welt wenig Probleme, die du mit Schwarz-Weiß-Denken lösen kannst. Du kannst dich entscheiden, ob du Austria- oder Sturm-Fan bist. Globale Krisen lassen sich nicht mit einfachen Antworten lösen.


Vielleicht hatten die Leute den Eindruck, dass Ihre Versprechen in Sachen Flüchtlingspolitik nur Leerformeln sind.


Wir haben bewiesen, dass konsequente Arbeit wirkt. Die Asylanträge sind so gering wie seit 2000 nicht mehr. Und die Kriminalitätsrate ist auf einem 10-Jahres-Tief. Die Regierung tut das Gegenteil. Sie produziert Angst, aber keine Lösung.


Ich treffe viele Leute, die sagen: Kern habe ich gut gefunden, auch seinen Plan A, aber jetzt überzeugt er nicht mehr.


In der Opposition ist es unsere Aufgabe, die Regierung zu kritisieren. Das mag am Anfang Sympathien gekostet haben.


Vielleicht hat das ja auch mit der Rhetorik zu tun? Karli und Caorle?


Der springende Punkt ist, wir sind bei den Zustimmungsraten auf dem Niveau, bei dem wir bei den Wahlen waren. In der Politik werden immer gerne Haltungsnoten vergeben, für die Bevölkerung ist es ohne Relevanz. Ich würde mir wünschen, dass wir etwas differenzierter unsere Konzepte vortragen könnten. Aber im Moment bestimmt die Regierung die Agenda. Das wird sich auch wieder ändern. So what?