30. September, 20.45 Uhr - Wunschkonzert

Erster Tag der Hearings für die Kandidaten der künftigen EU-Kommission. Den Auftakt hat am Nachmittag Maros Sefcovics (Slowakei) gemacht, jetzt im Augenblick stehen parallel Mariya Gabriel (Bulgarien) und Phil Hogan (Irland) Rede und Antwort. Alle drei sind lange im Geschäft, alle waren sie schon bisher Kommissare (Sefcovics sogar schon für zwei Perioden). Sie gelten als nicht umstritten, dennoch werden sie von den Abgeordneten zu vielen Detailstandpunkten genauestes befragt. Also etwa: Was wollen Sie gegen Fake News unternehmen? Wie wollen Sie sicherstellen, dass das Projekt Horizon Europe finanziell gut ausgestattet wird? Was werden Sie unternehmen, um den Bürgern die Bedenken bei Handelsverträgen wie Mercosur usw. zu nehmen?

So geht es fort in einer Tour, jeder der Kandidaten hat außerdem davor schon einen umfangreichen Fragenkatalog erhalten und beantwortet. Vieles, was gesagt wird, lässt aufhorchen; zum Beispiel hat Gabriel gerade davon gesprochen, innerhalb von zwei Jahren einen europaweit gültigen, einheitlichen Studentenausweis einzuführen, der den jungen Leuten in vielfacher Hinsicht dienlich sein soll. Allerdings darf man dabei nicht aus dem Auge verlieren, dass die Stellungnahmen der Kandidaten Willenskundgebungen sind - ob alles dann auch tatsächlich so umgesetzt wird, ist längst nicht garantiert. Aber immerhin, grobe Schnitzer sollte sich keiner der Kandidaten erlauben. Das Parlament kann die gesamte Kommission auch ablehnen, wenn einer der Kandidaten nicht die Akzeptanz der Abgeordneten findet.

Am Dienstag an der Reihe: Nicolas Schmit (Luxemburg, Arbeitsplätze), Jutta Urpilainen (Finnland, Internationale Partnerschaften), Janusz Wojciechowski (Polen, Agrar), Ylva Johansson (Schweden, Inneres) und Stella Kyriakides (Zypern, Gesundheit). Der Ungar László Trócsányi (Erweiterung) wäre auch an der Reihe gewesen, er wurde aber im Vorfeld schon abgelehnt. An seiner Stelle hat Ministerpräsident Viktor Orban in aller Eile den bisherigen EU-Botschafter Oliver Varhelyi (47) nominiert, der fast seine gesamte Karriere in Brüssel verbracht hat - unter anderem auch in Diensten der Kommission.

29. September, 18.45 Uhr - Wahlparty

Mannerschnitten, Würstel, Bier und Orangensaft: In der ständigen Vertretung Österreichs in Brüssel wird der Wahlsonntag in Partylaune begangen. Zahlreiche Österreicher aus der "Brussels bubble" haben sich eingefunden und verfolgen die Berichte auf großen Schirmen. Es herrscht gute Stimmung, der Countdown im ORF bis zur Bekanntgabe der Hochrechnungen um 17 Uhr lässt viele an die Silvesternacht denken. Bloß die Pummerin fehlt.

Brüssel schaut nach Österreich: Wahlparty in der Ständigen Vertretung
Brüssel schaut nach Österreich: Wahlparty in der Ständigen Vertretung © Andreas Lieb

Als dann die Daten vorliegen geht erst ein Raunen durch den Saal (ÖVP) und dann ein Aufschrei (FPÖ) - mit der türkisen Erfolg hat man in Brüssel durchaus gerechnet, mit einem solchen Absturz für die FPÖ nicht. Der wichtigen Informationsplattform Politico ist das auch eine Eilmeldung wert. Viel Stoff für Diskussionen.

Im Mittelpunkt: Live-Übertragung aus Wien
Im Mittelpunkt: Live-Übertragung aus Wien © Andreas Lieb
Beträchtliches Interesse am österreichischen Wahlsonntag
Beträchtliches Interesse am österreichischen Wahlsonntag © Andreas Lieb

Die Distanz zwischen Brüssel und Wien bewirkt auch einen distanzierten Blick auf die Ereignisse; fast alle Anwesenden haben direkt oder indirekt mit dem jeweiligen Regierungsteam zu tun, es ist eine professionelle Zusammenarbeit ungeachtet persönlicher Vorlieben und Abneigungen. Im internationalen Blickfeld war es allerdings nicht immer einfach, die Rolle der FPÖ in Österreich und damit die Position des Landes selbst zu erklären, obgleich rechte Parteien auch in anderen Ländern erfolgreich sind. Die Regierungsbeteiligung der FPÖ war auch zur Zeit der Ratspräsidentschaft in der zweiten Hälfte 2018 oft ein Thema. Tenor des Abends: damit muss man sich in der nächsten Zeit wohl nicht mehr wirklich beschäftigen.

26. September, 19 Uhr - Schlaglichter

Ein paar Tage in Österreich (die Styria ist 150 geworden, das muss man feiern) und dann zurück in Brüssel und schon geht es drunter und drüber. Ein paar Schlaglichter.

Die Rumänen. Inzwischen ist es amtlich, die Rumänin Laura Kövesi (siehe unten) wird Leiterin der neuen Anti-Korruptionsbehörde der EU. Kövesi wurde von ihrem Heimatland nicht unterstützt, ganz im Gegenteil versuchte man, ihr selbst ein Korruptionsverfahren anzuhängen. Bemerkenswert ist nun, dass zu ihren Widersachern daheim die frühere Ministerin Rovana Plumb gehört - jene Dame, die nun als rumänische Kandidatin für einen Kommissarsposten vorgeschlagen wurde. Als Chefanklägerin versuchte Kövesi, Plumb wegen Amtsmissbrauch zu verfolgen (es ging um eine Donauinsel, die rechtswidrig für den PSD-Chef umgewidmet und verpachtet wurde), doch wurde Plumbs Immunität nicht aufgehoben und sie blieb unbehelligt. Das kann sich jetzt ändern: heute lehnte der EU-Justizausschuss die Kommissars-Kandidatin Plumb ab; inzwischen gilt aber ihre Immunität nicht mehr und es kann leicht sein, dass das alte Verfahren wieder auflebt. Zwei Rumäninnen im erbitterten Widerstreit - so schnell kann sich das Blatt wenden.

Der Kaffee-Unfall. Womit sich der Europäische Gerichtshof in Luxemburg beschäftigen muss: 2015 war eine Familie aus Österreich in einem Niki-Flugzeug von Mallorca nach Wien unterwegs, als ein Becher frischgebrühten Kaffees am Klapptisch ins Rutschen geriet und sich das heiße Getränk über ein sechsjähriges Mädchen ergoss. Das Kind erlitt Verbrennungen zweiten Grades und bis zum Obersten Gerichtshof (in Österreich) konnte die Frage nicht geklärt werden, ob es sich dabei nun um einen Unfall im Zuge des Fluges handelt oder nicht - klar, es ging um Schadenersatz. Die inzwischen insolvente Fluglinie hatte argumentiert, ein umgekippter Kaffeebecher sei kein Unfall, der aufs Personal oder aufs Fliegen zurückzuführen sei. Dem schloss sich der EuGH in einer Erklärung des Generalanwalts nicht an. Argument: Für Geschädigte ist es unzumutbar schwierig, einen Kausalzusammenhang mit der Luftfahrt nachzuweisen, weil es keinen Zugang zu den Daten gibt. Also sei so ein Vorkommnis grundsätzlich als Unfall zu werten, Flugzeug hin oder her. Das Urteil ergeht in etwa einem Jahr.

Der Ministerbesuch. Begegnung mit Digital- und Wirtschaftsministerin Elisabeth Udolf-Strobl in der Ständigen Vertretung in Brüssel. Sie nahm am EU-Wettbewerbsrat teil, dabei geht es unter anderem um eine neue Industriepolitik. Sie hält viel vom Plan der neuen Kommission, den sogenannten "Green Deal" und die AI (Artificial Intelligence)-Strategie voranzubringen. Österreich sei an sich gut aufgestellt, generell bedürfe es in der EU aber neuer Wettbewerbsregeln um sich gegen China oder die USA besser behaupten zu können.

Es ist ein sehr angenehmes Gespräch in entspannter, sachlicher Atmosphäre. Der Tag wird kommen, an dem wir die Expertenregierung vermissen werden.

19. September, 12.00 Uhr - Entscheidung

Gerade eben melden die Grünen in einer Aussendung, dass Laura Codruța Kövesi, ehemalige Leiterin der rumänischen Anti-Korruptionsbehörde, die Europäische Staatsanwaltschaft leiten wird. Die Ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten beschlossen soeben, sich der Forderung des Europäischen Parlaments anzuschließen und Laura Codruța Kövesi zur Chefanklägerin der Europäischen Union zu machen. Die Europäische Staatsanwaltschaft wird Betrug, Korruption, Geldwäsche und grenzüberschreitenden Mehrwertsteuerbetrug zu Lasten des Haushalts der Europäischen Union strafrechtlich verfolgen.  Bisher beteiligen sich 22 EU-Mitgliedstaaten an der Europäischen Staatsanwaltschaft, nicht dabei sind u.a. Polen und Ungarn.

Sven Giegold, finanz- und wirtschaftspolitischer Sprecher der Grünen/EFA-Fraktion, in einer ersten Reaktion: „Laura Codruța Kövesi ist die richtige Entscheidung und mit ihrer Erfahrung und Integrität eine Kampfansage der Europäischen Union an Betrug, Geldwäsche und Korruption. Die rumänische Staatsanwältin ist hervorragend qualifiziert, um die Europäische Staatsanwaltschaft zu einem schlagkräftigen Instrument für die Verteidigung des EU-Haushalts zu machen. Kövesi hat als Leiterin der rumänischen Anti-Korruptionsbehörde unerschrocken Korruption bekämpft und sich gegen die unrühmlichen Attacken der rumänischen Regierung aus Sozialdemokraten gewehrt. Die heutige Entscheidung ist eine Anerkennung für Laura Codruța Kövesi und ihre Erfolge und ein Schlag ins Gesicht der rumänischen Regierung.”

Ihr Heimatland selbst hat sich gegen Kövesi ausgesprochen. De facto hat Rumäniens Oberster Gerichtshof die von der umstrittenen Sonderermittlungsbehörde für Justizstraftaten gegen Kövesi erhobenen Vorwürfe jedoch schon seit April als "völlig haltlos" entkräftet, sämtliche gegen sie erlassenen Auflagen aufgehoben und die umgehende Einstellung des Verfahrens gegen die angesehene Staatsanwältin empfohlen.

18. September, 18.00 Uhr - Luxemburg-Eklat

Straßburg, erste Sitzung des EU-Parlaments nach der Sommerpause. Am Vormittag ist Christine Lagarde freundlich durchgewunken worden, das Parlament hat sich in einer Abstimmung für sie ausgesprochen. Ein Vorgang, der nicht rechtsverbindlich ist, aber als Stimmungsbarometer gilt.

Fast alle österreichischen Parteien im EU-Parlament unterstützen die Bestellung der Französin. Aber eben nur fast, die FPÖ ist auf Gegenkurs. Abgeordneter Roman Haider sagte, der amtierende EZB-Chef Mario Draghi habe Pleiteregierungen und Spekulanten mit billigstem Geld versorgt, die Immobilienpreise in Europa auf ein Rekordhoch getrieben und Billionen von Euro nach Gutdünken in Europa umverteilt. Bezahlt hätten dies in erster Linie die Sparer in der Eurozone. "Dass Frau Lagarde diese Politik fortsetzen möchte, kann man nur als gefährliche Drohung auffassen." 

Themenwechsel. Worüber in Straßburg geredet wird: Über das spektakuläre Ende des Besuchs von Boris Johnson bei Jean-Claude Juncker in Luxemburg am Montag. Wir haben darüber berichtet: Johnson hatte wieder einmal keine neuen Vorschläge dabei, das Essen endete ohne Ergebnis. Dann kam es zum Eklat, der heute auch die britische Presse auf den Titelseiten beschäftigt.

Das kam so: Rund um das Treffen hatte sich eine kleine Menschenmenge eingefunden, die lautstark gegen Johnson protestierte; man nimmt an, dass darunter viele Briten waren, die in Luxemburg (noch) arbeiten. Johnson war irritiert und versuchte der schlechten Stimmung zu entkommen. Wie es heißt, wollte er die nach dem Treffen mit Juncker geplante Pressekonferenz mit Premierminister Xavier Bettel vom Freien ins Gebäudeinnere verlegen. Das ging aber nicht, weil der Journalistenandrang groß und der Platz drinnen viel zu klein war. Johnsons Vorschlag, dann eben nur ausgewählte Journalisten einzulassen, wurde von Bettel abgelehnt.

Also zog Boris Johnson sein Ding alleine durch: Er ließ Bettel allein im (sprichwörtlichen) Regen stehen und zog sich mit einigen wenigen Pressevertretern in die britische Botschaft zurück.

Bettel, der also plötzlich ohne seinen Gast vor den beiden vorbereiteten Pulten und den Flaggen beider Länder stand, redete sich nach und nach in Rage. "Das ist ein Albtraum", sagte er. "Das sind hausgemachte britische Probleme und wir müssen alle damit fertig werden. Der Brexit ist nicht meine Entscheidung. Ich bedauere ihn zutiefst."

Suchbild: Wo ist Boris? Premier Xavier Bettel blieb alleine übrig
Suchbild: Wo ist Boris? Premier Xavier Bettel blieb alleine übrig © AP

Johnson hatte sich zuvor selbst mit der Comicfigur des "Unglaublichen Hulk" ("Je wütender Hulk wird, desto stärker wird Hulk") verglichen und damit grobe Zweifel an seiner Ernsthaftigkeit geweckt. Der Physiker Bruce Banner, der dank einer Überdosis Gammastrahlen bei Erregung zum grünen Riesen "Hulk" mit Wunderkräften wird (einer der Helden der "Avengers"-Filmreihe), ist als politisches Idol nur bedingt geeignet. Denn der Comic-Schöpfer Stan Lee war eigenen Angaben zufolge bei der Erschaffung des Hulk vor allem von "Dr. Jekyll und Mr. Hyde" sowie von Frankenstein beeinflusst.

13. September, 15.45 Uhr - Terminplan steht

So, jetzt ist dann das EU-Parlament am Zug. Es ist eine jener Phasen im komplexen EU-Gefüge, in denen das einzige multinationale Parlament auf dem Planeten eine besonders starke Position hat. Das Parlament kann die neue, von Ursula von der Leyen gebildete, Kommission schlicht durchfallen lassen.

In der Praxis ist es so, dass sich jeder der Kandidaten einem Hearing stellen muss. Das ist zwar vertraglich nicht fixiert, gilt aber als sinnvolles Werkzeug. Bei den Hearings wird es für einzelne Kandidaten eng - schaffen sie es nicht, das Parlament zu überzeugen, kann die designierte Präsidentin zusammen mit dem Heimatland des/der Betroffenen Ersatzkandidaten in aller Eile organisieren, um letzten Endes das Gesamtwerk nicht zu gefährden.

Wir haben bereits über die Personen berichtet, die sich jetzt schon darauf einstellen sollten, doch nicht ins Kommissionsgebäude einzuziehen:

László Trócsányi (EVP) - der Ungar soll Erweiterungskommissar werden, gilt aber als Architekt von Viktor Orbans umstrittener Justizreform und heute hat der "Spiegel" auch noch gemeldet, dass er im Verdacht steht, politische Ämter und wirtschaftliche Interessen nicht immer sauber getrennt zu haben. Laut dem Bericht - den er natürlich zurückweist - soll eine von ihm gegründete Kanzlei zahlreiche Regierungsaufträge erhalten haben - und zwar auch während seiner Zeit als Justizminister.

Janusz Wojciechowski (von der konservativen PiS) - gegen den Polen ermittelt die EU-Betrugsbehörde Olaf wegen möglicher Ungenauigkeiten bei Reisekostenabrechnungen im Europaparlament.

Rovana Plumb (S&D) - der Rumänin wird Amtsmissbrauch vorgeworfen.

Sylvie Goulard (Liberale) - Gegen die Französin wird wegen Vorwürfen von Scheinbeschäftigung ermittelt.

Eine "schöne" Parteienmischung. Es steht zu befürchten, dass das Prinzip "Auge um Auge, Zahn um Zahn" zur Anwendung kommt - wenn einer einmal auf die Abschussliste kommt, wird es auch einen anderen treffen. Deshalb ist auch die Reihenfolge der Hearings relevant - sie soll nächste Woche in Straßburg beschlossen werden. Der Terminplan steht ja bereits, die Hearings finden am 30. September sowie am 1./2./3./7./8. Oktober statt.

Doch das ist derzeit nicht die einzige Baustelle, die Ursula von der Leyen nach ihrer Team-Präsentation am Dienstag entstanden ist. An der Bezeichnung der Dossiers und an groben Unklarheiten über die Aufteilung wichtiger Themen scheiden sich die Geister. Am deutlichsten wird das beim ehemaligen Juncker-Chefsprecher Margaritis Schinas, der für Migration und Flüchtlingswesen zuständig ist und dessen Ressort "Schutz des europäischen Lebensmodells" heißt. Hier wird von vielen bereits Nachjustierung und Klärung gefordert. Aber auch Bereiche wie "Kultur", "Bildung", "Forschung" sind eher diffus zwischen mehreren Kommissaren aufgeteilt, das hat ebenfalls schon Unmut erzeugt. Allerdings muss man festhalten: Wirklich viel Zeit war ja nicht, um das riesige Paket zu schnüren.

10. September, 12.18 Uhr - Jetzt fix

Soeben ist die Liste bekanntgegeben worden: Johannes Hahn ist tatsächlich für Budget und Administration vorgesehen - einer der Spitzenjobs.

9. September, 21.00 Uhr - Spannung steigt

Ursula von der Leyen hat heute ihre Kommissarliste vorgestellt, sie enthält die Namen von 13 Frauen und 14 Männern. Überraschung gab es da keine mehr, im Grunde waren alle Namen vorab bekannt, weil die jeweiligen Herkunftsländer ja kein Geheimnis daraus machen konnten.

Geheim ist aber nach wie vor, wer welches Ressort bekommen soll. Und ob es nicht überhaupt gleich neue Ressorts (etwa Verteidigung, das Frankreich zufallen könnte) geben wird. Für Österreichs Kandidaten Johannes Hahn gilt es nach wie vor als hoch wahrscheinlich, dass er das wichtige Budgetressort bekommt. Aber genau weiß man das spätestens Dienstag zu Mittag, wenn die designierte Kommissionschefin ihre Pläne im Kommissionsgebäude präsentiert. Ganz klar, da sind wir dabei.

6. September, 16.00 Uhr - Alles anders

Die lustige Kandidatenmischmaschine dreht sich weiter. Inzwischen haben die APA-Kollegen eine neue Liste mit der möglichen Verteilung der Kommissarsposten aufgetrieben, der zufolge das Budgetressort nicht an Johannes Hahn gehen soll, sondern an den Belgier Didier Reynders, derzeit Außenminister. Hahn würde demnach doch, wie schon früh vermutet, das Thema Migration bekommen.

Die endgültige Liste der Nominierten soll am Montag veröffentlicht werden, am Dienstag liefert die künftige Kommissionschefin Ursula von der Leyen dann die Ressortaufteilung nach. Wirklich spannend wird es in der ersten Oktoberwoche: dann werden die vorgeschlagenen Kommissarinnen und Kommissare im EU-Parlament "gegrillt".

5. September, 15.00 Uhr - Wer wird was?

Kommende Woche, am 10. September, will Ursula von der Leyen ihr neues Spitzenteam vorstellen, bis dahin gibt es nur Rauchschwaden aus der Gerüchteküche. Und so ist eine der am häufigsten gestellten Fragen bei jedem offiziellen Anlass: "Weiß man schon, was... wird?"

In Österreicherkreisen geht es natürlich vor allem um Johannes Hahn, der schon zwei Perioden erfolgreich im Amt war (erst Regionalpolitik, zuletzt Erweiterung) und nun ein drittes Mal nominiert ist. In der Kommission haben sich die Hinweise darauf verdichtet, dass er vom deutschen Günther Oettinger das wichtige Budgetressort erbt. Berichtet hat das inzwischen auch das ungarische Nachrichtenportal 444.hu. Die Ungarn sind offensichtlich deshalb darauf gestoßen, weil sie selber Interesse an Hahns bisherigen Erweiterungsressort gezeigt haben, die APA berichtet nun davon, dass sie stattdessen das Katastrophenschutzressort bekommen.

Laut Portal bekommt die von Estland nominierte frühere Wirtschaftsministerin Kadri Simson das EU-Energieressort, der bisherige irische Agrarkommissar Phil Hogan den Handel. Dafür soll der Posten des Agrarkommissars an den polnischen Kandidaten Krzysztof Szczerski gehen. Die Französin Sylvie Goulard könnte laut dem Bericht ein neu geschaffenes Ressort für Verteidigung leiten.

Für Hahn (und Österreich) wäre das Budgetressort eine Top-Variante, es gilt als eines der Schlüsselressorts. Dazu kommt, dass in den nächsten Monaten der mehrjährige Finanzrahmen MFR unter Dach und Fach gebracht werden muss, nicht nur angesichts des Brexit eine Herkules-Aufgabe. Im Entwurf geht es um nicht weniger als 1278 Milliarden Euro...

4. September, 14.30 Uhr - Hearing

Acht Jahre: Für diesen langen Zeitraum wird man zum Chef der Europäischen Zentralbank EZB bestellt. Der Italiener Mario Draghi hatte den Job bisher, nun soll die Französin Christine Lagarde übernehmen, so beschloss es der EU-Personalgipfel auf allerhöchster Ebene.

Zwar hat das EU-Parlament in diesem Fall im Gegensatz zur Besetzung der Kommission kein Veto-Recht, aber es gilt als politische Notwendigkeit, dass auch die Volksvertreter mit der Entscheidung einverstanden sein können. Lagarde war deshalb heute bei einem Hearing im Wirtschafts- und Währungsausschuss und stieß zumindest bei den großen Fraktionen EVP und S&D auf wohlwollende Zustimmung.

EP-Vizepräsident Othmar Karas (ÖVP) kennt Lagarde schon lange und hat mit ihr in jeweils wechselnden Funktionen zusammengearbeitet. "Währungspolitik verlangt nach einer ruhigen Hand, Berechenbarkeit, Konsequenz, Verlässlichkeit, Vertrauen und globaler Verantwortung. Christine Lagarde ist die richtige Persönlichkeit zur richtigen Zeit am richtigen Platz", so sein Resumee.

Langjährige Zusammenarbeit: Christine Lagarde, Othmar Karas
Langjährige Zusammenarbeit: Christine Lagarde, Othmar Karas © KK

Ähnlich sieht man das bei den Sozialdemokraten. Die Fraktion äußerte sich hoch zufrieden, Lagarde habe alle zuvor gestellten Fragen in einem 78 Seiten starken Papier gut beantwortet. Es habe einen sehr interessanten und ergiebigen Meinungsaustausch mit Lagarde gegeben, so S&D-Wirtschaftskoordinator Jonas Fernandez. Seine Fraktion sagte volle Unterstützung zu. Verkneifen konnte man sich nicht einen Seitenhieb auf die EVP, die gezeigt habe, dass sie "taub und blind" gegenüber jenen Änderungen sei, die von den EU-Bürgern gewünscht werden.

Lagarde hat sich angesichts der bestehenden Konjunktursorgen für eine Fortsetzung der lockeren Geldpolitik ausgesprochen. "Die Wirtschaft in der Eurozone ist auf kurze Sicht mit einigen Risiken konfrontiert", sagte sie. Die Inflation im Währungsraum sei anhaltend zu niedrig und liege unter der Zielmarke. "Ich stimme daher mit der Ansicht des EZB-Rats überein, dass eine hochgradig konjunkturstützende Geldpolitik für eine längere Zeit gerechtfertigt ist." Gleichzeitig müsse die Notenbank aber auch die negativen Effekte einer unkonventionellen Geldpolitik im Blick haben. 

Lagarde gelobte jedenfalls: "Die EZB muss die Menschen verstehen, nicht nur die Märkte."

30. August, 18.00 Uhr - Intelligente Grenze

Nicht schlecht, die moderne Technik. Wer schon einmal mit dem Auto nach England unterwegs war und den Zug durch den Ärmelkanal benutzt hat, weiß das zu schätzen. Online buchen inklusive Zeitfenster, zum Terminal fahren und staunen: das System erkennt das Kennzeichen und hat somit alle Daten, gelegentlich wird gratis ein früherer Slot vorgeschlagen und wenn man über Bildschirm bestätigt, öffnen sich die Schranken und alle Lichter sind auf Grün. Lediglich für die Passkontrolle braucht es noch Menschen (die dann natürlich auch gleich schauen, ob man nicht Illegale im Kofferraum transportiert).

Immer noch ist Großbritannien begehrtes Ziel von Migranten und die französische Ärmelkanal-Küste zieht zahlreiche Geflüchtete an, die hoffen, auf Booten oder Lastwagen nach Großbritannien gelangen zu können. Calais ist wegen der Fähren und des (ohnehin stark abgeschotteten) Zuges ein Hotspot.

Im Juli wurde zuletzt ein Flüchtling fünf Kilometer vor der Küste aus dem Ärmelkanal gerettet; der Mann wollte die Strecke mit Flossen und Schwimmreifen zurücklegen, ein lebensgefährliches Unterfangen. Um die Welt ging kurz davor der Bericht über zwei illegale Einwanderer, denen es gelungen war, in Calais an Bord eines Ferrari-Lkw zu gelangen, der technisches Equipment von Maranello zum Grand-Prix-Gelände in Silverstone transportierte - dort wurden die beiden dann auch entdeckt.

Straße nahe Calais, heuer im Frühjahr: Das Bild entstand an einem Streiktag - der Brexit könnte ähnliche Szenen verursachen
Straße nahe Calais, heuer im Frühjahr: Das Bild entstand an einem Streiktag - der Brexit könnte ähnliche Szenen verursachen © APA/AFP/DENIS CHARLET

Aber zurück zur Technik. Frankreich bereitet sich auf den Brexit offensiv vor - auch in der Hoffnung, dass es keinen "No-Deal"-Austritt gibt, der alles wesentlich verschärfen würde. 700 Zöllner wurden bereits neu eingestellt. Geplant ist eine "intelligente Grenze", bei der der Warenverkehr über Onlineformulare und Strichcodes bzw. oben erwähnte Nummerntafelerkennung abgewickelt wird. Allein in Frankreich gibt es 100.000 Unternehmen, die auch in Zukunft mit Großbritannien arbeiten wollen.

Um sicher zu gehen, dass das klappt, proben die Franzosen nun einen Monat lang den "Brexit-Ernstfall". Heute Nachmittag hat das Projekt in Calais begonnen. Haushaltsminister Gérald Darmanin: "Während eines Monats werden wir so tun, als habe der Brexit stattgefunden. Für einen Großteil der Unternehmen werden wir eine Art Generalprobe ansetzen, um Ende Oktober rundum vorbereitet zu sein."

In England hat man übrigens gleich Tausende neue Zöllner eingestellt, die seit Monaten genau nichts zu tun haben (zur Erinnerung: bis wenige Tage zuvor war der lange fixierte Ausstiegstag der 29. März) und man hat wohl einmal Lkw-Staus rund um Dover durchgespielt, ob es aber wirklich ausgeklügelte und umsetzbare Pläne für den Tag nach dem Austritt gibt, ist unklar.

27. August, 13.00 Uhr - Gruß und Kuss

Noch schnell ein Nachtrag zum G7-Gipfel in Biarritz, weil es in den Sozialen Medien nach wie vor rund geht. Nein, nein, es dreht sich dabei weder um Brasilien, China oder den Iran - es sind die zahlreichen Kussbilder, die im Lauf des Treffens entstanden sind. Gut, der Gipfel hat ja recht lang gedauert und es gab ein reichhaltiges Begleitprogramm, aber so viel gebusselt wie diesmal wird eigentlich selten.

Am meisten lacht die Netzwelt über das hier:

© AP

Es bleibt viel Raum für Interpretationen, hier möge sich jeder selbst was einfallen lassen. Die First Lady fand übrigens auch Gastgeber Macron sehr nett:

© AP

Der US-Präsident, der vielleicht nicht besonders erfreut war, wie gut sein ungeliebter Nachbar Justin Trudeau bei Gattin Melania ankommt, ließ sich infolge umgehend von der französischen First Lady Brigitte Macron küssen:

© APA/AFP/LUDOVIC MARIN

Und setzte seine Bussi-Attacke auch gleich bei Angela Merkel fort. Die beiden hatten es im Umgang miteinander schon komplizierter.

© AP

Merkel wurde auch von Emmanuel Macron abgebusselt - Gattin Brigitte findet es lustig.

© APA/AFP/POOL/FRANCOIS MORI

Und schließlich stellte sich heraus, dass die US-französische Freundschaft zumindest bei den First Gattinnen eh in Ordnung ist - sollen die Jungs doch inzwischen streiten...:

© APA/AFP/POOL/JULIEN DE ROSA

26. August, 18.00 Uhr - Globaler Fonds

Beginnen wir die neue Woche mit einer guten Nachricht, die am Rande des G7-Gipfels in Biarritz spielt und deshalb fast untergegangen wäre. Die EU nimmt Geld, viel Geld in die Hand, um etwas gegen Aids, Tuberkulose und Malaria zu unternehmen.

Die Rekordsumme von 550 Millionen Euro wird in den Globalen Fonds fließen, mit dessen Hilfe die Ausbreitung der Krankheiten bekämpft werden soll. Seit seiner Einrichtung im Jahr 2002 konnten bis zu 27 Millionen Menschenleben gerettet werden, die hohe Summe, die nun fließt, rettet in weiterer Folge 16 Millionen weiteren Betroffenen das Leben.

Ziel ist es, alle diese Epidemien bis 2030 weltweit auszulöschen. Insgesamt sollen im Zeitraum 2020 bis 2022 12,6 Milliarden Euro aufgestellt werden. Mehr als 60 Länder beteiligen sich, im Oktober wird eine große Geberkonferenz in Lyon stattfinden. Weitere 1,3 Milliarden Euro gibt die EU in der laufenden Finanzperiode für den Gesundheitssektor in 17 Ländern, vor allem in Afrika aus.

Die 550 Millionen müssen allerdings im kommenden Mehrjährigen Finanzrahmen MFF untergebracht werden - eine der ersten, großen Aufgaben für die neue Kommissionschefin Ursula von der Leyen.

23. August, 18.00 Uhr - Die Zukunft

Zwei Monate ist EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker noch im Amt und es geht ihm wieder besser: Wie berichtet, musste er seinen Österreich-Urlaub wegen einer Gallenblasenoperation vorzeitig abbrechen. Jetzt ist er daheim in Luxemburg und auf dem Weg der Genesung. Nächste Woche will er die Arbeit wieder aufnehmen, beim G-7-Gipfel in Biarritz lässt er sich von Ratspräsident Donald Tusk (und Spitzenbeamten der Kommission) vertreten.

Die Kommission hatte heute wieder was zu dementieren, es gelang nur bedingt. Gestern hat die für gewöhnlich sehr gut informierte Nachrichtenplattform Politico ein umfassendes Dokument veröffentlicht, das die Zukunft der EU-Behörde umreißen soll. Dabei geht es unter anderem um ein stärkeres, defensives Europa, das sich so als ernstzunehmender Kontrahent zu den großen Blöcken, aber auch Mega-Konzernen positionieren will. Unter anderem durch einen 100 Milliarden Euro starken "Zukunftsfonds", der es mit Apple oder Alibaba aufnehmen soll - weil es in Europa einfach nichts in dieser Größe gibt.

Nun, die Kommission will dem Papier keine Bedeutung beimessen und spricht von "internen Dokumenten zur Ideenfindung", die noch lange nicht das Entscheidungsniveau erreicht hätten. Es gebe Tausende solcher Unterlagen, die aber erst in einem viel späteren Stadium den Entscheidungsträgern vorgelegt würden. Auch die designierte Präsidentin Ursula von der Leyen sei darüber nicht informiert, heißt es.

Nun, das Werk ist dafür aber sehr aufwendig unter Beteiligung so gut wie aller Abteilungen entstanden; es macht den Eindruck, dass es schon sehr ausgegoren ist. Falls es sich jemand im Detail anschauen möchte: Die Politico-Kollegen haben es unter diesem Link ins Netz gestellt.

21. August, 12.45 Uhr - Zurück aus dem Urlaub

Die heißen Tage unter griechischer Sonne sind vorbei; erstaunlicher Weise ist es auch in Brüssel sehr sommerlich, nicht weit weg von 30 Grad. Das hilft beim Arbeits-Neubeginn nur bedingt.

Griechenland also heuer, immer noch eine der beliebtesten Feriendestinationen der Österreicher. Die Flieger sind voll, allerdings waren die Strände und Tavernen in früheren Jahren noch stärker frequentiert. Yannis, unser Hausherr, meint, dass der Rückgang im Tourismus dieses Jahr bis zu 20 Prozent ausmachen könnte. Er schiebt es auf die Türkei, die nach einem Durchhänger in den letzten Jahren nun wieder in der Gunst der Feriengäste gestiegen ist - die Sonne scheint dort genauso warm und es ist billiger. Urlaubsbucher folgen ihren eigenen Überzeugungen.

Allerdings sind viele Russen da - fast immer in den teuren Unterkünften. Eine große Villa in der Nachbarschaft, in der rund zehn Leute Platz haben, ist für die gesamte Saison, von April bis Oktober, von einer einzigen russischen Familie gebucht, die in wechselnder Besetzung Ferien macht. So gehts natürlich auch.

Yannis geht es gut, er hat lange in Deutschland gelebt, spricht mehrere Sprachen fließend, ist Unternehmer und besitzt einige schicke Ferienhäuser. Aber er kann es sich nicht verkneifen, auf das Flüchtlingsdrama hinzuweisen - die EU habe sein Land zwar gerettet, aber den Gürtel für die Griechen zu eng geschnallt und sie mit dem Migrantenstrom allein gelassen.

Was auffällt: in allen Lokalen bekommt man inzwischen eine Rechnung in die Hand gedrückt, selbst wenn es nur um ein paar Eislutscher geht. EU-Kommissar Valdis Dombrovskis hat gestern erst einen Erfolg vermeldet: Ein Jahr, nachdem Griechenland die letzte Phase des Stabilitätsprogramms abgeschlossen hat, gebe es erfreuliche Entwicklungen. Das Wirtschaftswachstum, das 2010 noch bei minus 5,5 Prozent lag, hat sich bei 1,9 bis 2 Prozent im Plus eingependelt. Die Arbeitslosenrate ist mit 17,6 Prozent immer noch "unakzeptierbar hoch", war im Jahr 2013 aber schon bei 27,5 Prozent. Und der Staatshaushalt bewege sich seit 2015 stabil im Plusbereich (0,5 bis 1,1 Prozent).

Viel haben sie schon geschafft, die stolzen Griechen. Aber der Weg ist noch nicht zu Ende
Viel haben sie schon geschafft, die stolzen Griechen. Aber der Weg ist noch nicht zu Ende © Andreas Lieb

Weder in den Ferienorten noch in den kleinen Dörfern mit den malerischen Tavernen trifft man auf Migranten - sie sind weit weg auf den Inseln, Samos oder Lesbos. Aber wenn man aufs Wasser der libyschen See blickt, bekommt man eine leise Ahnung davon, wie dramatisch die Lage war und jederzeit werden kann.

Bei einem Segeltörn schaut der Skipper hinaus aufs Meer und sagt, wenn sein Boot im Herbst nicht mehr jeden Tag gebucht ist, will er einmal mit seiner Frau einen Trip nach Malta machen. 500 Seemeilen sind das, für das schnittige Schiff kein Problem. Die Vorstellung, das Meer auch nur auf einem Bruchteil dieses Weges mit einem rostigen Schlepperkahn bewältigen zu müssen, lässt uns kalte Schauer über den Rücken laufen. Trotz der Hitze.

20. Juli, 18.30 Uhr - Heikle Entscheidung

So viel war von den fünf Top-Jobs der EU in den letzten Monaten die Rede, dass eine weitere Postenbesetzung es nicht mehr in die Schlagzeilen schaffte. Dabei ist sie mindestens ebenso brisant.

Zu besetzen ist das Amt des Europäischen Generalstaatsanwalts (EUGSt). Im Frühjahr nahm der Ausschuss für bürgerliche Freiheiten (LIBE) im EU-Parlament eine Reihung der Kandidaten für das wichtige Amt vor. Laura Codruţa Kövesi aus Rumänien wurde mit 26 Stimmen zur Spitzenkandidatin gewählt, Jean-François Bohnert aus Frankreich erhielt 22 Stimmen und Andrés Ritter aus Deutschland 1 Stimme.

Die Europäische Staatsanwaltschaft (EUStA) wird als unabhängige, dezentrale Einrichtung der EU ab Ende 2020 zuständig sein für die Ermittlung und Verfolgung von gegen den EU-Haushalt gerichteten Straftaten wie Betrug, Korruption oder grenzüberschreitenden Mehrwertsteuerbetrug mit einem Volumen von mehr als 10 Millionen Euro. Die Liste der Straftaten könnte künftig erweitert werden, z.B. um den Terrorismus.

Es ist also eine ziemlich heikle Position. Und die Geschichte von Laura Kövesi ist es auch: Sie war nämlich in ihrem Heimatland Rumänien, das soeben seinen Ratsvorsitz hinter sich gebracht hat, ebenfalls schon Leiterin der Anti-Korruptionsbehörde. Und fiel dort, weil sie gut arbeitete, prompt in Ungnade. Rumänien steht mit der Rechtsstaatlichkeit auf Kriegsfuß, Kövesi verlor nicht nur ihren Job, sondern wurde kurzerhand selbst wegen Korruption, Amtsmissbrauch und Falschaussage angeklagt - was für beträchtliche Erregung im EU-Parlament sorgte.

Vermutlich bald schon Europäische Generalstaatsanwältin: Laura Codruta Kövesi
Vermutlich bald schon Europäische Generalstaatsanwältin: Laura Codruta Kövesi © AP

Nun tut sich was in der Sache. Gestern zog Frankreich die Kandidatur Bohnerts überraschend zurück, der als Kandidat des Rats galt. Bohnert wird nun Chef der Finanzstaatsanwaltschaft in seinem Heimatland - und Frankreich unterstützt offiziell Kövesi. Als Grund wird vor allem das "geografische Gleichgewicht" angeführt, das es einigermaßen zu wahren gelte, nachdem beim Postenschacher der letzten Wochen kein einziger EU-Top-Job an Osteuropa gegangen war. Zudem werde Paris mit der Laura Kövesi gewährten Unterstützung auch verdeutlichen können, welches Gewicht es Rechtsstaatlichkeit, insbesondere in Rumänien, beimesse.

Ein starkes, demokratisches Signal - besonders an Länder wie Rumänien, Ungarn und Polen.

17. Juli, 19.00 Uhr - Inhalte

Die Grünen spielen eine wichtige Rolle, gestärkt durch das gute Ergebnis bei den EU-Wahlen und die allgemeine Klimadebatte - auch dank Greta Thunberg. Jetzt geht es darum, einen Platz im Gefüge von Parlament, Kommission und Rat zu finden.

Die Unterstützung für Ursula von der Leyen haben sie verweigert. Mit folgendem Argument: "Frau von der Leyen hat gehofft, mit grünen Überschriften die grünen Stimmen zu bekommen", sagte der EU-Parlamentarier Sven Giegold. Es müsse aber um Inhalte gehen, nicht um Überschriften. Dabei war schon die Rede davon, dass es bald wieder einen grünen Kommissar geben könnte.

Ko-Fraktionschef Philippe Lamberts ging am Mittwoch in Straßburg gleich noch weiter. Das Stimmgewicht der Grünen entspreche "vier Kommissaren" in von der Leyens 28-köpfiger Kommission. "Wenn sie uns wollen, müssen sie bezahlen." Auch Lamberts betonte, es gehe den Grünen "an erster Stelle um das Programm". Damit verbunden seien aber "Positionen mit Verantwortung" in der EU-Exekutive. Er sei "verärgert" über Staats- und Regierungschefs wie Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, sagte der Belgier. "Die sagen uns, ein Kommissar reicht".

Österreich wird ja vermutlich dabei bleiben, Johannes Hahn ein weiteres Mal vorzuschlagen und somit keinen weiblichen Kandidaten. Monika Vana, Delegationsleiterin der österreichischen Grünen im Europaparlament, möchte nun zumindest das noch in die Entscheidung reklamieren: "Wir Grüne fordern deswegen die Bundesregierung und den Hauptausschuss auf, auch eine Frau in den österreichischen Vorschlag aufzunehmen. In Österreich gibt es dafür genügend kompetente wie europapolitisch profilierte Persönlichkeiten."

16. Juli, 19.31 Uhr - Ergebnis

In diesem Augenblick betritt Ursula von der Leyen den Plenarsaal. Angeblich - unbestätigt - hat sie 383 Stimmen erhalten. Das ist knapp. Aber trotzdem ein Sieg. Die EU hat die erste weibliche Kommissionspräsidentin!

16. Juli, 18.35 Uhr - Abstimmung

Ein Großteil der Stimmen ist abgegeben, die Urnen sind gefüllt. Alles dreht sich um eine magische Zahl: 374. Hat Ursula von der Leyen soviele Stimmen oder mehr, ist sie neue Kommissionspräsidentin. Liegt das Ergebnis darunter, geht alles drunter und drüber: von der Leyen wäre in diesem Fall weg, der Europäische Rat müsste innerhalb von vier Wochen über einen Sondergipfel einen neuen Kandidaten nominieren und alles würde von vorne beginnen.

So schaut er aus: das ist der Stimmzettel, mit dessen Hilfe die historische Entscheidung getroffen wird
So schaut er aus: das ist der Stimmzettel, mit dessen Hilfe die historische Entscheidung getroffen wird © AP

16. Juli 18.00 Uhr - Die Wahl beginnt

Jetzt geht es im Plenarsaal in Straßburg offiziell los; die Reihen füllen sich, der neue Präsident David Sassoli hat eben Platz genommen, die historische Wahl kann beginnen - wird Ursula von der Leyen die erste Frau an der Spitze der EU-Kommission?

Die Wahl ist geheim und läuft daher nicht über das elektronische Votingsystem. Wie in alten Zeiten werden Zettel ausgeteilt, die dann in gläsernen Wahlurnen eingesammelt werden.

Ursula von der Leyen im EU-Parlament
Ursula von der Leyen im EU-Parlament © APA/AFP/FREDERICK FLORIN

Als erstes werden acht Wahlprüfer bestellt. Beim Verlesen der Namen herrscht ausgelassene Stimmung, Sassoli muss mehrfach lachen. Alle sind aufgekratzt. Jeder weiß: es ist ein Abend, der in die Geschichte der EU eingehen wird.

16. Juli, 10.30 Uhr - Die Debatte

Was kann man sagen? Ursula von der Leyen hat eine engagierte, geradezu flammende Rede gehalten, sie bekam viel Applaus und von einem Gutteil der Anwesenden standing ovations. Sie holte weit aus - vielleicht einmal mehr zu weit, es schien wieder, als wollte sie allen alles versprechen. Hauptpunkte waren der Klimawandel, soziale Sicherheit und Rechtsstaatlichkeit, wobei sie sich viel vorgenommen hat, aber man muss bedenken, dass sie ja auch als Kommissionspräsidentin nicht einfach alles im Alleingang entscheiden kann. Etwa ihren neuerlich vorgebrachten Vorschlag, den Brexit noch einmal zu verschieben, wenn es gute Gründe gibt - das liegt schon gar nicht an ihr, Brexit-Tag ist der 31. Oktober und wenn sie gewählt wird tritt sie ihr Amt erst am Tag danach an.

Während sich die Sozialdemokraten fast überraschend eher zustimmend zeigten, blieben Grüne und Linke beim Nein - sie sehen zu wenig konkrete Vorschläge. Deutlich gegen seine Landsfrau wetterte auch AfD-Chef Jörg Meuthen (ID) - was diese zur Replik veranlasste: "Herr Meuthen, ich bin geradezu erleichtert, dass ich Ihre Stimme nicht bekomme."

Ähnlich stark reagierte sie auf die kläffende Rede von Brexit-Betreiber Nigel Farage, der von einer neuen Form des Kommunismus sprach und wieder einmal meinte, er sei froh darüber, dass sein Land die EU verlasse. Von der Leyen: "Ich möchte noch einmal bekräftigen, wie sehr uns unsere britischen Freunde am Herzen liegen. Aber, Herr Farage - auf Reden wie Ihre können wir gerne verzichten."

Auch wenn der Ausgang der Abstimmung immer noch unklar ist und es nach wie vor sehr knapp werden kann: Ursula von der Leyen hat mit ihrer großen Rede heute Punkte gut gemacht und ist dem Sessel des EU-Kommissionschefs näher gekommen.

16. Juli, 9.00 Uhr - Die Rede

Straßburg, Europaparlament. Gerade eben hat Ursula von der Leyen den Plenarsaal betreten, in wenigen Augenblicken beginnt die vielleicht wichtigste Rede ihrer Karriere. Herzlichste Bussi-Begrüßung gibt es für die Grüne Sarah Wiener - diese ist im Dirndl gekommen, die beiden Damen kennen sich offensichtlich gut. Interessant auch deshalb: Die Grünen wollen von der Leyen geschlossen nicht wählen.

12. Juli, 12.00 Uhr - Auf Empfängen

Eine gute Tradition in Brüssel sind Empfänge aller Art, gerade jetzt im Sommer ist das eine willkommene Abwechslung und wird auch gerne zum Netzwerken genutzt.

Diese Woche gab es gleich mehrere mit starkem Österreich-Bezug - bevor der ganze EU-Tross am kommenden Montag wieder nach Straßburg abdampft (und dann wohl in die Ferien. Außer es muss ein neuer Juncker-Nachfolger gesucht werden).

Mittwoch Abend jedenfalls luden die Wiener zum "Urban Summer Social" in ihre Vertretung. Die Leiterinnen des Verbindungsbüros der Stadt Wien, Michaela Kauer, sowie der Büros der Wirtschaftsagentur Wien, Susanne Strohm, und der Wiener Stadtwerke, Elisa Schenner, informierten über aktuelle Themen aus der Sicht der Stadt Wien. Unter den vielen Gästen: die EU-Abgeordneten Monika Vana (Grüne) und Bettina Vollath (SPÖ). Auch die Generalsekretärin des Netzwerks der großen europäischen Städte, Eurocities, Anna Lisa Boni, nahm teil.

Gestern Abend dann Kärnten-Empfang in der City. Ein bestens gelaunter Landeshauptmann Peter Kaiser (SPÖ), der kurz davor Jean-Claude Juncker getroffen hatte und auch Kommissar Johannes Hahn (in dem Augenblick, in dem die Nachricht von dessen dritter Nominierung gekommen war) begrüßte die Gäste an der Seite von Hausherrin Martina Rattinger und Karl-Heinz Lambertz, Präsident des Ausschusses der Regionen. Unter den Gästen auch dieses Mal Bettina Vollath (die steirische Neo-Abgeordnete versprach, sich auch für Kärntner Belange stark zu machen), Botschafterin Elisabeth Kornfeind sowie die Leiterin des Österreichischen Kulturforums, Marina Chrystoph, die kurz vor ihrem Sprung nach Paris steht. Und natürlich zahlreiche weitere Persönlichkeiten.

Gutes Gespräch: Jean-Claude Juncker, Peter Kaiser
Gutes Gespräch: Jean-Claude Juncker, Peter Kaiser © (c) Illias Teirlinck

10. Juli, 17.05 Uhr - Regner gewählt

Gerade eben wurde bestätigt: die SPÖ-Abgeordnete Evelyn Regner wurde zur Vorsitzenden des Ausschusses für Frauenrechte und Gleichberechtigung gewählt. Das ist der erste Vorsitz seit zehn Jahren, der wieder nach Österreich geht.

"Ich freue mich als Vorsitzende für ein Europa einzutreten, in dem Frauen endlich alle Chancen haben. Für mich steht fest: Im 21. Jahrhundert darf es keinen Unterschied mehr machen, welches Geschlecht man hat oder wen man liebt", sagte  Regner unmittelbar nach ihrer Wahl zur Vorsitzenden. "Ob in Polen, Ungarn oder in ganz Europa – Frauenrechte sind wieder in Gefahr", betonte Regner und ergänzte: "In den letzten Jahren hat sich das EU-Parlament im Kampf gegen den Backlash als Schutzgarant für Frauenrechte bewiesen. Ich will diese Rolle weiter stärken, denn der Status Quo in Sachen Gleichstellung ist alles andere als zufriedenstellend."

Bereits seit 1957 ist in den Verträgen der EU das Bekenntnis für gleichen Lohn von Frauen und Männern für die gleiche Arbeit zu finden, die Realität sehe jedoch anders aus. "Frauen verdienen im europäischen Durchschnitt immer noch um 16,3 Prozent weniger als Männer. Österreich ist mit 21,7 Prozent überhaupt eines der Schlusslichter", so Regner, die auch Mitglied im Wirtschafts- und Währungs- sowie Beschäftigungsausschuss ist

10. Juli, 12.00 Uhr - Vorsitz möglich

Nach der EU-Wahl und der konstituierenden Sitzung des Parlaments werden nun die Ausschüsse gebildet - dort, wo zwischen den Plenarsitzungen die eigentliche Arbeit passiert. Und es zeichnet sich ein Erfolg für Österreich ab: Evelyn Regner, zuletzt SPÖ-Delegationsleiterin (in dieser Funktion wurde sie von Spitzenkandidaten Andreas Schieder abgelöst) hat beste Chancen, heute Nachmittag zur Vorsitzenden des Ausschusses für Frauenrechte und Gleichstellung zu werden. Die Entscheidung fällt kurz nach 17 Uhr. Klappt es, so wäre das der erste österreichische Ausschuss-Vorsitz seit zehn Jahren. Damals war es ebenfalls ein SPÖ-Abgeordneter: Herbert Bösch leitete bis 2009 den Haushaltskontrollausschuss.

8. Juli, 19.00 Uhr - Erstes Treffen

Irgendwie sind im EU-Getriebe alle Akteure in sonderbare Rollen gerutscht. Ursula von der Leyen, die vor einer Woche wohl an alles mögliche gedacht haben wird, nur nicht daran, vermutlich bald schon als Chefin der mächtigsten EU-Instituition zu arbeiten, sieht sich zu einer Charmeoffenisve genötigt - und die Grünen, die bei der Diskussion um die neue Kommissionschefin nur eine Zuschauerrolle bekamen, sehen sich auf einmal umworben.

Also so: Von der Leyen muss sich nächste Woche dem EU-Parlament zur Wahl stellen. Sie wirds wohl schaffen, aber leicht ist das nicht. Die Stimmen von EVP und Liberalen reichen nicht, die Sozialdemokraten zeigen sich überaus widerwillig, wenngleich hier (besonders im Umfeld des spanischen Regierungschefs Pedro Sanchez) so manch einer umfallen wird. Gut macht es sich nicht, wenn die neue Kommissionspräsidentin auf das rechte Lager angewiesen ist oder auf Parteien wie die polnische PIS.

Also versucht sie im proeuropäischen Teich zu fischen, und natürlich bei den Grünen. Heute Abend gab es also ein Treffen der Grünen Fraktionsführer Ska Keller und Philippe Lamberts und die Grünen sind plötzlich in der Lage, Forderungen zu stellen. Es habe eine "sehr nette Atmosphäre geherrscht", ließ Keller wissen, um konkrete Themen sei es diesmal noch nicht gegangen - das werde aber sehr wohl der Fall sein, wenn von der Leyen noch einmal mit der Fraktion zusammentrifft.

Keller ließ keinen Zweifel daran, dass es ihr nicht um die Personen, sondern um die Inhalte geht - das hatte sie im Gespräch mit der Kleinen Zeitung schon am entscheidenden Gipfel betont. Und die Inhalte haben es in sich: Seenotrettung, Migration, Klimaschutz, Rechtsstaatlichkeit. Keller: "Was im Mittelmeer vorgeht, ist nicht akzeptabel. Die Seenotrettung ist für uns eine zentrale Frage."

Es sei längst noch nicht fix, dass die Grünen für von der Leyen stimmen. Man könnte es auch so ausdrücken: sie muss in Sachthemen klare Zugeständnisse machen. "Wir warten auf Konkretes", sagt Keller. Und weiter: "Ursula von der Leyen kam mit viel gutem Willen, aber wenn das Haus brennt, reicht guter Wille allein nicht aus. Unsere Stimmen sind weder billig, noch auf Kosten des Planeten zu haben."

Es wäre ein Treppenwitz der Geschichte, würden auf diese Weise gerade jene "linken" Themen Priorität in der Arbeit der neuen Kommissionspräsidentin bekommen, wegen derer Orban und Macron und die Visegradstaaten nicht nur Manfred Weber, sondern in der Folge auch den Sozialdemokraten Frans Timmermans verhindert haben.

Am Mittwoch will von der Leyen auch mit der S&D-Fraktion sprechen. Jede Stimme zählt...

4. Juli, 9.25 Uhr - Musikerwahl

An anderer Stelle haben wir den Vergleich schon erwähnt: das neue EU-Parlament erweckt derzeit den Eindruck einer Schulklasse, die sich nach den Ferien zum ersten Mal trifft; mit vielen neuen Schülern, die das Schulgebäude und die Gepflogenheiten nicht kennen und denen man erst einmal zeigen muss, wie es läuft.

Gerade eben hatte der neue Präsident David Sassoli, der Schuldirektor gewissermaßen, so eine Einführung zu machen. Immerhin 62 Prozent, also fast zwei Drittel, aller Abgeordneten, sind Neulinge. Sie müssen somit nicht nur in das allgemeine Procedere eingewiesen werden (wofür auch ihre Mitarbeiter zuständig sind), sondern zum Beispiel auch in die Geheimnisse des elektronischen Abstimmungssystems - es soll ja am Ende das auf der Anzeigetafel stehen, was die Abgeordneten wollten.

Nach der Wahl der Vizepräsidenten (gestern noch) stand also vor wenigen Minuten die Wahl der fünf Quästoren auf der Tagesordnung; das sind Mitglieder des Parlaments, die mit Verwaltungs- und Finanzaufgaben betraut sind. Sie fungieren als Bindeglied zwischen der Parlamentsverwaltung und den Abgeordneten und achten etwa darauf, dass die Abgeordneten über die erforderliche Infrastruktur zur Wahrnehmung ihres Mandats verfügen.

Der Vorgang: es müssen fünf Mitglieder aus einer Liste gewählt werden. Für einen Probelauf, damit nicht gleich beim ersten Versuch alles schief geht, ließ Sassoli eine Testabstimmung durchführen - mit Musikernamen. Das Ergebnis: Es gewann Paul McCartney vor Jennifer Lopez, gefolgt von Phil Collins, Ed Sheeran und Vanessa Paradis. Zu wenig Stimmen gab es für Bruno Mars und Stromae.

(Bei der richtigen Wahl hat dann alles geklappt. Die neuen Quästoren sind Anne Sander, Monika Benova, David Casa, Gilles Boyer und Karol Karski.)

Das Ergebnis: Paul McCartney setzte sich gegen Jennifer Lopez durch
Das Ergebnis: Paul McCartney setzte sich gegen Jennifer Lopez durch © Andreas Lieb (Screenshot)

3. Juli, 18.05 Uhr - Wiedergewählt

In diesem Augenblick werden die Ergebnisse zur Wahl der Vizepräsidenten des Europaparlaments bekanntgeben. Der österreichische ÖVP-Delegationsleiter Othmar Karas wurde mit 477 Stimmen neuerlich gewählt. Er war bereits von 2012 bis 2014 Vizepräsident.

3. Juli, 15.30 Uhr - Der Besuch

Das ging aber fix: Gestern für den Posten als EU-Kommissionspräsidentin nominiert, hat Ursula von der Leyen heute bereits alle Termine gestrichen und ist zum EU-Parlament nach Straßburg geeilt. Das Parlament ist die Hürde, die sie nehmen muss. Die Volksvertreter haben mit Mehrheit die Macht, die Vergabe der beiden Top-Jobs Präsidentin und Außenbeauftragter abzulehnen. Also ist die deutsche Verteidigungsministerin auf Charme-Offensive unterwegs. Als erstes kam sie zur EVP-Fraktion, wo sie sich gleich einmal durch Menschentrauben kämpfen musste (natürlich auch viele wartende Journalisten), weitere Gespräche mit anderen Fraktionen wird es wohl auch geben. In zwei Wochen, bei der nächsten Sitzung, fällt bereits die Entscheidung - die Zeit ist knapp.

3. Juli, 14.45 Uhr - Vorstellung

Inzwischen hat der neue EP-Präsident seine Antritts-Pressekonferenz abgehalten. Sehr oft spricht David-Maria Sassoli davon, das Parlament müsse die Kommunikation nach außen noch verbessern. Die Bürger und besonders die jungen Leute wüssten immer noch zu wenig, was da geleistet werde. Sassoli räumt ein, er sei überrascht gewesen, als er gestern plötzlich damit konfrontiert worden sei, Präsident zu werden. Seine Überlegung für die Zusage: "Ich bin nicht der Mann des Rates, ich bin der Mann des Parlaments."

Erste Pressekonferenz als Präsident: David-Maria Sassoli (links)
Erste Pressekonferenz als Präsident: David-Maria Sassoli (links) © Andreas Lieb

Konkreten Fragen versucht er, elegant auszuweichen. Etwa jener, wie das Parlament sich gegenüber dem Personalpaket des Rates verhalten wird: "Als Präsident ist es meine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass eine Debatte stattfinden kann entsprechend der Geschäftsordnung."

3. Juli, 13.05 Uhr - Zweiter Wahlgang

Jetzt hat es geklappt, im zweiten Wahlgang schaffte der italienische Sozialdemokrat David-Maria Sassoli die absolute Mehrheit, er folgt damit seinem Landsmann Antonio Tajani (EVP) für zweieinhalb Jahre als Präsident des Europäischen Parlaments nach. Laut Drehbuch soll danach Manfred Weber, EVP-Fraktionsführer, das Amt übernehmen.

3. Juli, 11.18 Uhr - Erster Wahlgang

Der erste Wahlgang im EU-Parlament in Straßburg ist abgeschlossen, mit interessantem Ergebnis. 735 Stimmen wurden abgegeben, 662 davon gültig. Für die Mehrheit bedurfte es also 332 Stimmen - und Favorit Sassoli kam auf 325 - knapp vorbei also... Für den Rechtskonservativen Zahradil stimmten 162, deutlich mehr als für die Grüne Keller (133). Rego bekam 42 Stimmen.

Kurz vor 12 Uhr kommt es nun zum nächsten Urnengang. Zur Erinnerung das Procedere: In drei Abstimmungen kann der Präsident werden, der die absolute Mehrheit erhält. Geht sich das nicht aus, gibt es eine Stichwahl zwischen den beiden Stimmenstärksten. Es läuft also tatsächlich auf Sassoli hinaus...

3. Juli, 10.15 Uhr - Zu den Urnen

Die Nacht war kurz. Der dritte, ungeplante Teil des Personal-Sondergipfels in Brüssel hat die Terminpläne aller Beteiligten durcheinandergebracht. Die Entscheidung für die Top-Jobs fiel am frühen Abend, dann hatten die Medien noch allerhand zu tun um darüber ausführlich zu berichten - und dann ging es erst auf ins fast fünf Stunden entfernte Straßburg. Eine nächtliche Karawane zog also Richtung Frankreich. Drei, vier Stunden Schlaf, mehr geht sich da nicht aus.

Jetzt also Sraßburg, wo in diesem Augenblick der erste Wahlgang für den neuen Parlamentspräsidenten stattfindet. Eine geheime Wahl - deshalb ist auch das ausgeklügelte elektronische System, das sonst bei Abstimmungen eingesetzt wird, nicht in Verwendung. Vielmehr werden Wahlzettel ausgeteilt und Angestellte gehen mit gläsernen Urnen durch die Reihen.

Der scheidende Parlamentspräsident Antonio Tajani hält einen Hinweis für angebracht: "Die Wahl findet ohne externe Einflüsse durch ein freies und autonomes Parlament statt." Zu offensichtlich hatte am Tag davor der Rat mit den Posten geschachert. Das Parlament will sich da heraushalten - schafft es aber nicht, denn natürlich sind auch die Abgeordneten ihren Parteien im Wort. Vier Kandidaten gibt es: die Deutsche Ska Keller (Grüne), die Spanierin Sira Rego von der Linksfraktion und der Tscheche Jan Zahradil von der EU-kritischen EKR-Fraktion sowie der italienische Sozialdemokrat David-Maria Sassoli. Die freie und autonome Wahl schaut so aus, dass es wohl Sassoli werden wird für eine Periode (zweieinhalb Jahre). In der zweiten Halbzeit, so der Plan, soll der gescheiterte Spitzenkandidat Manfred Weber (EVP) zum Zug kommen. Nach dem Motto: Wenn die Konservativen den Kommissionspräsidenten bekommen, können die Sozialdemokraten wenigstens einmal das Parlament kriegen.

Erste Halbzeit also rot, zweite Halbzeit schwarz. Wird das so gemacht, hat die EVP in zweieinhalb Jahren immerhin zwei von drei Top-Jobs ergattert. Die Parlamentsführung bleibt damit in italienischer Hand: Tajani kommt ja auch von dort.

2. Juli, 11.45 Uhr - Brexit-Party

Zwei EU-Schauplätze zur gleichen Zeit: In Brüssel geht der Sondergipfel weiter, die Staats- und Regierungschefs sitzen jetzt grad zusammen und streiten sich weiter über das Personalpaket. Offiziell hat der Gipfel um 14 Uhr mit einem Essen begonnen.

Inzwischen findet in Straßburg die konstituierende Sitzung des Europaparlaments statt. Gleich einmal mit einem Aufreger zu Beginn: Die Brexit-Party von Nigel Farage, bei den Wahlen in Großbritannien ja überaus erfolgreich, wendet dem Parlament während der Hymne demonstrativ den Rücken zu:

1. Juli, 22.15 Uhr - Ska Keller kandidiert

Eine ganz aktuelle Meldung vorweg: Soeben haben die Grünen bekanntgegeben, dass Fraktionschefin Ska Keller offiziell für den Posten des Parlamentspräsidenten kandidiert.

1. Juli, 21.30 Uhr - Zitterpartie

Der EU-Gipfel zu den Postenbesetzungen geht also am Dienstag weiter. Die 28 Staats- und Regierungschefs haben also ordentlich ihre Terminkalender über den Haufen geworfen (wir Journalisten auch - eigentlich beginnt ja zur selben Zeit die konstituierende Sitzung des EU-Parlaments in Straßburg), aber das gehört zum Geschäft. Die Kandidaten - ausgewiesene und solche, deren Namen aus diversen Zauberhüten gezogen werden und ebenso zauberhaft wieder verschwinden - können einem da auch leid tun, müssen aber nicht. Sie sind Politiker und haben es sich selbst ausgesucht, so ist das nun mal.

Allerdings schwebt über einigen von ihnen noch ein besonderes, unsichtbares Damoklesschwert. Weil sich die Entscheidung so lange hinzieht und halt eins unmittelbar mit dem anderen verknüpft ist, sitzen sie an einer Art virtuellem Roulettetisch und müssen auf rot oder schwarz, auf hopp oder tropp setzen.

Am entspanntesten kann noch Michel Barnier sein. Er ist nach wie vor Brexit-Chefverhandler und sein Job ist noch nicht erledigt. Zumal er sich eh nicht beworben hat, kann er tun, was er tun muss und braucht sich keine weiteren Gedanken zu machen. Ist er plötzlich doch wieder als Kompromisskandidat gefragt, kann er sich immer noch entscheiden.

Eher locker hat es auch Margrethe Vestager. Sie ist amtierende Wettbewerbskommissarin und hat gute Chancen, es auch zu bleiben, falls aus dem Präsidentenjob nichts wird. Komplizierter ist die Sache aber schon für den Sozialdemokraten Frans Timmermans. Er ist/war Vizepräsident der Kommission und hat ja als Spitzenkandidat für das Parlament kandidiert. Beides zugleich geht nicht: Nimmt er das Parlaments-Mandat nicht an, weil er hofft, Kommissionschef zu werden und das klappt dann nicht, ist er zwischen den Sesseln durchgefallen. Nimmt er aber das Mandat an (etwa in der Hoffnung, in diesem Fall wenigstens Parlamentspräsident zu werden) und es haut auch im Parlament nicht mit der Wahl hin, wäre er auf einmal einfacher Abgeordneter. In diesem Fall ein ziemlicher Abstieg.

Noch komplizierter ist das für Manfred Weber. Das Parlament hat die Wahl zum Präsidenten um einen Tag verschoben, von Dienstag auf Mittwoch. Idealerweise kommt der Rat nun doch am Dienstag zu einer Einigung, dann weiß Weber mit Sicherheit, dass er entweder doch Kommissionspräsident wird (unwahrscheinlich) oder aber zumindest als Trostpflaster Parlamentspräsident werden kann (wenn sich eine Mehrheit findet). Gibt es aber keine Rats-Entscheidung und lässt sich das Parlament nicht auf eine weitere Verschiebung ein, muss Weber Farbe bekennen: Wählt er einen erreichbaren Job, den er gar nicht angestrebt hat (Parlamentspräsident) und nimmt sich damit für die Kommission automatisch selbst aus dem Rennen, oder steht er nicht als Parlamentspräsident zur Verfügung - und wird dann, wenn die Kommission bei jemand anderem landet (sehr wahrscheinlich) gar nichts außer Abgeordneter und Fraktionschef - was er bisher schon war.

27. Juni, 22.30 Uhr - Fraktionslos

Falls sich jemand fragt: Nigel Farage und seine Brexit-Truppe, bei der EU-Wahl in England überaus erfolgreich, ist bei keiner der Fraktionen im neuen EU-Parlament untergekommen. Die Liste EFDD (Europa der Freiheit und direkten Demokratie) scheint nicht mehr auf. Ihr gehörten bisher Farages Brexit-Partei sowie die Fünf-Sterne-Bewegung aus Italien an. Sie hätten gemeinsam eigentlich weit mehr als die nötigen 25 Abgeordneten, die es für die Bildung einer Fraktion braucht.

Was ist passiert? Angeblich hat die EFDD die zweite Bedingung nicht geschafft, wonach die Mandatare aus mindestens sieben EU-Staaten kommen müssen. Einige bisherige Mitglieder wurden nicht wiedergewählt, andere kamen in Salvinis Rechtsfraktion Identität und Demokratie (ID) unter, und so kam die erforderliche Ländervielfalt nicht mehr zustande. Die Brexit- und Fünf-Sterne-Abgeordneten gehören damit der Gruppe der fraktionslosen Abgeordneten an. Allerdings kann sich das jederzeit ändern, wenn entsprechende Partner gefunden werden.

26. Juni, 11.25 Uhr - Das Ergebnis

Gestern, am 25. Juni, war die vereinbarte Deadline, seit wenigen Augenblicken steht die Zusammensetzung der Fraktionen und die jeweilige Zahl der Abgeordneten im neuen EU-Parlament für die Periode 2019 bis 2014 fest. Die EVP ist, trotz des Verlustes von 34 Mandaten, wieder die mit Abstand stärkste Fraktion. Und so schauts aus:

EVP 182

S&D 154

RE (Liberale) 108

Grüne 75

ID 73

ECR 62

GUE/NGL 41

ID steht für "Identität und Demokratie" und ist der Nachfolger der ENF (Europa der Nationen und der Freiheit), das Sammelbecken der Rechtspopulisten rund um Matteo Salvini, der nun auch die FPÖ wieder angehört. Die Fraktion landete auf Platz fünf, knapp hinter den Grünen. Die ECR , die Europäischen Konservativen und Reformer, sind die "anderen" Rechten, zu denen etwa die Polnische PIS gehört. GUE/NGL sind die vereinten Linken.

24. Juni, 13.00 Uhr - Kandidatur

Es ist die Zeit der Kandidaten. Ob Nationalratswahl in Österreich oder Personalpoker um die EU-Spitzenjobs. Ein Österreicher strebt eine Kandidatur an ganz anderer Stelle an: Clemens Martin Auer, von 2005 bis 2018 Sektionschef im Gesundheitsministerium und als solcher maßgeblich an allen Gesundheitsreformen dieser Zeit beteiligt, bewirbt sich um die Leitung der Europaregion der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ab 2020.

Die Europaregion geht weit über das Gebiet der EU hinaus, wie Auer dieser Tage bei einem Gespräch in Brüssel erklärte. Sie umfasst 53 Länder, "von Israel bis Norwegen, von Kasachstan bis Island". Nominiert wurde er von Österreich, seine fünf Mitbewerber kommen aus Armenien, Bulgarien, Georgien, Belgien und der Türkei. Vier von ihnen arbeiten bereits für die WHO, Auer nicht - gerade diese "Außenseiterrolle" sieht er als Vorteil, denn die WHO strebe grundlegende Veränderungen an und gerade das schaffe jemand von außen leichter.

Kandidiert für die Leitung der WHO-Europaregion: Clemens Martin Auer
Kandidiert für die Leitung der WHO-Europaregion: Clemens Martin Auer © Andreas Lieb

Auer will sich für einen besseren Zugang zu Medikamenten einsetzen und die Länder vereinen, um bessere Bedingungen mit der Pharmaindustrie aushandeln zu können. Das in Österreich existierende System von Einzelordinationen hält er für nicht ideal. Im Übrigen seien neue Strategien gegen antibiotika-resistente Keime dringend nötig, hier sieht er eine wesentliche Bedrohung im gesamten Gesundheitssystem.

Auer ist Präsident des European Healthforum Gastein - eine interdisziplinäre europäische Gesundheitskonferenz, an der EU-Kommission, WHO und Gesundheitsministerium beteiligt sind. Die geheime Wahl des neuen Regionaldirektors für Europa erfolgt bei der nicht-öffentlichen Sitzung des Regionalkomitees von 16. bis 19. September in Kopenhagen.

21. Juni, 13.15 Uhr - Eine Woche Zeit

Inzwischen nähert sich  der zweite Teil des Gipfels bereits seinem Ende, unspektakulär verlief dieser Vormittag. Gerade eben hat Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker das Gebäude verlassen und sich zu Fuß auf den Weg auf die gegenüberliegende Seite zum Kommissionsgebäude gemacht, verfolgt im Schritttempo von der Wagenkolonne und Sicherheitsleuten - das Wetter in Brüssel ist schön, der Weg nicht weit und Juncker hat auch früher schon gelegentlich das Protokoll auf diese Weise aus der Fassung gebracht.

Grade davor gab die deutsche Kanzlerin Angela Merkel ihre Pressekonferenz. Zur gescheiterten Klima-Erklärung sagte sie, man müsse den Fortschritt in der Sache sehen, noch im März wäre die Zustimmung zu den Zielen bei weitem nicht so groß gewesen wie jetzt. Und was das Personalpaket betrifft, so sei sie ohnehin nicht davon ausgegangen, dass dieser Gipfel eine Entscheidung bringt, man habe jetzt immer noch genügend Zeit bis zum Sondergipfel am 30. Juni. Keiner der Spitzenkandidaten (Weber, Timmermans, Vestager) würde derzeit eine Mehrheit schaffen, nun müsste man sich halt wieder mit dem Parlament zusammensetzen. Für die drei scheint die Sache gelaufen zu sein, doch in Wirklichkeit ist das letzte Wort noch immer nicht gesprochen.

Will keinen der Spitzen-Posten: Angela Merkel
Will keinen der Spitzen-Posten: Angela Merkel © Andreas Lieb

Merkel stellte auf Anfrage einmal mehr klar, dass sie selbst nicht daran denke, eine der Spitzenpositionen einzunehmen. Auch die österreichische Kanzlerin Brigitte Bierlein hat inzwischen das Ratsgebäude verlassen - für sie war es ein intensiver, erster EU-Gipfel, der bis halbdrei Uhr morgens gedauert hat.

20. Juni, 22.45 Uhr - Schlusserklärung

Gerade eben ist die Schlusserklärung des ersten Gipfeltages gekommen. Die Erklärung zu den Klimazielen ist zwar reichlich schwammig und die angestrebte Einigung am Widerstand östlicher Mitgliedsländer gescheitert (Polen, Ungarn, Tschechien und Estland), aber wenigstens kam eine Art Bekenntnis zum Handlungsbedarf heraus und das ist besser als nichts.

Abgehakt wurde eine Reihe weiterer Punkte; Finnland, kommendes Ratsvorsitzland, wurde mit den finalen Verhandlungen zum mehrjährigen Finanzrahmen beauftragt, es soll noch mehr gegen Desinformation und Cyberattacken unternommen werden, wegen der Ukrainekrise (und nach wie vor wegen des Abschusses der Passagiermaschine) wird weiterhin Druck auf Russland ausgeübt und ebenso auf die Türkei wegen der illegalen Bohrtätigkeiten im Aegeischen Meer.

Die Nacht wird noch lang werden, das Personalpaket hat hohe Priorität und die Zeit drängt. Aus dem Sitzungssaal dringt kaum noch Information, dort sind übrigens alle Handys (auch die der Staats- und Regierungschefs) elektronisch abgeschirmt.

Es ist anzunehmen, dass das Dinner schon vorbei ist. Was es gegeben hat: Als Vorspeise wurde grüner Spargel mit einem Räucherlachsfilet und gerösteten Mandeln aufgetischt. Gebratenes Rindsfilet mit Rucola und Kartoffelpuffer machten den Hauptgang aus. Als Dessert wurden Erdbeeren mit Limetten gereicht. 

20. Juni, 18.00 Uhr - Tajanis Abschiedsrunde

Während der Gipfel ist es üblich, dass die Präsidenten der Institutionen auf dem Weg in den Pressesaal durch das Foyer des Ratsgebäudes gehen, dort, wo die Journalisten ihre Arbeitsplätze haben. Umgeben von einem Pulk von Mitarbeitern und Sicherheitsleuten, manchmal bleiben sie auch stehen und sagen ein paar Sätze (Ratspräsident Donald Tusk zum Beispiel immer in polnischer Sprache zu seinen Landsleuten).

Antonio Tajani im Pressesaal. Es schien, als wollte er heute länger bleiben
Antonio Tajani im Pressesaal. Es schien, als wollte er heute länger bleiben © Andreas Lieb

Heute fiel auf, dass Parlamentspräsident Antonio Tajani relativ lang im Saal blieb, angeregt unterhielt er sich mit jedem, der eine Frage hatte. Erst viel später als üblich ging er dann zur wartenden Limousine und blieb auch dort längere Zeit mit jemandem ins Gespräch vertieft. Es sieht so aus, als hätte er ein wenig mit Abschiedsschmerz zu kämpfen. Tajani, einst selbst Journalist, erlebt derzeit seinen vermutlich letzten Gipfel (möglicherweise gibt es wegen des immer noch ungeschnürten Personalpakets kommende Woche noch einen Sondergipfel - das wäre dann aber wirklich der letzte). Am 2. Juli beginnt die konstituierende Sitzung für das künftige Parlament. Dann zieht ein neuer Präsident in die noblen Repräsentationsräume im Obergeschoß des Parlaments ein - wer auch immer das sein wird.

Abfahrt in der üblichen schwarzen Limousine (Audi A8): Ein wenig zugewartet
Abfahrt in der üblichen schwarzen Limousine (Audi A8): Ein wenig zugewartet © Andreas Lieb

20. Juni, 15.00 Uhr - Doorstep

Inzwischen hat Kanzlerin Brigitte Bierlein auch den "Doorstep" hinter sich. Das ist jene kurze Pause am roten Teppich, wenn die Staats- und Regierungschefs auf ihrem Weg vom Auto ins Innere des Ratsgebäudes kurz innehalten und sich den Fragen der Journalisten (vorwiegend TV und Radio) widmen. Bierlein zeigte sich gut vorbereitet, sie berichtete von Gesprächen mit den Präsidenten der drei Institutionen - Antonio Tajani, Donald Tusk und Jean-Claude Juncker. Den Gipfel-Entwurf für die Klimaziele 2050 unterstütze sie, Österreich werde ihn mittragen.

20. Juni, 12.45 Uhr - Der Besuch

Es ist die erste Auslandsreise, die Brigitte Bierlein als Kanzlerin unternimmt, und sie führt ins Herz der EU zu einem extrem wichtigen Termin. Heute und morgen sollen ja auf dem EU-Gipfel in Brüssel die Weichen für viele wichtige Themen wie Klimaschutz oder mehrjähriger Finanzrahmen gestellt werden, vor allem aber geht es um das Personalpaket für die höchsten Positionen in der EU.

Freundliche Begrüßung in der Ständigen Vertretung: Schallenberg, Bierlein
Freundliche Begrüßung in der Ständigen Vertretung: Schallenberg, Bierlein © Andreas Lieb

Bierlein wurde in der Ständigen Vertretung von Botschafter Nikolaus Marschik empfangen und vom vielköpfigen Team der Vertretung mit Applaus begrüßt, dann gab es noch eine Extra-Gesprächsrunde mit den österreichischen Korrespondenten. Dort erneuerte Bierlein ihr Bekenntnis: "Ich bin eine leidenschaftliche Europäerin". Begleitet wird die neue Kanzlerin von Außenminister Alexander Schallenberg - an sich ist das ungewöhnlich, aber Schallenberg ist ein ausgewiesener EU-Experte und kann der Regierungschefin in heiklen Dingen beratend zur Seite stehen.

Gesprächsrunde mit EU-Journalisten: Bierlein, Schallenberg, Marschik und die Pressesprecher Wagner und Winterstein
Gesprächsrunde mit EU-Journalisten: Bierlein, Schallenberg, Marschik und die Pressesprecher Wagner und Winterstein © Andreas Lieb

Das Hauptthema, die Personalia, wird übrigens erst beim Abendessen besprochen. Es sieht nicht danach aus, als würde heute noch eine Entscheidung fallen. Vielmehr wollen die 28 Staats- und Regierungschefs auch morgen, am Freitag noch darüber beraten. Und notfalls gibt es, im Lauf der kommenden Woche, noch einen Sondergipfel.

16. Juni, 19.30 Uhr - Beispiel Österreich

Am Wochenende veröffentlichte die EU-Kommission einen Bericht über Cyber-Attacken rund um die EU-Wahl, wir haben online darüber berichtet. Kurz zusammengefasst: Es gab keinen "Big Bang", aber dafür viele Angriffe im kleineren Stil. Und natürlich: die Russen waren`s.

Laut Sicherheitskommissar Julian King hat sich der Ansatz  verändert: Anstelle großer Datenleaks sollten vor allem Fake Accounts und Bots dafür sorgen, dass bereits vorhandene, umstrittene Inhalte verbreitet werden. So solle ein Effekt auf lokaler Ebene erzielt und die politische Debatte radikalisiert werden. "Innenpolitische Akteure übernahmen die Taktik und die Narrative der russischen Quellen häufig um die EU und ihre Werte anzugreifen", heißt es in dem Bericht. Demnach wurden beispielsweise die demokratische Legitimität der EU hinterfragt sowie kontroverse Debatten zum Thema Migration aufgegriffen. Dieses Vorgehen sei deutlich schwieriger aufzuspüren als groß angelegte Attacken.

Was bei all dem ein wenig untergegangen ist: Ausdrücklich erwähnt der Bericht nicht nur das Feuer in Notre Dame, das offensichtlich sofort zur Verstärkung der Ablehnung westlicher und christlicher Werte missbraucht wurde, sondern auch den Sturz der österreichischen Regierung und die Umstände, die dazu geführt haben. Die böswilligen Cyber-Akteure hätten es verstanden, die Krise einem "Europäischen Staat im Staate", dem deutschen oder auch dem spanischen Geheimdienst oder geheimnisumwitterten Einzelpersonen in die Schuhe zu schieben, heißt es in einem im Bericht eigens hervorgehobenen Text.

Zitat aus dem EU-Bericht über Cyber-Attacken: Ibiza als Beispiel für gezielte Informationsmanipulation
Zitat aus dem EU-Bericht über Cyber-Attacken: Ibiza als Beispiel für gezielte Informationsmanipulation © Lieb/Screenshot

16. Juni, 15.00 Uhr - Einer mehr

Kurzer Nachtrag zum Zuwachs bei den Grünen (siehe eins weiter unten) - inzwischen zählt die Fraktion schon 75 Mitglieder, letzter Neuzugang ist der Deutsche Damian Boeselager von der Partei Volt. Gewählt haben die Grünen inzwischen auch schon ihren künftigen Fraktionsvorsitz, der im Wesentlichen dem bisherigen entspricht: Die Grünen/EFA-Fraktion hat die Doppelspitze Ska Keller (der mittlerweile schon Chancen auf das Amt des Parlamentspräsidenten eingeräumt werden) und Philippe Lamberts als Fraktionsvorsitzende wiedergewählt. Zum ersten Stellvertreter wählten die Abgeordneten Alyn Smith. Stellvertreter und Schatzmeister ist Bas Eickhout, weitere Stellvertreterinnen und Stellvertreter sind Terry Reintke, Alice Bah Kuhnke, Molly Scott Cato, Gwendoline Delbos Corfield und Ernest Urtasun. Die EFA-Fraktion (European Free Alliance) wählte Alyn Smith zu ihrem Vorsitzenden.

9. Juni, 19.00 Uhr - Piraten-Zuwachs

Ein Nachmittag in Pairi Daiza. Einzigartige Mischung aus Welt-Themenpark und Zoo, in fünf Stunden durch alle Kontinente dieser Welt, kaum eine Stunde von Brüssel entfernt. Viele andere sind am Pfingstsonntag auch auf diese Idee gekommen (man trifft sogar Kollegen), aber dennoch kaum Wartezeiten und alle Labestationen in Betrieb - nicht einmal geregnet hat es, fast ein Wunder in Belgien.

Nach der Rückkehr ein Blick auf die E-Mail-Flut der letzten Tage und ein Aha-Erlebnis: Die Grünen, die sich ohnehin über eine sehr erfolgreiche EU-Wahl freuen dürfen (plus 19 Mandate, von 50 auf 69 aufgestockt) haben inzwischen weiteren Zuwachs bekommen. Denn eine Reihe von unabhängigen Listen hatte es in so manchen Ländern geschafft und nun laufen die Verhandlungen, in welchen Fraktionen sie unterkommen könnten - ohne Fraktion im Hintergrund ist ein einzelner EU-Abgeordneter nicht gut dran. Und so haben drei neue Abgeordnete der tschechischen Piratenpartei, ein Vertreter der Piratenpartei Deutschland sowie der Abgeordnete von "Die Partei", ebenfalls aus Deutschland, Unterschlupf bei den Grünen gefunden. Aktueller Mandatsstand der Fraktion daher: 74. Weitere Verhandlungen, so heißt es, sind im Laufen.

6. Juni, 14.45 Uhr - Der Top-Job ruft

Die EU-Wahl ist geschlagen, der Basar ist eröffnet. Es geht nicht nur um die fünf Superposten in den EU-Institutionen, es geht (unter anderem) auch um die neuen Kommissare. Heute vormittag sind erste Wünsche eingetroffen. Estland hat als erster Mitgliedsstaat eine offizielle Kandidatin, die frühere Wirtschaftsministerin Kadri Simson soll die neue EU-Kommissarin des Baltenlandes werden. Für welchen Bereich, ist derzeit unklar: Irgendwas, das mit ihrer früheren Arbeit zu tun hat, wäre nicht schlecht, sagt die 42-Jährige. Ihr gerade noch amtierender Vorgänger Andrus Ansi, Kommissions-Vizepräsident und für den digitalen Binnenmarkt zuständig, könnte ins Europaparlament wechseln und sein Amt vorzeitig niederlegen.

Auch Italien hat sonst keine Sorgen, als sich schon im Kampf um die Posten aufzublähen. Industrie- und Arbeitsminister Luigi Di Maio, Vizepremier und Chef der populistischen Regierungspartei Fünf Sterne, will für sein Land die Position des Industriekommissars. Sein Argument: "Wenn wir die italienische Industrie verteidigen wollen, die zu 99 Prozent aus Unternehmen mit durchschnittlich 15 Mitarbeitern besteht, müssen wir einen EU-Kommissar haben, der sich mit Unternehmen und Handel befasst." Dass ein EU-Kommissar ausdrücklich über den Interessen seines Heimatlandes stehen muss, hat sich in Populistenkreisen offensichtlich noch nicht herumgesprochen.

Kurzer Blick zurück auf Mittwochnachmittag. Nach der eindeutigen Wahl zum Fraktionsvorsitzenden der EVP sprach Spitzenkandidat Manfred Weber mit Journalisten darüber, wie er die kommenden Tage und Wochen sieht. Mehrfach sprach er von notwendigen Veränderungen (im Wahlkampf war ihm vorgeworfen worden, zu sehr Bewahrer des Bisherigen zu sein) und er sagte deutlich, die EVP sei bereit für Kompromisse. Ohne Unterstützung von Sozialdemokraten, Liberalen und/oder Grünen kann er nicht Nachfolger von Jean-Claude Juncker werden und der Gegenwind ist rau. Besonders um die Grünen schien sich Weber dabei bemüht zu haben, die Liberalen rund um Emmanuel Macron haben sich als Widersacher entpuppt.

Kernphase der Verhandlungen hat begonnen: Manfred Weber
Kernphase der Verhandlungen hat begonnen: Manfred Weber © Andreas Lieb

Der Spitzenkandidat setzt jedenfalls Hoffnungen darin, dass es zwischen Rat und Parlament zu keinem offenen Konflikt kommen werde. Das Parlament hat ja das Spitzenkandidaten-Prinzip unterstützt, unter der Staats- und Regierungschefs gibt es geteilte Meinungen.

In der Fidesz-Frage (die Orban-Partei ist innerhalb der EVP suspendiert, ihre Mitglieder haben nun aber offensichtlich für Weber als Fraktionschef gestimmt - zuletzt schien ein Verbleib in der EVP wieder sehr wahrscheinlich, nachdem sich die Populisten zu keiner "Auffangfraktion" zusammenfinden können) verwies Weber auf den Weisenrat und dessen noch ausständige Erkenntnisse. Unter Federführung von Herman Van Rompuy befasst sich unter anderem auch Alt-Kanzler Wolfgang Schüssel mit den Abtrünnigen.

Zu Sebastian Kurz, der Weber im gesamten Wahlkampf massiv unterstützt hatte (was nun im Rat ein Problem sein könnte) blieb Weber eher kurz angebunden. Was die Stimme Österreichs derzeit sei, lasse sich nicht so genau sagen.

5. Juni, 11.00 Uhr - Bereichsaufteilung

Und schon geht es weiter; die ÖVP hat sich in ihrem Team die Bereichsaufteilung ausgeschnapst. Karas ist zuständig für Wirtschaft/Währung sowie Industrie/Forschung/Energie, Edtstadler übernimmt gleich vier Themen (Bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres/Recht/Konstitutionelles/Menschenrechte), die Steirerin Simone Schmiedtbauer kümmert sich um Landwirtschaft und ländliche Entwicklung/Regionale Entwicklung/Fischerei, Lukas Mandl um Auswärtige Angelegenheiten/Sicherheit und Verteidigung/Entwicklungspolitik. Angelika Winzig macht Haushalt und internationalen Handel, Barbara Thaler Verkehr und Fremdenverkehr, Binnenmarkt und Verbraucherschutz sowie Beschäftigung und Soziales, Alexander Bernhuber kümmert sich umd Umwelt, Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, Kultur und Bildung sowie um Petitionen.

Und soeben wird bekannt: Manfred Weber wurde neuerlich zum EVP-Fraktionsvorsitzenden gewählt. Von 160 abgegebenen Stimmen waren 156 gültig, alle entfielen auf den Bayern. In den Augen der EVP sind damit die Chancen auf den Kommissionspräsidenten für Weber wieder gestiegen.

4. Juni, 16.45 Uhr - Teilzeitlösung

Nach den EU-Wahlen formieren sich die österreichischen Abgeordneten im EU-Parlament neu. Gerade eben hat die ÖVP bekanntgegeben, wie sich die nunmehr sieben Parlamentarier intern organisieren: Othmar Karas, ÖVP-Spitzenkandidat bei der EU-Wahl, bleibt weiterhin Delegationsleiter, allerdings nur für ein Jahr. Dann übergibt er die Funktion an die Listenzweite Karoline Edtstadler, die mehr Vorzugsstimmen als Karas eingeheimst hatte und bis 2020 dafür erste Stellvertreterin von Karas ist. Angelika Winzig, die gleichzeitig auch Klubobfrau-Stellvertreterin des ÖVP-Nationalratsklubs bleibt, wird zweite stellvertretende Delegationsleiterin. Lukas Mandl wurde zum Schatzmeister der Delegation gewählt.

Der Wechsel von Karas zu Edtstadler soll automatisch erfolgen, heißt es von der einstimmig gefassten Lösung. Zu hören ist, dass Karas danach auch weiterhin im EU-Parlament bleiben wird - offensichtlich, um Gerüchten vorzubeugen.

Ursprünglich war der Plan gewesen, dass Karoline Edtstadler, eine enge Vertraute von ÖVP-Chef und Ex-Kanzler Sebastian Kurz, für einen Kommissars-Posten vorgeschlagen wird, dann hätte sich die Weichenstellung in der Delegation erübrigt. Nach dem Ende der Regierung dürfte es dazu nun nicht mehr kommen - was im Übrigen die Chancen von Johannes Hahn, noch eine weitere Periode in Brüssel zu bleiben, erhöht.

29. Mai, 16.30 Uhr - Kurzer Gipfel

Kurzer Rückblick auf einen kurzen Gipfel. Im Grunde trafen sich am Dienstag 28 Staats- und Regierungschefs zu einem Abendessen in Brüssel. Einziger Punkt der Tagesordnung: Personelles. Wie ausführlich berichtet, stehen nach der EU-Wahl wichtige Postenbesetzungen an. Die Chefsessel von Kommission, Parlament und Rat sind zu vergeben, als Draufgabe jener des Außenbeauftragten und jener des EZB-Chefs.

Zwei Welten prallen aufeinander: Im EU-Parlament hatte es einen Wahlkampf mit Spitzenkandidaten gegeben (allerdings bekanntermaßen ohne transnationale Listen), im Europäischen Rat sehen das nicht alle mit Begeisterung, manche wie Emmanuel Macron wollen selbst Kandidaten ins Spiel bringen. Es geht ums Prinzip, einigen müssen sich die beiden Institutionen aber auf jeden Fall. Nächste Gelegenheit dafür ist am 20. und 21. Juni beim regulären Sommergipfel, Ratspräsident Donald Tusk und die deutsche Kanzlerin Angela Merkel zeigen sich optimistisch, dass zu diesem Zeitpunkt schon konkrete Namen auf dem Tisch sind.

Alle betonten nach dem Treffen, es sei jetzt eben noch nicht um Namen gegangen, sondern vielmehr um das Procedere und das Abwägen der vielen Faktoren, die bei den Postenbesetzungen eine Rolle spielen. Naja - sicherheitshalber wurden alle Mobiltelefone im Beratungssaal mit einer technischen Abschirmeinrichtung außer Funktion gesetzt, damit nicht doch einer im Überschwang was in die weite Welt hinaustwittert...

Mit dabei im Kreis der Regierenden: Österreichs Interims-Bundeskanzler Hartwig Löger (ÖVP). Brüssel ist aber natürlich kein Neuland für ihn, als Finanzminister und während des Ratsvorsitzes war er sehr oft im EU-Viertel und im Ratsgebäude.

Nach dem Gipfel gefragter Interviewpartner: Interims-Bundeskanzler Hartwig Löger
Nach dem Gipfel gefragter Interviewpartner: Interims-Bundeskanzler Hartwig Löger © Andreas Lieb

27. Mai, 19.30 Uhr - Was kommt, was bleibt

Noch sind nicht alle Länderergebnisse offiziell bestätigt, schon sitzt man in Brüssel beieinander und überlegt, wie es nun weitergeht. Die Informationsplattform Politico, um die man weder in Washington noch in Brüssel herumkommt, hat zum hochrangig besetzten Brunch geladen. Wer der eigentliche Gewinner der Wahl sei, wird da Martin Selmayr gefragt, Generalsekretär der Kommission und damit höchster Beamter. "Gewinner ist die Demokratie", sagt er und meint damit nicht nur die hohe Wahlbeteiligung. Violeta Bulc, liberale Kommissarin (Transport und Mobilität) antwortet ähnlich: "Gewinner ist die EU".

Wer wird nun Kommissionspräsident? Für Martin Weber, immer noch Kandidat der stimmenstärksten Fraktion EVP, schaut es nicht besonders gut aus. Aber, so erinnert man sich in der Runde, vor fünf Jahren hatte Jean-Claude Juncker nicht einmal die eigene EVP geschlossen hinter sich, auch nicht die S&D - und er wurde trotzdem Präsident.

Damals schon war Viktor Orban ausgeschert, diesmal macht er es wieder. Die Frage ist, ob die Fidesz in der EVP bleibt oder ob sie in einer neuen Rechtsfraktion unterkommt; und wenn, mit wem. Christ- und Sozialdemokraten werden sich mit Liberalen und Grünen verständigen müssen, da führt kein Weg vorbei. Das alles kann dauern, wenn es um die Top-Jobs geht. Selmayr geht eine Wette ein: "Die nächste Kommission ist schneller gebildet als die belgische Regierung." Naja - groß ist diese Herausforderung nicht. Aber es wird einige Treffen brauchen. Diesen Dienstag gibt es einen Sondergipfel, in vier Wochen ist dann wieder ein regulärer Gipfel in Brüssel, wo man schon auf konkretere Gespräche hofft.

Am Tag nach der Wahl: Bütikofer, Bulc, Murphy, Hirsch, Selmayr und Moderator Ryan Heath
Am Tag nach der Wahl: Bütikofer, Bulc, Murphy, Hirsch, Selmayr und Moderator Ryan Heath © Andreas Lieb

Mit dabei in der Gesprächsrunde: Reinhard Bütikofer (Vizechef der Grünen Fraktion), EVP-Kampagnenleiter Dara Murphy und der Vorarlberger Cornelius Hirsch von der Umfrage-Plattform "Poll of Polls", die vor Kurzem erst von Politico übernommen wurde.

27. Mai, 1.30 Uhr - Viele Varianten

Die Wahl ist geschlagen, langsam leert sich das Parlamentsgebäude, auch wenn vielerorts die Radio- und Fernsehleute noch an ihren Beiträgen für die Morgennachrichten arbeiten. Einige Detailergebnisse sind zwar immer noch ausständig, aber im Großen und Ganzen liegt das Ergebnis vor.

Zum Schluss betraten die Spitzenkandidaten noch einmal die große Bühne für ein abschließendes Statement und die Beantwortung einiger Fragen. Weber, Timmermans und Vestager sind sich einig, dass sie sich nicht mit Rechtsparteien einlassen wollen. Spannend wird nun vor allem, welche Allianzen sich herauskristallisieren - davon hängt es ab, ob einer von den dreien Kommissionspräsident werden kann (oder ein ganz anderer, für den es die einzige Kompromissmöglichkeit gibt) und davon wiederum hängt es ab, wie und auf wen die anderen Top-Jobs aufgeteilt werden.

An den neuen Allianzen beginnt man umgehend zu schmieden. Am Dienstag ist bereits der nächste Stichtag: Am Vormittag um zehn Uhr beginnt die "Konferenz der Präsidenten", abends treffen sich die Staats- und Regierungschefs zu einem Sondergipfel. Einziges Thema in beiden Fällen sind die anstehenden Personalbesetzungen.

26. Mai, 23.50 Uhr - Die Wahlnacht

Jetzt sind die Spitzenkandidaten eingetroffen. Ska Keller von den Grünen, die sich über den Erfolg ihrer Partei sichtlich freut, war schon seit einiger Zeit im Parlamentsgebäude, gerade eben sind auch der Sozialdemokrat Frans Timmermans und kurz davor EVP-Mann Manfred Weber eingetroffen. Im Vorübergehen gibt es einen festen Handschlag für den Österreicher Paul Rübig (ÖVP) - der Bayer und die Österreicher, das hat bis zum Ibiza-Video wie am Schnürchen funktioniert.

Webers erste Station ist das ARD-Fernsehstudio, wo es einen Liveeinstieg gibt. Im Hintergrund sind die Ergebnisse von Deutschland eingeblendet; Weber lächelt trotzdem. Immer noch weisen alle Berechnungsmodelle aus, dass die EVP stimmenstärkste Fraktion bleibt, gefolgt von der S+D. Sie haben ihre gemeinsame Mehrheit verloren. Die Liberalen, die ALDE von Guy Verhofstadt und die Renaissance-Bewegung von Emmanuel Macron, werden sich zusammenschließen und dann die drittstärkste Gruppe im EU-Parlament bilden, noch vor den Rechten. Bei diesen ist ohnehin offen, wer da mit wem eine Allianz bilden könnte.

Nachdenklich im TV-Studio: Manfred Weber
Nachdenklich im TV-Studio: Manfred Weber © Andreas Lieb

In der EVP-Rechnung scheint allerdings die Fidesz noch auf. Die Frage ist, wie lange das noch so bleibt. Und die Liberale Margrethe Vestager, offiziell nicht Spitzenkandidatin, hat vor wenigen Minuten gesagt, dass sie sich durchaus vorstellen könnte, Kommissionspräsidentin zu werden.

Ungewöhnlicher Arbeitsplatz für Journalisten: Das Plenum als Showbühne
Ungewöhnlicher Arbeitsplatz für Journalisten: Das Plenum als Showbühne © Andreas Lieb

Alles wartet im Augenblick auf die Statements dieser Herrschaften zum Wahlergebnis. Und davor auf die offizielle Auswertung. Nach und nach sind Länderergebnisse eingetrudelt, aber das zieht sich wie ein Strudelteig. Gerade eben kommt jenes von Großbritannien: Farage hat gewonnen - das ist keine Überraschung mehr.

24. Mai, 11.30 Uhr - Farbenspiele

Die Rechtsparteien legen zu, Volksparteien verlieren und die Sozialdemokraten noch mehr - das war bisher in etwa der Kern aller Prognosen. Doch plötzlich gerät diese Vorschau ins Wanken. Exitpolls aus den Niederlanden, wo ja am Donnerstag schon gewählt wurde, bescheinigen den Sozialdemokraten einen satten Zuwachs. Gut, von dort stammt auch S&D-Spitzenkandidat Frans Timmermans; aber reicht das als Grund? Parallel dazu arbeitet ja Europas Linke unter dem Dach von Emmanuel Macrons Renaissance-Bewegung an einer neuen Gruppe, bei der Diskussion der Spitzenkandidaten in Brüssel waren sich Rote, Liberale und Grüne in so mancher Frage einig und bildeten eine Allianz gegen EVP-Mann Manfred Weber.

Je stärker die Position von Timmermans wird, desto schwerer wird es für Weber, den Posten als neuer Kommissionschef zu ergattern. Und je ausgeglichener die Kräfteverhältnisse sind, umso eher könnte ein Kompromisskandidat zum Zug kommen. Margrethe Vestager, Michel Barnier, Angela Merkel... auch wenn schon heftig dementiert wurde: die Möglichkeit einer Überraschung wächst von Stunde zu Stunde.

23. Mai, 17.00 Uhr - Countdown läuft

In Großbritannien und den Niederlanden wird heute schon gewählt. Auf das Ergebnis muss man freilich genau so lange warten, wie auf alle anderen: Offiziell gibt es die Daten erst am Sonntag um 23 Uhr. Das EU-Parlament will aber am Sonntag um 18 Uhr zumindest eine erste Schätzung aus sieben EU-Ländern präsentieren - darunter auch Österreich. Eine erste EU-weite Schätzung ist für 20.15 Uhr geplant. Grund für die späte Bekanntgabe ist Italien, das seine Wahllokale bis 23 Uhr offen lässt. Um Anfechtungen zu vermeiden, will man sich auf keine juristischen Abenteuer einlassen; man erinnere sich nur an die österreichische Bundespräsidentenwahl.

Inzwischen wird das gesamte EU-Parlament in ein gigantisches Show- und Pressezentrum umgebaut. Die Mega-Bühne von der in alle Länder übertragenen Live-Konfrontation der Spitzenkandidaten wird weiter genutzt, die Plätze der Abgeordneten werden gerade in Arbeitsplätze für Journalisten umgewandelt.

Jede Menge Technik. Das Plenum wird zur Show- und Fernsehbühne sowie zum Arbeitsplatz von Hunderten Journalisten
Jede Menge Technik. Das Plenum wird zur Show- und Fernsehbühne sowie zum Arbeitsplatz von Hunderten Journalisten © Andreas Lieb

Bemerkenswert: Am Sonntag, dem Hauptwahltag, wird natürlich mit einem enormen Andrang gerechnet, allein rund 1500 Journalisten haben sich schon angemeldet. Das führt zur ein wenig skurrilen Situation, dass die EU-Beamten, die eigentlichen Hausherren, an diesem Tag nicht ins Gebäude dürfen, dafür aber die Medienvertreter und natürlich alle, die für einen reibungslosen Ablauf des Events sorgen sollen.

Ein paar Kabel müssen noch verlegt werden. Aber es ist ja Zeit bis Sonntag
Ein paar Kabel müssen noch verlegt werden. Aber es ist ja Zeit bis Sonntag © Andreas Lieb

Heraußen vor dem Parlament, auf der Place Luxembourg, ist den ganzen Tag über ein buntes Programm mit Musik und Unterhaltung geplant.

Der Brüsseler Plenarsaal sieht nach wie vor aus wie ein riesiger Veranstaltungsraum für eine Samstag-Abend-Show
Der Brüsseler Plenarsaal sieht nach wie vor aus wie ein riesiger Veranstaltungsraum für eine Samstag-Abend-Show © Andreas Lieb

18. Mai, 18.30 Uhr - Riesiges Interesse

Verregneter Samstag in Kroatien. Gestern noch blauer Himmel, aber kühl, heute sitzen die Wochenendgäste, vorwiegend Österreicher, unter tropfenden Markisen der Cafes und halten Handys und Tablets in der Hand. Ein Tag am Meer und zu Hause gerät die politische Welt aus den Fugen.

Den jungen österreichischen Kanzler mit seinem Gespür für Erfolge kennt man inzwischen in aller Welt, auch über den großen Teich hinweg, er ist ein Teil der obersten politischen Ebene. Der FPÖ-Skandal stößt auf großes Interesse, in Europa und darüber hinaus. Hier macht die Geschichte und der Rücktritt Heinz-Christian Straches alle erst sprachlos, dann sorgt er für Gesprächsstoff bis weit in die Nacht hinein.

In Kroatien ist heute auch einer der engsten Wegbegleiter von Sebastian Kurz, der bayrische EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber zu Gast, auch Angela Merkel ist hier. Weber und Kurz spielen sich seit Monaten die Bälle zu, man hatte sich immer wieder gegenseitig zu wichtigen Veranstaltungen eingeladen. Die türkis-blaue Koalition war öffentlich kaum ein Thema, beide grenzten sich gegen den rechten Rand ab. Klares Signal war der Umgang mit Viktor Orbans Fidesz, die derzeit von der EVP suspendiert ist. Weber hatte auch mehrfach darauf verwiesen, dass er sich nicht mit Stimmen aus dem rechten Lager zum neuen Kommissionschef vorschlagen lassen wolle.

Alles klar also? Nein, gar nicht. Die Frage ist, ob die Nähe zu Kurz im letzten Moment nicht doch ein Problem für Weber wird, der ohnehin schon unter Druck ist, seit sich vor eineinhalb Wochen beim Gipfel in Sibiu die liberalen Staats- und Regierungschefs gegen ihn ausgesprochen hatten. Aus Deutschland, der Heimat Webers, kamen im Lauf des heutigen Tages doch sehr klare Wortmeldungen. Hier eine Auswahl aus den Agenturmeldungen:

FDP-Chef Christian Lindner sagte dem "Spiegel": "Die Affäre enthüllt etwas vom wahren Denken der Rechtspopulisten." Sie betrachteten Politik als Geschäftsmodell und "vertreten hinter den Kulissen das Gegenteil von dem, womit sie Wähler ködern", so Lindner.

Justizministerin und EU-Kandidatin Katarina Barley (SPD) sagte dem "Handelsblatt", der FPÖ-Skandal und der Rücktritt Straches zeigten, "was für Leuten man zur Macht verhilft, wenn man Rechtspopulisten wählt". Für alle anderen Parteien sei das eine Warnung, mit solchen Gruppen nicht zusammenzuarbeiten.

Die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer sagte, das Video zeige, dass Rechtspopulisten in Europa, egal in welchem Land, bereit seien, das Interesse ihres Landes für ihr eigenes Wohlergehen zu verkaufen. "Und wenn es für ein Butterbrot ist. Diese Menschen dürfen in Europa keine Verantwortung übernehmen."

SPD-Chefin Andrea Nahles meinte, "Ein einfacher Rücktritt von FPÖ-Chef Strache reicht nicht aus."

"Die Christdemokraten in Europa sollten ihre Allianzen mit Rechten wie der FPÖ in Österreich, den Vereinigten Patrioten in Bulgarien oder der radikalen VOX-Partei in Andalusien beenden und sich klar von Demokratiefeinden distanzieren." (Der Grünen-Spitzenkandidat zur Europawahl, Sven Giegold)

"Die österreichischen Rechten um Strache inszenieren sich gern als "Partei des kleinen Mannes." Doch die Fassade reicht nicht mal bis Ibiza. Beim Plausch mit russischen Oligarchen kommt das wahre Gesicht der FPÖ zum Vorschein: Partei der Reichen, korrupt und dreist." (Linken-Chef Bernd Riexinger via Twitter).

In dieser Tonart geht es weiter, natürlich nur von der politischen Linken. Anders klingt das beim Gegenüber: "Die FPÖ ist uns ein enger Partner", sagte AfD-Chef Jörg Meuthen am Rande der Kundgebung europäischer Rechtsparteien in Mailand. Er werde der österreichischen Partei nun nicht "in den Rücken fallen" aufgrund einer "singulären Angelegenheit", sagte Meuthen. 

Und Viktor Orban, der kürzlich Im Interview mit der Kleinen Zeitung ausdrücklich die gute Zusammenarbeit mit Strache gelobt hatte? Orban will den Rücktritt Straches nicht kommentieren, erklärte sein Sprecher Bertalan Havasi auf Anfrage des Internetportals "index.hu". Laut Havasi handle es sich bei dem Strache-Rücktritt um eine "innere Angelegenheit Österreichs".

15. Mai, 17.30 Uhr - Vor der Debatte

Wenn die nationalen Gesprächsrunden der Spitzenkandidaten für die EU-Wahl "Elefantenrunden" genannt werden, wie soll man dann dazu sagen, wenn die EU-weiten Spitzenkandidaten gegeneinander antreten? Vielleicht passt Dinosaurier-Runde? Immerhin ist auch das eine oder Urgestein dabei. Heute Abend ist jedenfalls der große Auftritt im EU-Parlament in Brüssel und die Vorbereitungen dazu laufen schon fieberhaft. Ab Punkt 21 Uhr diskutieren die Spitzenkandidatinnen und Spitzenkandidaten der sechs größten Fraktionen des Europäischen Parlaments im Rahmen einer europaeit ausgestrahlten Live-Sendung: Manfred Weber (Europäische Volkspartei), Frans Timmermans (Europäische Sozialdemokraten), Jan Zahradil (Konservative und Reformer), Margrethe Vestager (Liberale), Ska Keller (Europäische Grüne) und Nico Cué (Europäische Linke).

Der Plenarsaal wurde dafür in ein gigantisches Fernsehstudio umgebaut. Die Kandidaten dürfen zunächst den Eingang benutzen, der üblicherweise den hochrangigen Besuchern des Parlaments zugedacht ist:

Blauer Teppich. Hier betreten die Spitzenkandidaten das Parlament
Blauer Teppich. Hier betreten die Spitzenkandidaten das Parlament © Andreas Lieb

Dort, wo sich normalerweise die Pressetribüne befindet, ist ein gigantisches Regiezentrum eingerichtet worden - mit mehr Monitoren als man zu erschauen vermag:

Regieplätze für die große Liveübertragung
Regieplätze für die große Liveübertragung © Andreas Lieb
...und noch mehr Technik
...und noch mehr Technik © Andreas Lieb

Am Nachmittag wurde die komplette Diskussion (mit Darstellern) schon durchgespielt, um Licht-, Ton- und Regiearbeit auf die Livesendung abzustimmen. Die Diskussion um die Zukunft Europas gibt es auch bei uns im Livestream, zahlreiche TV-Sender übernehmen das Signal; in Österreich kann die spannende Begegnung ab 22.30 Uhr in ORF III verfolgt werden.

Beeindruckend: Der Plenarsaal wurde in eine gigantische Showbühne verwandelt
Beeindruckend: Der Plenarsaal wurde in eine gigantische Showbühne verwandelt © Andreas Lieb

11. Mai, 23.00 Uhr - Partnerschaften

Am Montag und Dienstag findet in Brüssel der Außen- und Verteidigungsrat der EU statt, in deren Rahmen es ein Jubiläum zu feiern gilt. Zehn Jahre ist es her, dass die "Östliche Partnerschaft" begründet wurde. Sechs Nachbarländer, Armenien, Aserbaidschan, Weißrussland, Georgien, die Republik Moldau und die Ukraine, wurden 2009 gewissermaßen unter die Fittiche der EU genommen. Ähnlich wie beim im Jahr davor geschlossenen Bündnis mit Nordafrika geht es dabei darum, den Ländern Hilfestellung bei der wirtschaftlichen und politischen Entwicklung zu geben, um den Rückstand aufzuholen und das Ungleichgewicht zwischen den Zonen zu mildern.

Bei den festlichen Anlässen dabei (unter anderen): Die Staatschefs der Länder, Gastgeber Ratspräsident Donald Tusk, Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, Außenbeauftragte Federica Mogherini (sie hat auch den Vorsitz des Treffens) und Erweiterungskommissar Johannes Hahn.

Noch ein kurzer Nachtrag zum Gipfel in Sibiu, genauer gesagt zur Rückreise davon. Im Flieger (Richtung München) begegnet einem gleich zweimal die Steiermark: Einmal in einem Reisebericht des deutschen Stern (Ausgabe 29. April), in der die Ennstaler Bergwelt und das Gesäuse beschrieben werden:

Eine ausführliche Ennstal-Reisegeschichte im "Stern"...
Eine ausführliche Ennstal-Reisegeschichte im "Stern"... © Andreas Lieb

Und dann stößt man im Lufthansa-Magazin auf eine schöne Beilage des Graz-Tourismus - während der Flieger hoch oben über der Grünen Mark seine Bahn zieht:

... und dann noch eine Steiermark-Beilage im Lufthansa-Magazin
... und dann noch eine Steiermark-Beilage im Lufthansa-Magazin © Andreas Lieb

9. Mai, 19.30 Uhr - Die Bilanz

Der große Tag in Sibiu ist vorbei, die Staats- und Regierungschefs haben ihre Abschlusserklärungen gemacht und sitzen inzwischen in ihren Fliegern. Was bleibt, ist eine durchwachsene Bilanz. Einerseits kann es nicht schaden, dass die Mitgliedsländer eine gemeinsame Erklärung (hier der Link dazu) erarbeitet haben, die die Grundidee der Union in ihren Ausformungen wieder einmal festhält - nach dem EU-Motto "In Vielfalt vereint". Gelegentlich ist so etwas wohl vonnöten und kann nicht schaden.

Andererseits sind die Punkte der Sibiu-Erklärung so phrasenhaft und schwammig formuliert, dass sich viele denken, man hätte es auch sein lassen können (ein deutscher Kollege sprach von "Pfadfinderlyrik"). Und sie machen so auf eigenartige Weise erst klar, wie groß die ungelösten Probleme tatsächlich sind.

Sie will zwar nicht mehr lange mitmischen, aber Angela Merkel (die in Rumänien mit großem Applaus der Bevölkerung begrüßt wurde und zahlreiche Hände schütteln musste) schlug vor, die Zahl der regulären EU-Gipfel zu erhöhen. Derzeit finden vier reguläre Treffen pro Jahr statt, dazu kommt der eine oder andere Sondergipfel wie jener in Sibiu. Merkel meint, die Staats- und Regierungschefs sollten sich mindestens alle zwei Monate treffen, also sechs Mal jährlich. Für die deutsche Kanzlerin wäre das eine Möglichkeit, den Entscheidungsstau in der EU zu verkleinern. Was bei den Ratssitzungen der Minister herauskommt, bleibe vom Europäischen Rat zu lange unbehandelt. Der Vorschlag hat was.

Langsam leeren sich auch die Festzeltartigen Pressesäle in Sibiu, die Journalisten machen sich auf den Heimweg oder zumindest auf in den Feierabend. Der rumänische Ratsvorsitz hat als Gastgeschenk jedem eine Flasche einheimischen Wein auf den Platz gestellt - eine nette Geste, allerdings sind fast alle mit dem Flieger gekommen und haben nur Handgepäck gebucht. Viele Flaschen werden also wohl zurückbleiben (oder noch vor Ort geleert).

Nette Geste, aber nicht leicht zu transportieren: Rhein Riesling aus Rumänien im "Media Support Kit"
Nette Geste, aber nicht leicht zu transportieren: Rhein Riesling aus Rumänien im "Media Support Kit" © Andreas Lieb

9. Mai, 17.00 Uhr - Gipfel gleich nach der EU-Wahl

Die EU-Staats- und Regierungschefs planen für den 28. Mai einen Sondergipfel, um unmittelbar nach der Europawahl mit der Auswahl des neuen EU-Kommissionspräsidenten zu beginnen. Dies teilte Kanzler Sebastian Kurz heute in Sibiu mit.

9. Mai, 12.00 Uhr - Erste Statements

Nach und nach treffen die Staats- und Regierungschefs am "Großen Platz" in Sibiu ein. Ratspräsident Donald Tusk geht zu den Absperrungen und schüttelt - unter den wachsamen Augen der Bodyguards - minutenlang Hände der Schaulustigen. Angela Merkel wird mit Applaus empfangen; sie sagt, ungeachtet aller politischen Unterschiede müsse man an einer gemeinsamen strategischen Ausrichtung arbeiten für eine gemeinsame Stimme nach außen: "Die Welt schläft nicht, wir müssen stark und geeint sein."

Sebastian Kurz wiederholt seine Forderung nach einem Neustart der EU, einer Neuauflage des Lissabonvertrages. Er höre das vor allem von jüngeren Amtskollegen. Kurz: "Die EU funktioniert zwar, aber wir sind nicht gut genug aufgestellt." Macron fordere überhaupt eine Neugründung, es brauche aber zumindest einen Generationenwechsel und ein "neues Fundament", um die Entscheidungsfindung vor allem gegenüber den großen Blöcken - Russland, China, USA - zu beschleunigen.

Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sieht das anders: "Der bestehende Vertrag bietet Potenzial genug." Nachsatz: "Aber ich bin nicht dagegen, dass man über weitere Vertragsänderungen nachdenkt."

Neu auf der Gipfel-Agenda ist der Iran-Vertrag, darüber und über die anderen Punkte wird man in den kommenden Stunden diskutieren

9. Mai, 10.30 Uhr - Gipfeltreffen

Sibiu, Hermannstadt. In Siebenbürgen hat man sich herausgeputzt für den großen Tag. Heute treffen sich hier die 27 Staats- und Regierungschefs der EU zu ihrem informellen Gipfel. Theresa May ist nicht dabei. Sie war eingeladen (wie man weiß, ist Großbritannien immer noch Mitglied), aber hat es vorgezogen, nicht zu kommen. In Sibiu soll die strategische Ausrichtung für die kommenden Jahre besprochen werden - da wäre es sonderbar, würden sich die Briten jetzt noch engagiert beteiligen.

Passend dazu: Heute ist Europatag. Vor genau 69 Jahren, am 9. Mai 1950, legte Frankreichs damaliger Außenminister Robert Schuman die sogenannte Schuman-Erklärung vor - und damit den Grundstein für die Europäische Union. Schuman schlug damals die Schaffung einer Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) vor, deren Mitglieder ihre Kohle- und Stahlproduktion zusammenlegen sollten. Nach dem Zweiten Weltkrieg sollte so ein erneuter Krieg zwischen Deutschland und Frankreich unmöglich werden. Frankreich, Deutschland, Italien, Niederlande, Belgien und Luxemburg waren knapp ein Jahr später die Gründungsmitglieder der sogenannten Montanunion. Es war die erste übernationale Institution Europas.

Sibiu, umgeben von schneebedeckten Bergen, hat sich gut vorbereitet auf den großen Tag; ein wenig verspürt man dabei den Hauch des früheren Ostens. Auf der Straße vom Flughafen ins Zentrum hat man eine künstliche Mittelspur angelegt, damit die hohen Gäste ungehindert zufahren können. Alle 100 Meter stehen Polizisten. Sonderkommandos in Schwarz, Polizei und "Jandarmeria". Auch in den malerischen Gassen der Stadt hat man das Gefühl, an jeder Ecke sieht man Polizisten oder Geheimdienstleute in zivil. Vielleicht stimmt das aber auch nicht.

Für die hohen Gäste: Künstliche Spur in der Straßenmitte und ein massives Polizeiaufgebot. Es gibt auch EU-Fähnchen an jedem zweiten Laternenmast
Für die hohen Gäste: Künstliche Spur in der Straßenmitte und ein massives Polizeiaufgebot. Es gibt auch EU-Fähnchen an jedem zweiten Laternenmast © Andreas Lieb

Jetzt gerade findet auch das vor Gipfeln übliche EVP-Treffen statt, in dem es wohl hauptsächlich um Ungarn und Viktor Orban (und Spitzenkandidat Manfred Weber) gehen wird. Das Meeting ist einige Kilometer außerhalb des Zentrums - viele Journalisten sind hier im Pressezentrum geblieben, die abgesperrte Stadt lässt eine Rückkehr zum Gipfel in sinnvoller Zeit nicht zu.

5. Mai, 20.00 Uhr - Zündstoff

Falls es jemandem hilft, psychologisch gesehen: In Brüssel war das Wetter in den letzten Tagen mindestens ebenso grausig wie zuletzt in Österreich (allerdings hat es nirgendwo geschneit, immerhin). Während sich Kommission und Rat noch durchaus im aktiven Arbeitsmodus befinden (in wenigen Tagen findet ja wieder ein EU-Gipfel statt, diesmal im Vorsitzland Rumänien), ist es im Parlament ruhig geworden. Die Abgeordneten sind alle in ihren Heimatländern auf Wahlkampf (oder hier beim Räumen ihrer Unterkünfte, weil sie in der kommenden Periode nicht mehr dabei sind) und Hochbetrieb herrscht hauptsächlich dort, wo man unmittelbar mit der Abwicklung der Wahlen zu tun hat.

Und so blieb auch der elementare Vorstoß von Bundeskanzler Sebastian Kurz und ÖVP-Spitzenkandidat Othmar Karas nach Erneuerung des Lissabon-Vertrages (in einem Interview mit der Kleinen Zeitung, der "Presse" und den anderen Bundesländerzeitungen) vorerst ohne großes Echo aus Brüssel. Einer der Beweggründe für den Vorschlag ist ja das Problem mit der Einstimmigkeit, die vieles blockiert und immer wieder als Grund dafür erkannt wird, dass in wichtigen Punkten (etwa Digitalsteuer) nichts weitergeht. Der Wunsch, die Einstimmigkeit zumindest in einigen Bereichen wegzubringen, wird auch von anderen Fraktionen immer wieder genannt und ist legitim.

Abgesehen davon, dass auch eine diesbezügliche Änderung einer Einstimmigkeit bedarf (und es deshalb in absehbarer Zeit auf keinen Fall dazu kommen wird) sollte allen klar sein, dass ein Öffnen und Neuverhandeln des Lissabon-Vertrages dem Öffnen der Büchse der Pandora gleichkommt. Der Vertrag regelt ALLES. Vor allem aber (und das betrifft wieder die Einstimmigkeit) regelt er die wichtigsten EU-Bereiche wie gemeinsame Sicherheits- und Außenpolitik und die Geldangelegenheiten, also Finanzpolitik. Sosehr Kurz und Karas recht haben mit ihrem Ansinnen, sosehr müssen sie sich auch die Frage gefallen lassen, ob gerade jetzt die rechte Zeit dafür ist. Man stelle sich die nach den Wahlen frisch gestärkten Orbans und Salvinis vor, die dann einen neuen Vertrag mitverhandeln und damit alle Druckmittel dieser Welt in Händen halten können.

Rückblende ins Jahr 2008. Gegen die Ratifizierung des Lissabon-Vertrages (und für eine Volksabstimmung) gingen in Österreich viele auf die Straße; ganz vorne dabei FPÖ und BZÖ
Rückblende ins Jahr 2008. Gegen die Ratifizierung des Lissabon-Vertrages (und für eine Volksabstimmung) gingen in Österreich viele auf die Straße; ganz vorne dabei FPÖ und BZÖ © AP

Vieles, etwa die Verkleinerung der Kommission bzw. der Anzahl der Kommissare ist ja schon längst verhandelt und müsste bloß noch umgesetzt werden, dazu braucht es keinen Vertragseingriff. Anderes, etwa der Druck auf Länder, bei denen es mit der Rechtsstaatlichkeit nicht (mehr) weit her ist, ließe sich mit neuen Methoden regeln - so wie es im Entwurf zum neuen mehrjährigen Finanzrahmen (MFF) vorgesehen ist, wo man die Möglichkeit finanzieller Daumenschrauben geplant hat. Auch der Wunsch nach mehr Subsidiarität oder einer besseren Sicherung der Außengrenzen bedarf bloß einer Einigung der Mitgliedsländer. Bloß...

Wie schwierig allein das schon ist, sieht man etwa am erst von allen gewünschten Frontex-Ausbau, der bald schon ins Stocken geriet, als es um die rasche Finanzierung ging und schließlich ausgerechnet an Ungarn fast zu scheitern drohte - Ungarn hatte erst lauthals nach mehr Grenzschutz gerufen und dann aber zeter und mordio gerufen, weil es sich von Frontex doch nicht in die innere Sicherheit pfuschen lassen wollte.

Solange es Staaten wie Ungarn und Polen (oder Italien bzw. neuerdings Rumänien) gelingt, das Einstimmigkeitsprinzip dafür zu nutzen, sich gegenseitig freizuspielen, solange ist auch eine Öffnung des Lissabon-Vertrages ein überaus gefährliches Spiel.