7. Jänner, 19.00 Uhr - Ferienende

Die Weihnachtsferien sind auch in Belgien endgültig vorbei. Oder nicht? Heute hatte es in der Stadt den Anschein, als hätte so manch einer noch einen Extratag eingelegt, denn zumindest die üblichen Nachmittagsstaus blieben überraschenderweise aus. Vielleicht haben alle einfach früher Schluss gemacht am ersten "richtigen" Arbeitstag des neuen Jahres.

Hat sich über Neujahr etwas getan? Viel nicht. Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sah sich am Samstag genötigt, Medienberichte zu korrigieren, laut denen er eine europäische Arbeitslosenversicherung "wolle" oder "fordere". Wortwörtlich, so ließ er nun ausrichten, habe er gesagt: "Die Kommission hat im Entwurf für die mittelfristige Finanzplanung zwei Instrumente vorgesehen – 25 Milliarden Euro, um Strukturbeihilfeprogramme zu finanzieren und 30 Milliarden Euro für einen Abfederungsmechanismus gegen asymmetrische, externe Schocks, was auch Rückversicherungen für nationale Arbeitsversicherungen einschließen kann. Dieses Instrument könnte mithelfen plötzlich auftretende Wirtschaftskrisen, die durch externe Entwicklungen hervorgerufen werden, in einem Land abzufedern und damit die nationalen sozialen Sicherungssysteme europäisch rückzuversichern. Es darf nicht sein, dass ein EU-Land im Fall einer unverschuldeten Krise wegen steigender Arbeitslosenzahlen das Arbeitslosengeld kürzen muss. Wichtig ist doch, dass in Krisensituationen nicht am falschen Ende gespart wird, also bei Investitionen, Bildung und Arbeitslosengeld."

Wie kam es zur Aufregung? Das lange Interview findet sich in der "Welt am Sonntag", die hatte eine Vorausmeldung geschickt, die dann auch noch von anderen verkürzt wiedergegeben wurde. Dass der Kommissionspräsident eine Medienmeldung so ausführlich öffentlich korrigiert, ist recht ungewöhnlich.

Theresa May (auf einem Großbildschirm beim Dezember-Gipfel im Gespräch mit Mark Rutte und Angela Merkel): Der Brexit wird immer verworrener
Theresa May (auf einem Großbildschirm beim Dezember-Gipfel im Gespräch mit Mark Rutte und Angela Merkel): Der Brexit wird immer verworrener © Andreas Lieb

Und sonst? Warten alle weiterhin auf die Briten. Was Theresa May wirklich will und wie sie das erreichen könnte wird immer mystischer. Zuletzt hieß es, sie telefoniere mit Gott und der Welt und führe direkte Verhandlungen mit Irlands Premierminister Leo Varadkar. Mit welchem Ziel - unklar. Denn Varadkar wird sich hüten, auch nur einen Millimeter vom eingeschlagenen Kurs unter dem Schutz der EU-27 abzuweichen. Fragt man Diplomaten und hochrangige Beamte, die mit dem Brexit befasst sind, erntet man immer das gleiche Stirnrunzeln. Inzwischen steht ja fest, dass die Abstimmung über den Ausstiegsvertrag am 15. Jänner (übrigens genau wieder in einer "Straßburg-Woche") stattfinden soll, aber von einem weiteren Gipfel davor oder danach ist derzeit nicht mehr die Rede. Vom ursprünglichen Plan, May ein letztes Mal entgegenzukommen, sodass sie mit einem (wenn auch nur virtuellen) Zugeständnis nach London zurückkehren kann, ist man offensichtlich abgekommen. Gut schaut das alles nicht aus.

26. Dezember, 19.00 Uhr - Twittern ohne Pause

Der Kurznachrichtendienst Twitter erfreut sich in der Politik ebenso wie unter Journalisten größter Beliebtheit. Die Twitterei macht auch über die Feiertage nicht Pause. Es gibt Festtagswünsche und solche fürs neue Jahr, es gibt aber auch Informatives. So beschäftigt sich die Kommission mit den "Vier gängigsten EU-Mythen":

Eingehend beschäftigte sich das Social Media Team der Kommission auch mit den Auswirkungen der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) und deren Auswirkungen auf die Arbeitsmethoden von Santa Claus:

Ratspräsident Donald Tusk nutzte schon die Tage vor Weihnachten für einen Twitter-Dank an Österreich:

EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani schickte seine Glückwünsche am Christtag aus:

Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker widmete sich am 23. Dezember hingegen den Tsunami-Opfern in Indonesien und versprach Hilfe:

Oberster Twitterant ist natürlich Donald Trump, der am Heiligen Abend (in den USA freilich Christmas Eve) jammerte: Donald allein zuhause:

Am Stefanitag wünschte Trump dann doch allen ein schönes Weihnachtsfest - inklusive den "Fake News Medien":

21. Dezember, 16.00 Uhr - Feiertagsstimmung

Weihnachtszeit in Brüssel. Das EU-Parlament hat die Ferien bereits begonnen, die Abgeordneten wollen in diesen Tagen auch lieber zuhause in ihren Regionen sein. Rat und Kommission sind noch aktiv, allerdings werden hauptsächlich die letzten offenen Themen finalisiert und es gibt Ausblicke darauf, wie es im Jänner weitergeht - etwa mit dem Rat Auswärtige Angelegenheiten am 21. Jänner.

Festtagsstimmung im EU-Viertel. Im Hintergrund das Kommissionsgebäude
Festtagsstimmung im EU-Viertel. Im Hintergrund das Kommissionsgebäude © Andreas Lieb

Der läuft dann schon unter rumänischem Vorsitz. A propos: Der österreichische Ratsvorsitz hat soeben die Bilanz des halben Jahres veröffentlicht, das Arbeitspensum war beeindruckend: Es gab

  • 36 formelle Ministerräte und 14 informelle Ministerräte
  • 2062 Vorbereitungsgremien des Rates
  • 161 Triloge mit dem Europäischen Parlament,
  • 53 politische Einigungen in Trilogen mit dem Europäischen Parlament
  • 75 Einigungen im Rat

Insgesamt galt der Ratsvorsitz als gut, auch wenn es viele kritische Stimmen über den Einfluss der Innenpolitik auf die Europa-Arbeit gab (lesen Sie dazu unsere Analyse).

In Belgien ist inzwischen der völlige Weihnachtsstress ausgebrochen, viele haben in den Tagen vor Weihnachten schon frei. Alle sind zu Einkäufen unterwegs - es gibt den ganzen Tag endlose Staus und übervolle Parkplätze rund um Geschäfte und Einkaufszentren. Manche der Weihnachtsmärkte, etwa jener beim Shoppingcenter am Hauptplatz von Waterloo, etwa 20 Minuten von der Brüsseler Innenstadt entfernt, wurde erst jetzt aufgebaut. Für Österreicher erstaunlich, stößt man dort doch schon Mitte November auf die ersten Märkte. Viele der Institutionen haben in den letzten Tagen noch ihre Weihnachtsfeier abgehalten, etwa auch die Wirtschaftskammer mit Eurochambres-Präsident Christoph Leitl und dem Leiter des WKO-Büros in Brüssel, Markus Stock.

Feierstunde in der Wirtschaftskammer: Leitl, Stock
Feierstunde in der Wirtschaftskammer: Leitl, Stock © Andreas Lieb

Hochbetrieb herrscht in diesen Tagen am Brüsseler Flughafen Zaventem, weil über die Feiertage natürlich Tausende "Expats" in ihre Heimatländer (und Anfang Jänner wieder zurück) reisen. Die Sicherheitsmaßnahmen sind überaus sichtbar, überall patroullieren Soldaten und Polizisten. Festtage in Brüssel...

Die Welt ist eine - Christbaumkugel. Weihnachtsgruß am Brüsseler Flughafen Zaventem
Die Welt ist eine - Christbaumkugel. Weihnachtsgruß am Brüsseler Flughafen Zaventem © Andreas Lieb

17. Dezember, 19.00 Uhr - Gefährliches Spiel

Was haben Norwegen, Island, Liechtenstein und die Schweiz gemeinsam? Sie sind zwar nicht EU-Mitglieder, haben aber jeweils einen Rahmenvertrag mit der Europäischen Union, der ihnen Rechte gleichermaßen wie Pflichten einräumt. Zum Teil aber sind diese vertraglichen Verknüpfungen schon recht angejahrt und müssen aktualisiert werden. Im Fall der Schweiz etwa ist die Basis ein Freihandelsabkommen aus dem Jahr 1972.

Die EU-Kommission hat mit der Schweiz über vier Jahre hinweg über die neue Zusammenarbeit verhandelt, in den letzten Monaten landete das Dossier bei Kommissar Johannes Hahn, der gerne aufzählt, was sich allein heuer getan hat: Sieben persönliche Verhandlungsrunden mit einem Vertreter des Bundesrates, 32 technische Runden insgesamt (unter Einbeziehung mehrerer Generaldirektionen), 23 Gespräche mit dem Schweizer Präsidenten...

Am 7. Dezember war alles fertig - und es kam zum Eklat. Obwohl das Übereinkommen nach all der Zeit unterschriftsreif war, wurde es in der Schweiz nicht verabschiedet, sondern sollte auf einmal neuerlich im Land diskutiert werden. Die Kommission reagierte mit Unverständnis und einer ungewöhnlich scharfen Aussendung.

Montag vormittag, EU-Kommission: Kommissar Johannes Hahn versucht der Schweiz etwas zu erklären
Montag vormittag, EU-Kommission: Kommissar Johannes Hahn versucht der Schweiz etwas zu erklären © APA/AFP/JOHN THYS

"Wir respektieren diese souveräne Entscheidung", kommentierte Hahn am Montag. Gleichzeitig sei klar, dass es keine Nachverhandlungen geben werde. Kommt einem das bekannt vor? Immer wieder werden Parallelen zum Brexit gezogen. Die Briten hätten auch gerne ein Abkommen dieser Art, oder ein "Norwegen plus". Die Gegner in der Schweiz sprechen von inakzeptablen Auflagen der EU im Gegenzug für den Zugang vom Binnenmarkt; die EU wiederum möchte, dass die Eidgenossen ihre Regeln übernehmen und sich auch an den EuGH halten, eine Ebene davor soll ein Schiedsgericht eingezogen werden.

Die Kommission gibt der Schweiz nun weitere sechs Monate Zeit für die Zustimmung. Aber Hahn stellte klar: Wenn der so mühevoll ausverhandelte Text nicht ratifiziert wird, können keine neuen Abkommen mehr geschlossen und bestehende nicht mehr angepasst werden. Auch die Börsenäquivalenz-Anerkennung, über die die Börse gleichgestellt wird, soll nur mehr dieses halbe Jahr gelten.

Hahn sagt: Die Welt dreht sich weiter, wir ordnen unsere Verhältnisse zu vielen Partnern neu, wer nicht fortschreitet, wird zurückfallen. Eine scheibchenweise Anerkennung des Vertrages, wie zuletzt in der Schweiz überlegt, komme nicht infrage: "Ich liebe Salami. Aber nur in Wurstform." Gerade in den letzten Monaten habe sich gezeigt, dass "der Appetit der EU-27 auf Spezialverhandlungen dramatisch abgenommen" habe. Michel Barnier würde sagen: "The clock is ticking."

14. Dezember, 17.30 Uhr - Lobgesänge am Schluss

Der Gipfel ist beendet. Bei der abschließenden Pressekonferenz gibt es viel Lob von allen Seiten. Sebastian Kurz bedankt sich zum Ende des Ratsvorsitzes bei Kommission und Rat, von dort, also von Jean-Claude Juncker und Donald Tusk, kommt ausdrücklich Dank und Anerkennung zurück, besonders für die Vorarbeiten für den mehrjährigen Finanzrahmen, wo besonders die Beamten hervorragende Arbeit geleistet haben. Kurz verweist auf 35 abgeschlossene Triloge und 60 Einigungen im Rat, Juncker spricht von "viel Kritik aus dem Parlament und viel Lob aus dem Rat".

Juncker, Tusk, Kurz auf dem Weg zur Pressekonferenz
Juncker, Tusk, Kurz auf dem Weg zur Pressekonferenz © Andreas Lieb

14. Dezember, 14.30 Uhr - Lob für Österreich

Jetzt war sie doch da, gezeichnet von den Anstrengungen, aber immer noch mit einer Aura der Zuversicht: Theresa May sagte vor Journalisten, die aktuellen Ergänzungen zum Ausstiegsvertrag durch die EU-27 seien eine "klare Ansage", die die Verhandlungen weiterbringen werde. May sieht auch die Möglichkeit für weitere Gespräche in den nächsten Tagen. Allerdings zeigte sie sich auch durch Jean-Claude Juncker brüskiert, der in der nächtlichen Pressekonferenz von "schwammigen Aussagen" der Briten gesprochen hatte. Gefragt zur Rolle von Sebastian Kurz und der österreichischen Ratspräsidentschaft spart sie nicht mit Lob: es seien nicht nur zahlreiche Dossiers auf Schiene gebracht, sondern Österreich habe auch klar versucht, für beide Seiten eine akzeptable Lösung zu finden.

14. Dezember, 13.45 Uhr - Es geht voran

Nach den schwierigen Brexit-Verhandlungen bis spät in die Nacht hat der Gipfel am Vormittag Fahrt aufgenommen. Allerdings warten jetzt alle auf die Pressekonferenz von Theresa May; einen Augenblick lang sah es so aus, als würde sie gar nicht stattfinden, nun ist sie wieder gelistet, allerdings ohne Zeitangabe.

Die anderen Punkte auf der Tagesordnung hat man zügig und ohne Überraschungen abgearbeitet. Beim von Österreich gut aufbereiteten Finanzrahmen bleibt es beim Wunsch bis spätestens 2019 zu "liefern", der Binnenmarkt soll gestärkt werden. Bei der Migration zeigt man sich erfreut über die weiterhin sinkenden Flüchtlingszahlen, was auch dem besseren Schutz der Außengrenzen zugeschrieben wird. Klar wird der Wunsch deponiert, den Ausbau und die Mandatsstärkung von Frontex voranzutreiben, ebenso die Themen Asylagentur und einheitliches Asylsystem.

In diesen Minuten beginnt der Eurogipfel mit Themen wie Europäischer Stabilitätsmechanismus (ESM), Eurozonenbudget und gemeinsamer Bankenfonds.

All das erscheint aber trotzdem nur als Randthema; der Brexit, der eigentlich gar nicht auf der Agenda war, überlagert alles.

14. Dezember, 0.40 Uhr - Ende des ersten Tages

Der erste Gipfeltag hat nach Mitternacht sein Ende gefunden, die Staats- und Regierungschefs sind in ihren Limousinen in die Hotels gebracht worden. Ratspräsident Donald Tusk und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker haben zur Geisterstunde noch eine Pressekonferenz abgehalten, in der sie auf die Schlussfolgerungen des Treffens eingehen. Tusk erzählt, May habe um weitere Zusicherungen gebeten und er versichert, dass der Backstop nur eine Notfallsmaßnahme sei, falls es in der vorgegebenen Zeit wirklich zu keiner praktikablen Lösung komme: "Wir werden uns nach Kräften bemühen, dass der Backstop gar nicht kommt."

Juncker und Tusk auf dem Weg zur Abschluss-Pressekonferenz. Wie immer, gehen sie durch den Mediensaal
Juncker und Tusk auf dem Weg zur Abschluss-Pressekonferenz. Wie immer, gehen sie durch den Mediensaal © Andreas Lieb

Jean-Claude Juncker formuliert das, was sich viele denken, so: "Es ist eine schwammige Diskussion, keine präzisen Äußerungen, wir brauchen Klarstellungen." Die Briten müssten in den nächsten Wochen sagen, was sie wollen: "Es entsteht der Eindruck, die EU müsste die Antworten liefern. Aber das Vereinigte Königreich tritt aus." So oder so, am 19. Dezember will die Kommission ein Paket an Maßnahmen veröffentlichen, die sich mit dem Fall eines "No Deal" beschäftigen.

13. Dezember, 21.20 Uhr - May rauscht ab

Das Abendessen beim Gipfel steht im Zeichen der Außenbeziehungen. Die Russlandsanktionen werden weitergeführt, das hatte sich schon abgezeichnet. Das Thema Brexit überlagert den Gipfel natürlich, am Nachmittag hat Theresa May ihre Kollegen über den Stand der Dinge informiert. Jetzt, beim Abendessen, war sie noch dabei, nach dem Dessert ist ihre Abreise geplant, damit die EU-27 ohne sie weiterdiskutieren können. Und dann ist es soweit: May verlässt das Gebäude und nimmt in ihrer Limousine Platz (ein deutsches Modell übrigens), ohne ein einziges Wort zu verlieren. Die wartenden Journalisten und Kamerateams sind enttäuscht. Und fragen sich: Ist das nun ein gutes oder ein schlechtes Zeichen? Die Meinungen sind geteilt. Optimistisch betrachtet: Vielleicht wollen alle Beteiligten in diesen entscheidenden Tagen vermeiden, durch unbedachte Äußerungen alles noch ins Wanken zu bringen. Soferne es überhaupt etwas gibt, das Wanken könnte.

13. Dezember, 17.30 Uhr - Finanzrahmen

Zurück in Brüssel. Am Beginn gibt es eine Trauerminute für die Opfer von Straßburg, dann startet ein arbeitsreiches Treffen. Der letzte EU-Gipfel im Jahr ist auch der letzte der österreichischen Ratspräsidentschaft. Es gibt Lob, das vor allem den Beamten gilt: Es wurde eine sogenannte "Verhandlungsbox" für den mehrjährigen Finanzrahmen fertiggestellt, die von den Staats- und Regierungschefs angenommen wurde. Eine wichtige Voraussetzung für das Mega-Budget (1278 Milliarden Euro) für die Jahre 2021 bis 2027. Der Plan ist, den Rahmen bis Ende kommenden Jahres unter Dach und Fach zu haben.

12. Dezember, 00.45 Uhr - Die Terrorattacke

Um 20.03 Uhr kommt die erste Nachricht per WhatsApp. Im Zentrum von Straßburg fallen Schüsse, rund um den Weihnachtsmarkt in der wunderschönen Altstadt gibt es Tote und Verletzte. Der Tatverdächtige ist nach einer Schießerei mit Soldaten auf der Flucht. Das Europaparlament wird aus Sicherheitsgründen abgeriegelt - niemand darf mehr hinaus.

Einige der österreichischen Kollegen sind bereits in der Innenstadt, ein nettes Abendessen in einem der vielen Lokale ist ausgemacht. Ich bin wegen des May-Besuchs in Brüssel noch im Parlament, Peter Fritz, Leiter des ORF-Büros Brüssel, ist in der Stadt zu Fuß in Richtung Restaurant unterwegs, als er sich inmitten der Ereignisse wiederfindet, Augenblicke später verzweifelt versucht, gemeinsam mit anderen das Leben eines Opfers zu retten - vergeblich. Andere Journalisten aus der Runde und Pressesprecher, die ebenfalls gerade in diesem Augenblick zu unserem Treffpunkt unterwegs sind, werden von der Polizei am Weitergehen gehindert. Sie kehren ins Hotel zurück.

Im Parlament geht alles weiter, die Mitarbeiter erhalten eine Sicherheitsinformation auf ihre Handys. Das gesamte Gebäude ist abgeriegelt. Die Sitzung nimmt ihren Lauf, manchen Sprechern fällt es schwer, etwas zu sagen, wenn draußen eine Terrorattacke im Gange ist.

Im Minutentakt versuchen wir Updates über die Lage zu bekommen und zu checken, ob es eh allen gut geht. Per Mail, WhatsApp, Messenger, Twitter, Telefon. Natürlich melden sich auch viele bei ihren Familien zu Hause. Ja, alles in Ordnung.

Das Parlament bleibt abgesperrt. Es wird dafür angeordnet, dass alle aktiven Kantinen und Cafes auf unbegrenzte Zeit geöffnet bleiben. Immerhin. Hunderte Menschen halten sich jetzt dort auf, essen und trinken. In der Stadt sitzen angeblich viele andere auf diese Weise fest, in Lokalen oder, wie jemand erzählt, viele auch in einer Basketballhalle.

Im Parlament ist die Sitzung inzwischen offiziell beendet, die Kantinen haben Hochbetrieb. In manchen Etagen werden Partys gefeiert. Es ist bald Weihnachten, und was soll man sonst tun? Die Journalisten im Pressesaal haben nach und nach ihre Arbeit eingestellt - nach Mitternacht bleiben nur noch wenige live auf Sendung. Das Parlament ist immer noch abgesperrt. Irgendwo da draußen, angeblich im Stadtteil Neudorf nahe des deutschen Grenzübergangs, wird ein Attentäter gejagt. Wir bleiben eingesperrt.

10. Dezember, 17.00 Uhr - Ein Licht geht auf

Hektisches Treiben im EU-Parlament in Straßburg - und mittendrin singt ein österreichischer Chor bekannte Weihnachtslieder. Nicht nur Parlamentspräsident Antonio Tajani geht in diesem Moment ein Licht (und vermutlich auch das Herz) auf: zum 22. Mal bringt ÖVP-Europaabgeordneter Paul Rübig das ORF-Friedenslicht aus Bethlehem ins Europaparlament. Offiziell überreicht hat es die 19-jährige Theresa Zeilinger, Schülerin der HTL Steyr. "Mehr als 120 Schülerinnen und Schüler nehmen an dem Festakt teil", sagt Rübig. "Wir überreichen das Friedenslicht erst dem Europarat, dann dem Europaparlament und am Abend auch der Stadt Straßburg."

Das Licht aus Bethlehem wird im EU-Parlament in Straßburg entzündet
Das Licht aus Bethlehem wird im EU-Parlament in Straßburg entzündet © Andreas Lieb

Das Friedenslicht wurde vom 11-jährigen Niklas Lehner aus der oberösterreichischen Gemeinde Vorchdorf in der Geburtsgrotte in Bethlehem entzündet. Begleitet vom oberösterreichischen Landeshauptmann Thomas Stelzer und christlichen und jüdischen Würdenträgern wurde das Licht mit Unterstützung des ORF Oberösterreich und der Austrian Airlines erst nach Österreich und dann nach Frankreich gebracht.

Österreichische Abgeordnete und Präsident Antonio Tajani mit dem Friedenslicht
Österreichische Abgeordnete und Präsident Antonio Tajani mit dem Friedenslicht © Andreas Lieb

Fast 120 Schülerinnen und Schüler waren bei der Feierlichkeit dabei - alle aus der HTL bzw. HLW Steyr in Oberösterreich.

Österreichische Weihnachtslieder im Europaparlament
Österreichische Weihnachtslieder im Europaparlament © Andreas Lieb

7. Dezember, 15.00 Uhr - Fischers Ansatz

Wenige Tage vor dem Wiener Afrika-Gipfel, während Bundeskanzler Sebastian Kurz gerade in Ruanda weilt, ist der frühere Bundespräsident Heinz Fischer in Brüssel und macht - ebenfalls im Vorfeld des Afrika-Gipfels - auf eine besondere Initiative aufmerksam. Fischer ist Präsident der "World Commission on Forced Displacement", eine Einrichtung, die von der "Chumir Foundation for Ethics in Leadership" unterstützt wird - deren Vorsitzender, der in den USA lebende Kanadier Joel Bell, ist ebenso nach Brüssel gekommen wie Rebeca Grynspan Mayufis (Generalsekretärin, Ibero-amerikanisches Generalsekretariat) und María Salvadora Ortiz Ortiz (Direktorin für Außenbeziehungen).

Ihr schon lange in Arbeit befindliches Projekt bezieht sich darauf, dass in der globalen Migrationsfrage die bestehenden Maßnahmen nicht ausreichen würden. Ziel müsste es sein, die Lage in den Herkunftsländern der Flüchtlinge zu verbessern und dort vor allem durch private Investoren für wirtschaftlichen Aufschwung zu sorgen. Dafür brauche es, so Bell, mehr als Geld; selbst wenn man alle Mittel, die derzeit zur Verfügung stehen, einsetzen würde, könnten höchstens 10 bis 15 Prozent des nötigen Aufbaus für eine Infrastruktur geschafft werden. Stattdessen müsste es weit mehr Anreize für die Privatwirtschaft geben, in den betreffenden Regionen zu investieren und sich so daran zu beteiligen, dass bessere Lebensbedingungen geschaffen werden.

Neuer globaler Ansatz im Migrationsproblem: Joel Bell
Neuer globaler Ansatz im Migrationsproblem: Joel Bell © Andreas Lieb

Fischer und Bell weisen darauf hin, dass man im Augenblick von 68,5 Millionen Menschen ausgeht, die ihre Heimat verlassen haben. Infolge von politischen Unruhen oder Klimaauswirkungen könnten noch viel mehr folgen. Die Regierungen müssten also umso eher daran gehen, für bessere Bedingungen an den Ausgangspunkten zu sorgen, damit Investoren nicht abgeschreckt werden. Abgewickelt werden könnten private Engagements zusammen mit den öffentlichen Maßnahmen über eine neue "Handelsbank". Das alles sei als Ergänzung zu bereits existierenden Überlegungen wie etwa den "Marshallplan für Afrika" zu sehen.

Mit diesem Projekt war die Gruppe mittags bereits bei Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, der laut Fischer sehr positiv reagiert und zugesagt habe, dass sich die Kommission mit den Plänen ernsthaft befassen werde. Heinz Fischer weist auch darauf hin, dass das Projekt auch schon Sebastian Kurz vorgestellt worden sei und im Rahmen des Afrika-Gipfels Gehör finden soll.

5. Dezember, 13.00 Uhr - Vorweihnachtliche Feierstunde

So alt wie die Tradition ist nicht einmal der Baum: Seit 21 Jahren ist es Brauch, dass Österreich einen Christbaum am zentralen Kommunikationspunkt im Europaparlament in Brüssel aufstellt. Einst begründet von der Abgeordneten Agnes Schierhuber - sie hatte sich über den damals montierten Plastikbaum geärgert - und fortgesetzt von Elisabeth Köstinger war es nun am Leiter der VP-Delegation im Parlament, Othmar Karas, die Tradition fortzusetzen. Im Rahmen einer Feierlichkeit übergab er die 3,5 Meter hohe und 17 Jahre alte Nordmanntanne an die Vizepräsidenten des Parlaments, Mairead McGuinness. Für Karas ist der Christbaum ein "Ruhepol im geschäftigen Treiben der EU-Politik und Erinnerung daran, dass vor allem das Menschliche zählt".

Die Tanne stammt dieses Jahr aus Rodingersdorf aus einer Kultur des Obmanns der niederösterreichischen Christbaumbauern, Franz Raith, der die Tanne gemeinsam mit Christbaumkönigin Jennifer Fröhlich ausgesucht hat. Die Tanne wurde von der AUA/Lufthansa nach Brüssel transportiert. Die Kosten dafür übernahm die Kooperationsplattform Forst Holz Papier (FHP) mit dessen Vorsitzenden Rudolf Rosenstatter.

Feierstunde im Parlament: Die Abgeordneten Othmar Karas, Heinz Becker, Lukas Mandl, Claudia Schmidt und Herbert Dorfmann mit Mairead McGuinness und Günther Platter
Feierstunde im Parlament: Die Abgeordneten Othmar Karas, Heinz Becker, Lukas Mandl, Claudia Schmidt und Herbert Dorfmann mit Mairead McGuinness und Günther Platter © Martin Lahousse/EPP

Die Übergabe der Tanne, zu der auch viele weitere EU-Abgeordnete kamen, wurde musikalisch umrahmt vom Lienzer Sängerbund aus Osttirol - in Begleitung des Tiroler Landeshauptmanns Günther Platter. Der Baum glänzt in mundgeblasenem und handbemaltem "Gablonzer Christbaumschmuck" aus Oberösterreich. Anschließend traf man sich beim vorweihnachtlichen Empfang im Verbindungsbüro der niederösterreichischen Landesregierung.

Musikalische Begleitung: Lienzer Sängerbund
Musikalische Begleitung: Lienzer Sängerbund © Andreas Lieb

3. Dezember, 20.30 Uhr - Ein Erfolg

Auf die EU wird viel geschimpft. Einige wenige, oft missverstandene Entscheidungen (Stichworte: Gurkenkrümmung und Pommes-Verordnung) merkt man sich, die vielen positiven Dinge aus Brüssel übersieht man leicht. Zum Beispiel, dass man im Urlaub keine Roaminggebühren mehr bezahlen muss. Seit heute gibt es wieder so etwas, das Millionen Menschen entgegenkommt: Ab heute ist nämlich das so genannte Geoblocking nicht mehr erlaubt.

Bisher konnte einem beim Online-Einkauf passieren, dass die heimische Kreditkarte nicht akzeptiert wurde oder die bestellte Ware dann doch nicht ins Heimatland lieferbar war. Oft kam es auch vor, dass man beim Versuch, auf die Website eines ausländischen Händlers zu kommen, automatisch auf eine Seite im eigenen Land umgeleitet wurde, wo das Produkt dann entsprechend teurer war.

Alles vorbei ab heute! Die Sache hat aber auch Haken: Es besteht kein Lieferzwang - man kann sie zwar bestellen, muss die Ware aber im schlechtesten Fall selbst holen bzw. selbst den Transport organisieren, wenn der Händler nicht will.  Auch für Streamingdienste wie Netflix hat man das Geoblocking schon eingeführt, nicht aber für Fernsehsender. Dafür gilt die Regel wieder für Konzertkarten oder Eintrittstickets. Jedenfalls: Ganz sicher etwas, aus dem Millionen von EU-Bürgern Nutzen ziehen können.

30. November, 17.00 Uhr - Brennende Polizeiautos

Tausende Menschen haben bisher in Frankreich gegen die zu hohen Benzinpreise protestiert, es kam zu Ausschreitungen und gewalttätigen Auseinandersetzungen. Die Demonstranten, mit gelben Warnwesten ausgestattet, wenden sich hauptsächlich gegen die zu hohen Treibstoffpreise, die in Frankreich durch die Einführung einer Ökosteuer noch verschärft werden. Mittlerweile ist die Bewegung auch nach Belgien übergeschwappt, vor einer Woche etwa blockierten die Wutbürger die E 19 zwischen Mons und Brüssel.

Heute kam es schließlich im Europaviertel zu Ausschreitungen. In der Rue de la Loi, nur wenige hundert Meter von den Institutionen entfernt, trafen die Gelbwesten und die Polizei aufeinander. Mehrere Polizeifahrzeuge wurden umgeworfen, zwei davon in Brand gesteckt. Die Exekutive setzte Wasserwerfer ein, mehrere Dutzend Demonstranten wurden festgenommen. Die Treibstoffpreise in Belgien sind deutlich höher als in Österreich, ein Liter Diesel kostet derzeit zwischen 1,40 und 1,60 Euro. Im Nachbarland Luxemburg sind die Treibstoffe dank Steuerbegünstigung um ein Drittel billiger, ein Liter Diesel kostet dort kaum mehr als einen Euro. Alle, die etwa mit dem Pkw zu den Plenarsitzungen nach Straßburg fahren, machen in Luxemburg eine Tankpause.

Brennende Polizeifahrzeuge in Sichtweite zu den EU-Institutionen
Brennende Polizeifahrzeuge in Sichtweite zu den EU-Institutionen © AP
Gegen die Demonstranten kamen auch Wasserwerfer und Tränengas zum Einsatz
Gegen die Demonstranten kamen auch Wasserwerfer und Tränengas zum Einsatz © AP

29. November, 22.00 Uhr - Schumanplatz

Das Europaparlament steht etwas abseits, aber zwischen Ratsgebäude und EU-Kommission (Berlaymont) liegt der Schumanplatz, benannt - wie so vieles andere in Brüssel, Luxemburg und halb Europa - nach Jean-Baptiste Nicolas Robert Schuman. Dieser war einst Präsident des Europäischen Parlaments, vor allem aber gilt er mit Jean Monnet als einer der Gründerväter der Europäischen Union. Der Schumanplatz ist im Wesentlichen ein (stark befahrener) Kreisverkehr, die Insel in der Mitte ist aber groß genug um Platz zum Verweilen zu bieten; viele Besucher machen dort auch ihre Gruppenfotos, bekommt man doch beide große Gebäude gut als Hintergrund mit aufs Bild. Heute, Donnerstagabend, gab es dort Volkstümliches aus den schottischen Hochmooren; Tänze und Folklore, ein "Ceilidh" zum St. Andrews-Day, was den Autor dieser Zeilen besonders erfreut - Namenstag. Das Scotland House Brussels ist gleich dort untergebracht, auch die Ständige Vertretung Österreichs ist nur ein paar Meter entfernt.

Zum Ratsgebäude hin öffnet sich eine offene Fläche (Platz wäre übertrieben), an dessen Rand sich die Taxis reihen und der oft, nicht nur wenn gerade ein Gipfel stattfindet, mit Militärfahrzeugen verstellt ist. Wenn die gerade nicht da sind, wirkt der Platz wie ein gigantischer Präsentierteller mit den EU-Institutionen als famosem Hintergrund. Ideal für NGOs oder Interessensvertreter aus allen Lagern, auf ihre Angelegenheiten aufmerksam zu machen. Neu seit heute und nicht zu übersehen: ein riesiger Drache, der Plastik speit und so auf den Plastikirrsinn auf unserem Planeten hinweist. Besser gesagt, dass dieser ein Ende haben möge.

Nicht zu übersehen: Der Plastikdrache von "Rethink Plastic" zwischen Rats- und Kommissionsgebäude
Nicht zu übersehen: Der Plastikdrache von "Rethink Plastic" zwischen Rats- und Kommissionsgebäude © APA/AFP/EMMANUEL DUNAND

29. November, 13.00 Uhr - Farage gratuliert

EU-Chefverhandler Michel Barnier spricht vor dem Europäischen Parlament, erklärt noch einmal den Stand der Dinge beim Brexit und bekommt von vielen Abgeordneten Dank und Anerkennung ausgesprochen. Sogar, wenn auch indirekt, von Ober-Brexit-Hardliner Nigel Farage. Dieser nennt den Brexit-Vertrag für "UK den schlimmsten Deal der Geschichte", sagt dann aber zu Barnier: "Herr Barnier, ich wünschte Sie wären auf unserer Seite. Sie haben das Spiel gewonnen."

Im Übrigen, so Farage, werde der Vertrag ohnehin nicht durchs Unterhaus kommen: "Wir werden gehen ohne einen Deal. Sind Sie da auch bereit dafür?" Barnier in seiner Antwort: "Der Weg ist noch lange, steinig und steil."

Farage (links), Barnier (rechts): Man ging mit Handschlag auseinander
Farage (links), Barnier (rechts): Man ging mit Handschlag auseinander © APA/AFP/JOHN THYS

25. November, 13.15 Uhr - Der kurze Gipfel

Im Grunde ist der Gipfel vorüber. Die "großen Drei" - Donald Tusk, Jean-Claude Juncker und Michel Barnier - haben ihre Schlusspressekonferenz gehalten. Auch sie betonen: Es ist ein historischer Tag, aber nichts, was man feiern sollte. Juncker findet, wie immer, einprägsame Worte: "Eine Scheidung ist immer eine Tragödie, einige wissen das vielleicht. Alimente müssen gezahlt werden, und man muss eine künftige Beziehung aufbauen." Die eigentliche Arbeit gehe aber jetzt erst richtig los - vorausgesetzt, der Deal wird angenommen.

Schluss-Pressekonferenz: Juncker, Tusk, Barnier
Schluss-Pressekonferenz: Juncker, Tusk, Barnier © Andreas Lieb

Im Pressezentrum geht die eigentliche Arbeit auch jetzt los - vor allem auch für die zahlreichen Mitarbeiter von Radio- und TV-Stationen, die live berichten. Vor allem nach Großbritannien.

Hektik im Pressezentrum. Die österreichische Präsidentschaft ist präsent
Hektik im Pressezentrum. Die österreichische Präsidentschaft ist präsent © Andreas Lieb

25. November, 11.10 Uhr - Warum Tajani rot im Gesicht ist

Die Ereignisse überschneiden sich. Donald Tusk schickt über Twitter die Nachricht, dass der Brexit-Vertrag mitsamt der politischen Deklaration von den Staats- und Regierungschefs angenommen wurde. Gleichzeitig hält Parlamentspräsident Antonio Tajani seine Pressekonferenz.

Fast geht unter, was er zu sagen hat - er trägt nämlich ein auffälliges rotes Mal unter dem linken Auge. Der Hintergrund: Es ist ein Zeichen gegen die Gewalt gegen Frauen - der heutige Sonntag ist diesem wichtigen Anliegen gewidmet.

Zeichen im Gesicht: Parlamentspräsident Antonio Tajani
Zeichen im Gesicht: Parlamentspräsident Antonio Tajani © AP

25. November, 10.00 Uhr - Es geht los

Nach und nach sind die Staats- und Regierungschefs im Ratsgebäude in Brüssel eingetroffen. Beim Eingang stellen sie sich wie immer den wartenden Journalisten. Meistens verbreiten die obersten Vertreter der Länder schon vom Eingang weg gute Stimmung, mit strahlendem Lächeln und gütigem Blick. Heute ist ein Bruch in der Routine zu bemerken, die Mienen sind ernster als sonst. Auch wenn der Brexit-Vertrag als Erfolg gewertet wird - zu feiern gibt es nichts. Der finnische Ministerpräsident trägt gar eine schwarze Krawatte - düsteres Symbol eines Abschieds.

"Es gibt keine Gewinner." Diesen Satz hört man immer wieder bei den Statements. Und fast alle betonen die Einheit der EU-27. Spanien war da nicht wirklich relevant, aber es herrscht Erleichterung, dass die Gibraltar-Frage offensichtlich soweit geklärt wurde, dass die verbleibenden EU-Staaten mit einer Stimme sprechen können.

21. November, 20.30 Uhr - May war da

Vor dem Sondergipfel am Sonntag war Theresa May wieder in Brüssel, um bei Kommissionschef Jean-Claude Juncker die Stimmung auszuloten und Details zu besprechen. Wesentliche Vereinbarungen hat man nicht getroffen, sie will am Samstag noch einmal kommen. Wenn Spanien wegen der Gibraltar-Frage nicht noch kurz vor dem Zieleinlauf alles zu Fall bringt, dann ist der Deal zumindest auf EU-Seite am Sonntag durch. Bevor dann die finalen Papiere beim regulären Dezembergipfel unterzeichnet werden können, muss May den Deal noch durchs britische Parlament bringen. Ob das klappt oder nicht, wissen wohl nicht einmal die Götter. Das Zittern geht also noch weiter.

Auf (vorläufiger) Abschiedstour: Theresa May bei Jean-Claude Juncker
Auf (vorläufiger) Abschiedstour: Theresa May bei Jean-Claude Juncker © APA/AFP/JOHN THYS

21. November, 14.30 Uhr - Klimapolitik

Kommende Woche, kurz vor dem Klimagipfel im polnischen Kattowitz, will die EU-Kommission ihre Klimastrategie für die nächsten Jahrzehnte präsentieren. WKÖ-Energieexperte Stephan Schwarzer hält dies für wichtig und verweist darauf, dass strengere Rahmen eine große Chance für die Hersteller neuer Technologien bieten würde - für Österreich fällt da ein großes Stück vom Kuchen ab. Allerdings meint Schwarzer, man müsse schon auch am Boden bleiben: "Der Beschluss des Europaparlaments das CO2-Reduktionsziel von 40 auf 55 Prozent hinaufzuschrauben war schon eher populistisch." Industrie und Energiewirtschaft kämen auch bei gutem Willen an ihre Grenzen.

Stephan Schwarzer (Mitte): Von Ankündigungen hat das Weltklima nichts
Stephan Schwarzer (Mitte): Von Ankündigungen hat das Weltklima nichts © Andreas Lieb

Schwarzer warnte auch davor, dass unrealistische CO2-Ziele zu einer neuen Blütezeit der Atomkraftwerke führen könnten. Wenn die EU dem Weltklima etwas Gutes tun will, dann muss sie aus Sicht der WKÖ eine weltweite CO2-Bepreisung fordern. Darauf sollten sich alle Staaten, die das Klimaabkommen von Paris unterzeichnet haben, am leichtesten einigen können - denn dann gibt es keine Verlierer, so der Experte. Und er sagt: "Von Ankündigungen hat das Weltklima nichts, auch wenn sie noch so hochgesteckt sind. Was zählt, sind Umsetzungen. Die Aufgabe Europas und Österreichs besteht darin vorzuleben, wie ein nachhaltiges Energiesystem funktionieren kann, ohne dass Energiekosten explodieren und die Wirtschaftskraft verloren geht."

19. November, 22.15 Uhr - Gescheitert

Es hat dem Vernehmen nach nicht einmal bis Mitternacht gedauert: Die Budgetverhandlungen für 2019 sind offensichtlich gescheitert. Unter anderem an der Frage, wie man die gesteigerten Ausgaben finanzieren soll. Jetzt muss die Kommission einen neuen Vorschlag machen. Kommt es bis Jahresende zu keiner Einigung, wird der bisherige Haushalt Monat für Monat fortgeschrieben, ohne die geplanten Erhöhungen.

Schade, der österreichische Ratsvorsitz muss also vorerst ohne Budget-Erfolg eine weitere Runde einleiten.

19. November, 22.00 Uhr - Neue Verhandlungen

Montag Nachmittag wurden die Verhandlungen für das EU-Budget 2019, die am Freitag spät abends abgebrochen worden waren, wieder aufgenommen. Fast möchte man an Michel Barniers Dauer-Brexit-Sager "The clock is ticking" denken - denn die Verhandlungspartner, Parlament und Rat (unter österreichischem Vorsitz durch Finanzminister Hartmut Löger) haben nur bis Mitternacht Zeit, dann ist die letzte Frist für eine Vereinbarung abgelaufen und die Kommission muss einen neuen Vorschlag vorlegen.

Hauptstreitpunkt ist die Türkeihilfe für die Flüchtlingswelle, das Parlament will die Mitgliedsländer mehr in die Pflicht nehmen, um das eigene Budget nicht zu überlasten. ÖVP-Europaabgeordneter Paul Rübig, einer der Verhandlungsführer, sagt dazu: "Das Europaparlament ist nur dann bereit, weit mehr Geld für das Migrationsabkommen mit der Türkei aus dem EU-Budget zu bewilligen, wenn es mehr frisches Geld für Zukunftsthemen wie Jugend, Forschung und KMU gibt."

Die Kommission schlägt ein Budget von 165,6 Milliarden Euro vor, die Mitgliedsländer wollen 1,5 Milliarden weniger, das Parlament fast 800 Millionen mehr.

19. November, 19.30 Uhr - Lehrlinge zu Gast

Während im nahen Ratsgebäude emsig verhandelt wird, trifft im Restaurant "Grand  Central" eine Gruppe junger Menschen ein; rund 40 österreichische Lehrlinge, die auf Einladung des Verbands Österreichischer Volkshochschulen (VÖV) und der Diplomatischen Akademie Wien mit Unterstützung durch den Zukunftsfonds der Republik in Brüssel sind. Sie waren in der Ständigen Vertretung zu Gast, haben Kommission und Parlament besucht und sind am Dienstag zur Weltkriegsgedenkstätte Ypern unterwegs. Teil des Programms: Die Jugendlichen können selbst Videobeiträge von der Reise gestalten - und interviewen gleich VÖV-Generalsekretär Gerhard Bisovsky. Was schon bei vorangegangenen ähnlichen Reisen nachzuweisen war: Die Einstellungen der Lehrlinge haben sich jeweils vor und nach so einer Exkursion maßgeblich geändert, das Bild von Europa wird danach deutlich positiver wahrgenommen.

Lehrlinge bei der Videoarbeit in Brüssel - mit VÖV-Generalsekratär Gerhard Bisofsky
Lehrlinge bei der Videoarbeit in Brüssel - mit VÖV-Generalsekratär Gerhard Bisofsky © Andreas Lieb

16. November, 23.30 Uhr - Streit ums Geld

Der Brexit und vor allem, was nun in Großbritannien passiert, dominiert derzeit alles. Kaum jemand scheint sich darum zu kümmern, dass heute Nacht um das EU-Budget für 2019 gerungen wird. Es geht um mehr als 160 Milliarden Euro, Streit gibt es vor allem um die Finanzierung der Flüchtlingshilfe für die Türkei sowie die Themen Jugendbeschäftigung und Forschung. Das EU-Parlament hätte gerne mehr Mittel, die Mitgliedsländer steigen auf die Bremse, es geht um 2,3 Milliarden Euro. Bis vor wenigen Minuten liefen die Verhandlungen, doch was am Nachmittag noch ganz gut ausgesehen hatte, drohte dann doch - unter österreichischer Verhandlungsführung - zu scheitern. Gerade eben wurden die Besprechungen für heute abgebrochen. In einer ersten Reaktion aus Parlamentskreisen wurde nicht mit Kritik gespart. Jean Arthuis (ALDE), Vorsitzender des Haushaltsausschusses: "Die Diskrepanz zwischen den Reden der Staats- und Regierungschefs und dem Verhalten des Rates ist ein Zeichen der Verachtung gegenüber dem Parlament." Der Österreicher Paul Rübig (ÖVP), einer der Berichterstatter, ergänzt: "In den letzten 15 Jahren ist das EU-Budget von 1,2 Prozent der Wirtschaftsleistung schon auf 0,9 Prozent zurückgegangen. Der Rat sollte zur Kenntnis nehmen, dass 94 Prozent des EU-Budgets in die Mitgliedsstaaten zurückfließt: zu den Bürgern, in die Regionen, Städte, zu den Bauern und Wirtschaftsbetrieben." Am Montag wird weiterverhandelt.

Aber zurück zum Brexit. Heute war wieder Bundeskanzler Sebastian Kurz in Brüssel, als Vertreter der Ratspräsidentschaft. Er traf sich mit Chefverhandler Michel Barnier, Ratspräsident Donald Tusk und Kommissionschef Jean-Claude Juncker um die Lage zu besprechen und den Sondergipfel vorzubereiten (Sonntag in einer Woche, am 25.) Zwischendurch trifft er sich mit uns Journalisten zur Lunchpause und zu einem Hintergrundgespräch. Kernsatz: "Wir stehen an einem kritischen Punkt." Niemand vermag im Augenblick zu sagen, was in London als nächstes passiert und wie sich das auswirkt. So oder so, die EU-27 seien sich in allen wesentlichen Punkten einig und auf alle Möglichkeiten vorbereitet, auch wenn es immer wieder kritische Wortmeldungen aus einzelnen Ländern gibt (etwa aus Spanien oder Frankreich, wo es um die zukünftige Regelung der Fischereirechte in britischen Gewässern geht).

Bei den Brexit-Verhandlungen hat das Ratsvorsitz-Land Österreich zwar keine Hauptrolle gespielt, aber doch den Prozess begleitet und dafür gesorgt, dass keiner der Beteiligten vom Kurs abkommt. Eine Arbeit, die vor allem dem engagierten Team der Ständigen Vertretung rund um Botschafter Nikolaus Marschik gelungen ist. Sebastian Kurz dankte seinem früheren Kabinettschef und dem Team ausdrücklich.

Sebastian Kurz in Brüssel. Im Hintergrund Botschafter Nikolaus Marschik
Sebastian Kurz in Brüssel. Im Hintergrund Botschafter Nikolaus Marschik © Andreas Lieb

13. November, 22.45 Uhr - Ein Tag in Straßburg

Vorletzte Tagung des Europäischen Parlaments in diesem Jahr und man könnte meinen, auf einmal stehen alle unter Strom. Kurze Bilanz des heutigen Tages:

In aller Früh schon überraschen die bestens gelaunten FPÖ-Abgeordneten Harald Vilimsky und Georg Mayer mit Reiseplänen. Vilimsky will nach Rom fliegen und mit Lega-Chef Matteo Salvini zwei Dinge besprechen. Italien, so der Plan, soll sich ebenfalls aus dem UN-Migrationspakt zurückziehen; und Salvini soll für die EU-Wahlen zwar nicht ein Spitzenkandidat der Rechten werden, aber der Bewegung "sein Gesicht" verleihen. Offen lässt Vilimsky, ob es die ENF als solche überhaupt noch lange geben wird. Neue Allianzen scheinen möglich.

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel spricht im Plenum zur Zukunft der Europäischen Union. Sie wirkt locker und gelöst, ist etwas angriffslustiger als zuletzt und nennt vieles beim Namen. Merkel ist für eine EU-Armee und bedauert öffentlich, die Folgen der Willkommenspolitik für die anderen Länder falsch eingeschätzt zu haben. Schengen einzuführen ohne den Außengrenzschutz mitzudenken, sei auch ein Fehler gewesen.

Alles locker in Straßburg: Antonio Tajani, Angela Merkel
Alles locker in Straßburg: Antonio Tajani, Angela Merkel © AP

EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker gratuliert zur Rede Merkels, kann sich aber den Hinweis nicht verkneifen, dass vor ihr schon andere Redner da waren mit ähnlichen Ansprachen und weit weniger Abgeordneten im Saal. "Da waren aber auch weniger Mitglieder der Kommission da", kontert EP-Präsident Antonio Tajani. Alle drei - Merkel, Juncker, Tajani - gehören derselben Parteienfamilie, der EVP, an.

Deren frischgekürter Spitzenkandidat und mutmaßlicher Juncker-Nachfolger Manfred Weber ist auch da, klar, er ist ja auch Fraktionsführer im Parlament. Spät am Abend spricht er vor einem kleinen Kreis von Journalisten über seine Wahl, Rechtspopulisten, den Zugang zu den Bürgern und seine Ideen zur Zukunft Europas. Sehr offen, sehr geradlinig. Ein guter Auftakt.

Auch die österreichischen Abgeordneten bringen sich in Straßburg ein. Angelika Mlinar (NEOS) will einen Ausschluss der ALDE aus der ALDE nicht ausschließen. Erstere ist eine liberale rumänische Partei, die aus welchen Gründen auch immer gleich heißt wie die Parteienfamilie selbst. Die Grüne Europaabgeordnete Monika Vana schießt sich ebenso wie Josef Weidenholzer (SPÖ) ebenfalls auf Rumänien ein, genauso wie VP-Delegationsleiter Othmar Karas. VP-Abgeordneter Heinz Becker ist für den Aufbau eines "Euro-FBI".

Mitten hinein in das alles und während im Plenum gerade die Diskussion über den UN-Migrationspakt läuft, platzt die Nachricht von einer möglichen Brexit-Einigung. Ein Durchbruch ist geschafft, zumindest auf technischer Ebene. Alle, die bis dahin ihre Printseiten und Online-Plattformen mit Merkel, Migrationspakt und Italiengeschichten gefüllt haben, eilen an die Tastaturen und beginnen ihr Werk von Neuem. Ein Tag in Straßburg.

8. November, 16.00 Uhr - Reaktionen

Beide Kandidaten hatten Zuspruch bei den Delegierten gehabt, der Sieg Webers fand schließlich ungeteilten Zuspruch. Sebastian Kurz sprach von einem "leidenschaftlichen Europäer", der die notwendigen Veränderungen ganz bestimmt angehen werde. ÖVP-Delegationsleiter Othmar Karas wies darauf hin, dass in der Person von Weber die regionale Verwurzelung mit großer europäischer Erfahrung kombiniert werde.

Weber selbst hielt vor Journalisten fest, dass er mit aller Kraft die Abgrenzung nach rechts wahrnehmen werde, er würde auch, sagte er auf eine gezielte Frage, seine Wahl zum EU-Kommissionschef nicht mit den Stimmen der Rechten erkaufen wollen. Auch Weber ist übrigens der Ansicht, dass die Fortführung der Verhandlungen mit der Türkei über einen zukünftigen EU-Beitritt nicht zielführend sind.

Weber wäre übrigens der erste Deutsche seit 50 Jahren, der es an die Spitze der EU-Kommission schaffen könnte.

Eilig hatten es indessen die Hallenarbeiter. Noch während die Pressekonferenz von Manfred Weber im Gange war und im Pressezentrum hektische Betriebsamkeit herrschte, wurden bereits die Info-Monitore abgebaut und die Kabel wieder eingerollt. Es ist klar: der EVP-Kongress in Helsinki ist beendet.

8. November, 12.30 Uhr - Das Ergebnis

Nun ist das Wahlergebnis da: Manfred Weber wurde mit 79,2 Prozent von den Delegierten in Helsinki zum neuen EU-Spitzenkandidaten der EVP gewählt. Sein Konkurrent Alexander Stubb bekam die restlichen 20 Prozent.

8. November, 12.15 Uhr - Die Gastredner

Soeben hat Angela Merkel das Podium betreten und lange standing ovations bekommen - bis sie schließlich sagte: "Danke, aber ihr wisst ja noch gar nicht, was ich sage." Es werde bei der EU-Wahl um Einstellungen und Haltungen gehen. Und die Bürger wirklich etwas aus der Geschichte gelernt hätten, begann sie dann ihre Rede.

Zuvor waren bereits Parlamentspräsident Antonio Tajani, Ratspräsident Donald Tusk und Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker am Wort. Tajani hielt eine flammende Rede, in der er die humanitäre Lage in Venezuela anprangerte. Juncker sagte, man müsse zur Verteidigung der Werte Handeln und nicht nur darüber reden. Tusk fand kräftige Worte für den Weg Ungarns: Wer all die Grundwerte nicht einhalte, gehöre nicht zur Volkspartei. Später meinten einige, er habe damit eigentlich die rechte Partei PIS in seiner polnischen Heimat im Sinn gehabt; die Frage blieb ungeklärt.

8. November, 9.45 Uhr - Die Wahl läuft

Das Messezentrum hat sich wieder mit Menschen gefüllt, die Stimmabgabe zur Wahl des Spitzenkandidaten beim EVP-Kongress in Helsinki ist eröffnet. Gerade spricht noch einmal Alexander Stubb, der zweite Kandidat Manfred Weber folgt. Unter anderem hält Weber daran fest, dass die Türkei nicht mehr als EU-Kandidat zu sehen sei. Derzeit deutet alles darauf hin, dass Weber das Rennen macht. Stubb allerdings hat ebenso viele der Delegierten beeindruckt, er hält Fest an den Themen Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, Werte bewahren. Er witzelt: Gegen Weber anzutreten sei ein bisschen so, als würde Finnland gegen Deutschland Fußball spielen. Stubb wird vielleicht nicht Kommissionspräsident, aber er bleibt für einen der anderen Top-Jobs in Brüssel eine Empfehlung.

Kurzer Rückblick auf Mittwochabend, der eine Reihe von Terminen für Sebastian Kurz bereithielt. Zunächst als Gast des finnischen Premierministers Juha Sipilä in dessen malerisch gelegener Residenz Kesäranta. Zuvor war der irische Premier Leo Varadkar dort, danach machte Angela Merkel ihre Aufwartung.

Nebelverhangen, malerische Location: Residenz des finnischen Premierministers
Nebelverhangen, malerische Location: Residenz des finnischen Premierministers © Andreas Lieb

Sipilä ist Liberaler und gehört damit nicht zur EVP-Parteifamilie, er und Kurz verstanden sich aber hervorragend. Die italienischen Budgetpläne bereiten ihnen Sorgen, beim Brexit bleiben alle noch optimistisch.

Verstanden sich bestens: Kurz, Sipilä
Verstanden sich bestens: Kurz, Sipilä © Andreas Lieb

Dann geht es zurück ins Messezentrum, kurzes Briefing mit Kommissar Johannes Hahn. Beide halten Weber für den richtigen Mann, sehen die Volksparteien in der EU als neue Kraft der Mitte, die sich zwischen den linken und rechten Strömungen positionieren will. Spät am Abend, der lange nicht zu Ende ist, spricht Kurz noch einmal über Ungarn; die Einleitung eines Rechtsstaatsverfahrens sei der Beginn eines Dialoges. So sei auch die klar auf Ungarn gemünzte Resolution zu sehen, die der Parteikongress verabschiedet habe.

Abendliche Zwischenbilanz: Sebastian Kurz, Johannes Hahn
Abendliche Zwischenbilanz: Sebastian Kurz, Johannes Hahn © Andreas Lieb

7. November, 19.20 Uhr - Duell am Podium

Im vollen Tagungssaal trafen Manfred Weber und Alexander Stubb nun aufeinander; in Freundschaft verbunden, wie beide betonen. Sie lieferten sich keinen Schlagabtausch, sondern legten vor den Delegierten ihre Programme dar, die sich voneinander nicht wesentlich unterscheiden. Vielleicht erwähnenswert: Beim Thema Rechtsstaatlichkeit und fehlende Sanktionsmöglichkeiten kam Stubb auf Österreich im Jahr 1999 zu sprechen, als es nach der FPÖ-Regierungsbeteiligung erstmals Sanktionen gab.

Die beiden Kontrahenten mit Moderatorin Mairead McGuinness
Die beiden Kontrahenten mit Moderatorin Mairead McGuinness © Andreas Lieb

7. November, 14.15 Uhr - Eine Resolution

Der Nachmittag ist großen Reden gewidmet. Es geht um Wirtschaft, Jugend, Digitalisierung, Russland, Migration. Und es geht um Populisten und den rechten Rand. Im Lauf des Tages soll eine Resolution verabschiedet werden, im Entwurf unter dem Titel "Emergency Resolution" - eine Notfallresolution, die klar auf  Ungarns Premier Victor Orban und die Fidesz abzielt.

Dort heißt es unter dem Titel "Die Resolution zum Schutz der EU-Werte und Sicherung der Demokratie": "Die Christdemokraten haben für Etablierung der liberalen Demokratie gekämpft, basierend auf jüdisch-christlichen Werten, christdemokratischen Ideen, Rechtsstaatlichkeit und Mehrparteiensystem, einer starken Zivilgesellschaft mit unabhängigen Medien, Religions- Rede- und Versammlungsfreiheit. Heute werden diese Grundwerte in einer nie dagewesenen Form in Frage gestellt. Wir fordern alle EVP-Mitglieder auf, diese Werte und Prinzipien zu respektieren, zu schützen und zu fördern."

Weiter heißt es: "Populismus und Nationalismus sind nicht mit Fortschritt, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit vereinbar." Eine unabhängige Justiz sei eine grundlegende Vorbedingung für die EU-Mitgliedschaft. Auch Nichtregierungsorganisationen (NGO) müssen für humanitäre Ziele arbeiten dürfen, ohne Angst vor Bestrafung zu haben."

Und schließlich: "Die EU-Institutionen sollen eine Schlüsselrolle bei der Überwachung der Einhaltung der Grundwerte spielen. Regierungen sollen davon Abstand nehmen, Verschwörungstheorien zu verbreiten und pauschal Angriffe auf die EU-Kommission, das EU-Parlament und die Europäische Zusammenarbeit zu lancieren."

7. November, 12.30 Uhr - Präferenzen

Auch wenn die Stichwahl zwischen Manfred Weber und Alexander Stubb beim EPP-Kongress in Helsinki erst morgen, Donnerstag, stattfindet, zeichnet sich doch ab, wie sich die österreichischen Delegierten entscheiden werden. Bundeskanzler Sebastian Kurz hatte sich bereits im September auf Weber festgelegt, der ÖVP-Delegationsleiter im EU-Parlament, Othmar Karas, sagte am Vormittag, er halte es ebenfalls mit "dem Nachbarn" (Weber kommt aus Bayern). Derzeit deutet alles darauf hin, dass Weber das Rennen macht.

7. November, 10.00 Uhr - Die Orban-Frage

Einer, um den sich hier viel dreht, ist der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban. Seine "illiberale Demokratie", der Umgang mit NGOs, Flüchtlingen und der Pressefreiheit, sind ein Stachel in der dünner gewordenen EVP-Haut. Wie mit diesem Rechtsruck umgehen? Orbans Partei Fidesz ist EVP-Mitglied. Noch dazu ein wichtiges mit vielen Stimmen. Heute Nachmittag wird der EVP-Kongress eine Resolution verabschieden, in der die roten Linien aufgezeigt werden und die sich indirekt ganz konkret gegen Orban richtet (der übrigens ebenfalls in Helsinki anwesend ist).

7. November, 9.00 Uhr - Auftakt

Helsinki. Trübes, vorwinterliches Wetter, zum Glück noch nicht bitterkalt. Seit acht Uhr früh strömen Menschen in das Messukeskus Congress Centre - Teilnehmer am 25. Kongress der EVP, der europäischen Volksparteien. Rund 2000 Teilnehmer aus allen Teilen Europas wurden eingeflogen. Helsinki ist ein "Europawahlkongress", ein Treffen dieser Dimension findet nur alle fünf Jahre statt.

Hier wollen sich die Volksparteien auf ihre Marschrichtung für die nächsten Jahre einstimmen und hier wollen sie den Spitzenkandidaten für die Europawahl wählen. Der aus Bayern stammende Manfred Weber tritt gegen den Finnen Alexander Stubb an - der Sieger hat reale Chancen auf den Job des EU-Kommissionspräsidenten. Ein Wahlkampf innerhalb der Partei:

Wahlwerbung schon vor der Messehalle: Hier für Alexander Stubb
Wahlwerbung schon vor der Messehalle: Hier für Alexander Stubb © Andreas Lieb
Stubb, Ex-Ministerpräsident Finnlands, gibt sich als Vertreter der "Next Generation"
Stubb, Ex-Ministerpräsident Finnlands, gibt sich als Vertreter der "Next Generation" © Andreas Lieb
Weber war nie Regierungschef; er scheint aber die besseren Chancen zu haben
Weber war nie Regierungschef; er scheint aber die besseren Chancen zu haben © Andreas Lieb
Webers Wahlkampf ist eher konservativ angelegt
Webers Wahlkampf ist eher konservativ angelegt © Andreas Lieb

6. November, 10.30 Uhr - Auf nach Helsinki

Die Allerheiligenwoche bot eine kurze Verschnaufpause; Herbstferien in Belgien und auch in den internationalen Schulen. Doch jetzt geht es mit Vollgas in einen ereignisreichen Jahresausklang. Heute Abend bzw. morgen beginnt in Helsinki der EPP-Kongress. EPP (oder EVP) - das sind Europas Konservative, die Volksparteien. Sie küren dort ihren Spitzenkandidaten (das Wort wird auch im Englischen so verwendet), zur Wahl stehen Fraktionschef Martin Weber, ein Deutscher, und der frühere finnische Ministerpräsident Alexander Stubb. Es ist auch eine Richtungsentscheidung. Weber hat zwar im EU-Parlament für die Einleitung eines Rechtsstaatsverfahrens gegen Ungarn gestimmt, zeigt aber viel Dialogbereitschaft und wird unter anderem von Viktor Orban unterstützt. Alexander Stubb, der sich selbst als Vertreter der "Next Generation" sieht, hat von Anfang an klargestellt, dass er nicht zögern würde, Orbans Fidesz-Partei aus der EVP auszuschließen, wenn die Ungarn die Grundwerte nicht akzeptieren würden - zuletzt in einem Interview mit der Kleinen Zeitung. Allerdings bringt Fidesz der EVP viele Stimmen - und die wird sie brauchen, ist doch bei den EU-Wahlen im kommenden Mai eine gröbere Änderung der Gemengelage zu erwarten. EPP und die S+D (Sozialdemokraten) könnten ihre Mehrheit verlieren und sind dann auf Partner angewiesen - etwa Guy Verhofstadts Liberale. Der Spitzenkandidat der stärksten Partei würde Kommissionspräsident und damit Nachfolger von Jean-Claude Juncker werden. Aber es müssen die anderen dafür mitspielen. Die S+D hat sich inzwischen auf Kommissions-Vizepräsident Frans Timmermans als Spitzenkandidat geeinigt. Ein anderer, der sich kurz Hoffnungen gemacht hatte - Österreichs früherer Bundeskanzler Christian Kern - hat sich bekanntlich selbst wieder aus dem Rennen genommen.

Die Bedeutung der EPP in Europa wird klar, wenn man sich die Teilnehmerliste des Treffens in Helsinki ansieht. Neben Jean-Claude Juncker, Ratspräsident Donald Tusk und Parlamentspräsident Antonio Tajani sind dabei: Bundeskanzler Sebastian Kurz, die deutsche Kanzlerin Angela Merkel, die Staats- und Regierungschefs Boyko Borisov (Bulgarien), Viktor Orban (Ungarn), Andrej Plenkovics (Kroatien) und Leo Varadkar (Irland) sowie Politiker wie Horst Seehofer oder Silvio Berlusconi. Ebenfalls auf der Liste: EU-Brexit-Chefverhandler Michel Barnier.

30. Oktober, 21.00 Uhr - "Lame duck"

In einer Analyse versucht die Nachrichtenagentur AFP die Folgen von Angela Merkels angekündigtem Rückzug auf Raten abzustecken. Der Befund ist bitter. Merkel gelte jetzt schon als "lame duck", also als "lahme Ente".

"In Europa wird ihr niemand mehr zuhören", sagt da etwa der Europaexperte Sebastien Maillard vom Institut Jacques Delors in Paris. Nun beginne eine lange Periode der Unsicherheit: "Das ist ein harter Schlag für Europa." Ähnlich sieht es Eric Maurice von der Brüsseler Stiftung Robert Schuman: "In Brüssel gilt Merkel als ausgeschieden." Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sei derzeit der einzige, der das Vakuum ausfüllen könnte. "Aber zusammen mit wem?" Macron hat ehrgeizige Pläne zur Reform der EU. Doch dem Franzosen mangele es an Partnern, meint Maurice. In Spanien regiere eine fragile Minderheitsregierung. Italien und Polen hätten sich quasi von Europa abgemeldet. Den anderen fehle es an Größe und Einfluss. "Ohne Deutschland ist Macron nichts", resümiert Maurice.

Der französische Präsident selbst machte aus seiner Enttäuschung über Merkels Entscheidung keinen Hehl: Ihr Rückzug habe "nichts Beruhigendes", sagte Macron am Montagabend. "Sie hat niemals vergessen, was Europas Werte sind." Die Worte des Präsidenten, so heißt es in der Analyse, hörten sich fast wie ein Nachruf an.

Das verheißt nichts Gutes für die kommenden zwei Jahre, in denen Merkel noch als Kanzlerin im Amt bleiben will. Auch, wie nun öfter zu hören ist, wenn das bedeutet, dass sie sich weniger um ihre Partei und dafür mehr um Deutschland und Europa kümmern kann.

28. Oktober, 16.45 Uhr - Was dahinter steckt

Schon die Zeit umgestellt? Von Sommerzeit auf Winterzeit bzw. "Normalzeit"? Am Montag und Dienstag ist die Abschaffung der Zeitumstellung Thema bei den EU-Ministertreffen in Graz. Zweimal jährlich umstellen (ursprünglich erfunden, um Energie zu sparen und die langen Sommertage besser nutzen zu können), war vielen Menschen auf den Geist gegangen und es hatte gar welche gegeben, die von verwirrten Kühen und Schäden für die menschliche Gesundheit sprachen. Naja.

Was dann passierte, ist bekannt. Nach anhaltender Kritik startete die EU-Kommission eine Umfrage, bei der es eine Rekordbeteiligung gab und die überwiegende Mehrheit der 4,6 Millionen Teilnehmer (davon allein drei Millionen aus Deutschland) für die Abschaffung der Umstellung eintrat. Obwohl das alles andere als repräsentativ und die Umfrage de facto nicht verbindlich war, ließ die Kommission Taten folgen. Sie erklärte das Projekt für beendet, die Staaten sollten nun selbst entscheiden, welche Zeit sie haben wollen. Wir schrieben dazu: Jetzt haben alle den Scherm auf (oder auch Scherben, wie ein aufmerksamer Leser monierte).

Denn was steckt dahinter? Ein geschickt eingesetztes Lehrstück für populistisch begründete Entscheidungen und falsch verstandenen Subsidiaritätsgedanken. Kommissionschef Jean-Claude Juncker, der alte, schlaue Fuchs, hat es mehrmals mit diesen Worten erklärt: "Die Leute wollen das, wir machen das." Und so geschah es. Was bisher einheitlich geregelt und als Kompromiss über viele Jahre für alle Mitgliedsländer tragbar war, können die Länder nun selbst entscheiden. Aber wie? Je weiter im Osten, desto eher wollen die Bürger dauerhaft Sommerzeit. Je weiter im Westen, desto eher finden die Bürger die Normalzeit besser. Wo wird also in Zukunft die Grenze verlaufen, die bisher im Westen zwischen Spanien und Portugal bzw. zwischen Mitteleuropa und UK/Irland verlief? Und wie kann man verhindern, dass einzelne Länder mittendrin ausscheren und damit gleich mehrere verschiedene Zonen innerhalb kurzer Distanzen bewirken? Das wird nicht leicht.

Was wir daraus lernen können:

  • Man kommt jetzt auch nicht darum herum, sich zu einigen. Was ungleich schwieriger ist, als es davor war. So schlecht kann das Konzept der Europäischen Union also nicht sein.
  • Einige wenige, die laut aufgeschrien haben, konnten das, womit die große, schweigende Mehrheit zufrieden war, aushebeln. Nicht einmal ein Prozent der EU-Bürger hat an der Umfrage teilgenommen. Wer nicht wählt oder abstimmt, darf sich über den Erfolg der anderen nicht wundern.
  • Die Subsidiarität, gerade von den Nationalisten immer wieder heraufbeschworen, hat immer dort ihre Grenzen, wo es um das Gemeinwohl in allen EU-Ländern geht. Und das gilt auch für "harmlose" Themen wie die Zeitumstellung.
  • Und: Es ist in Zeiten der Digitalisierung und von Social-Media sehr leicht, für oder gegen etwas zu sein, aber sehr schwer, die Konsequenzen abzusehen. Das sollte zu denken geben.

Juncker hat uns an einem verhältnismäßig einfachen Beispiel gezeigt, wie rasch der Populismus Dinge kaputtmachen kann, die in langen Verfahren aus gutem Grund entstanden sind. Am Ende des Tages ist kaum etwas gewonnen, aber viel verloren. Für die Briten kommt diese Erkenntnis zu spät, für die Italiener hoffentlich nicht. Und bis zu den EU-Wahlen haben wir noch etwas Zeit zum Nachdenken.

25. Oktober, 19.00 Uhr - Die Kurve gekratzt

Jetzt ist schon wieder was passiert. Im EU-Parlament in Straßburg wurde heute über den Bericht des Verkehrsausschusses zum Thema einheitliches Mautsystem abgestimmt, bei dem es unter anderem darum ging, ob ab 2027 die österreichische Autobahnvignette durch ein für Autofahrer wesentlich teureres (weil kilometerabhängiges) Road Pricing ersetzt werden muss. Was im Vorfeld schon Autofahrerklubs und die Abgeordneten von ÖVP, SPÖ und FPÖ auf die Barrikaden steigen ließ.

Nun, klar war anschließend, wie die Abstimmung ausgegangen war: 398 dafür, 179 dagegen, 32 Enthaltungen. Nicht klar war allerdings, was das Ergebnis der Abstimmung bedeutet. Kilometerabhängige Tarife also beschlossen - für Lkw, Transporter und sogar kleine Transporter. Und Pkw? So war in ersten empörten Stellungnahmen bereits von "Abzocke", "Desaster" und "Schikane gegen Autofahrer" die Rede, während andere meinten: "Die Vignette bleibt, eine gute Nachricht." Bleibt es also, das "Pickerl"? Oder muss es weg?

Rauchende Köpfe im EU-Parlament in Straßburg: Worüber genau hatte man gerade abgestimmt?
Rauchende Köpfe im EU-Parlament in Straßburg: Worüber genau hatte man gerade abgestimmt? © Andreas Lieb

Das war passiert: Die Abstimmung umfasst nicht nur den Bericht im Ganzen ("over all"), sondern auch noch Dutzende Änderungsanträge, wo es um exakte Formulierungen und manchmal um jedes einzelne Wort geht. Irgendwo in diesem Gewirr an Anträgen hatte sich auch jener Absatz versteckt, in dem die Pkw-Maut ausgenommen wird: Im "Amendment 47". Artikel 1, Paragraph 1, Punkt 2 sowie Artikel 2, Paragraph 1, Punkt 19.

Hektische Telefonate, ein juristischer Dienst, der die Texte noch einmal Punkt für Punkt durchging und schließlich neu formulierte Presseaussendungen mehrerer Fraktionen waren die Folge. Also doch: Die Vignette soll nach dem Willen des Parlaments bleiben, es wird allerdings darauf gedrängt, dass es aus Fairnessgründen für Durchreisende auch eigene Ein-Tages-Vignetten bzw. solche für eine Woche gibt.

Gut ists gegangen, nix ist g'schehn. Jetzt sind dann eh erst einmal die Verkehrsminister der EU-Länder an der Reihe.

22. Oktober, 23.00 Uhr - Es wird abgestimmt

Wieder hat eine Straßburg-Session des Europäischen Parlaments begonnen, die zweite im Oktober. Langsam wird die Zeit knapp - das Jahr ist bald um und dann überhaupt "alles", denn unmittelbar vor den Europawahlen tut sich niemand mehr weitreichende Entscheidungen an.

Also jetzt. Aktuell wird sich die Kommission mit dem italienischen Budget und das Parlament mit dem Fall Khashoggi beschäftigen, auf der Tagesordnung stehen aber Abstimmungen zu Themen, die näher bei der Bevölkerung verankert sind und die eigentlich "grüne" Themen sind, mit denen sich aber alle Fraktionen intensiv befasst haben - natürlich mit unterschiedlichen Zugängen. Am Dienstag geht es um die umstrittene Trinkwasserrichtlinie (da kommt es zum Beispiel auf die Formulierung an, ob und unter welchen Umständen man von Gastwirten verlangen kann, dass sie Trinkwasser "leicht zugänglich" machen sowie wie oft auch kleine Versorger eine teure Qualitätsprüfung haben müssen).

Am Mittwoch wird abgestimmt über das Schengen-Informationssystem, die Reduzierung von Plastikmüll (Stichwort Trinkhalme, Plastikbesteck und Luftballonstangerln) und am Donnerstag geht es dann um unfaire Handelspraktiken im Lebensmittelhandel und um die künftige EU-weite Autobahnmaut (was das Ende des günstigen "Pickerls" in Österreich bedeuten könnte). Die Entscheidungen des Parlaments fließen dann in die weiteren Prozesse (etwa ein Trilog mit Rat und Kommission) ein.

20. Oktober, 17.00 Uhr - Ein Resumee

Die Super-Gipfelwoche in Brüssel ist vorbei, alle Delegationen wieder in ihren Heimatländern. Selbst für Brüssel, das Veranstaltungen dieser Art eigentlich gewohnt ist, war die letzten Tage eine Herausforderung. Ständig kreisende Hubschrauber über der Innenstadt, Dutzende Konvois schwarzer Limousinen, die sich - selbst gesehen - etwa am bekannten Schuman-Kreisverkehr zwischen Kommissions- und Ratsgebäude gegenseitig im Weg waren - all das ist vorbei und herbstliche Ruhe liegt wieder über der Stadt. Ziehen wir also kurz Bilanz - und die sieht gar nicht schlecht aus.

Sozialpartnergipfel: Wettbewerbsfähigkeit stärken, Arbeitsplätze schaffen und mit Veränderungen am Arbeitsplatz umgehen  mit diesen Punkten hatte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) das Arbeitsprogramm umrissen. Es ging dann aber vor allem um eines: Brexit und die Folgen. Die Wirtschaftskammer forderte die EU-Spitzen auf, das Wachstum nicht aufs Spiel zu setzen und den Arbeitsmarkt (Ausbildung, Asylsuchende) nicht zu vernachlässigen.

Brexit-Gipfel: Es bleibt beim Spiel auf Zeit. Immer öfter hört man von der Möglichkeit, die Übergangsfrist zu verlängern - ob das technisch geht (ein Ausstiegsvertrag müsste trotzdem unterschrieben werden) ist fraglich, um die Irlandfrage kommt man einfach nicht herum. Spürbar aber allerorten ist ein zur Schau getragener Optimismus nach dem Motto: Wir kriegen das schon hin. Nach wie vor offen ist, ob es nun einen November-Gipfel gibt oder nicht. Eine Entscheidung könnte in allerletzter Sekunde im Dezember fallen.

Euro-Gipfel: Zwar nicht das angesetzte Hauptthema, dann aber doch Gesprächsthema Nummer eins war das italienische Budget, das jenseits aller EU-Vorgaben liegt. Die Populisten wollen ihre Wahlversprechen einlösen und auf Teufel-komm-raus neue Schulden aufnehmen. Allein fürs kommende Jahr eine Neuverschuldung von 2,4 statt versprochener 0,8 Prozent. Die Folge: Zinsen werden immer teurer, die Rating-Agenturen lassen Italien in die Nähe des Ramsch-Niveaus absinken und die ganze Eurozone ist in Alarmbereitschaft: Die Rettung von Griechenland war schon an der Grenze des Möglichen, aber wenn ein Land von der Größe Italiens pleite geht, dann reißt das alle anderen mit in die Tiefe. Die Verhandlungen gehen am Montag weiter.

Asien-Gipfel: 51 Staats- und Regierungschefs auf einmal - das ist selbst für Brüssel ein Rekord und somit das größte Gipfeltreffen des Jahres. Die beiden gigantischen Wirtschaftsräume (Europa ist sowieso der größte Handelsblock der Welt, gemeinsam stehen die ASEM-Staaten für 55 Prozent des weltweiten Handelsvolumens, 60 Prozent der Bevölkerung und 65 Prozent der Weltwirtschaftsleistung, der Warenhandel der EU mit dem südostasiatischen Stadtstaat belief sich im vergangenen Jahr auf 53,3 Milliarden Euro) wollen näher zusammenrücken, auf gleiche Standards kommen, den Handel erleichtern, Zollschranken abbauen und gemeinsam an der Digitalisierung arbeiten. Auch der Klimawandel kam ausführlich zur Sprache. Die Staaten Europas und Asiens (an dem Treffen nahmen auch Russland und China teil) haben bei ihrem Gipfel in Brüssel klar Flagge gegen den protektionistischen Kurs von US-Präsident Donald Trump gezeigt.

18. Oktober, 12.00 Uhr - Themenwechsel

In atemberaubenden Tempo wechselt man am Gipfel die Themen. Gerade eben noch kam man beim Brexit-Abend auf die Lösung, dass es vorerst einmal keine Lösung gibt - und die dafür noch später - nun ist man wieder bei der Hauptangelegenheit dieses Jahres: Migration. Hier gibt es aber tatsächlich Veränderungen. Von den "Anlandeplattformen" oder "Ausschiffungsplattformen" will im Augenblick keiner was hören, dafür sollen die Kontakte mit nordafrikanischen Staaten (vor allem mit Ägypten) intensiviert werden. Mit dem Ziel, ähnliche Lösungen wie mit der Türkei zu erreichen; also viel Geld dafür auszugeben, dass ein fernes Land die Flüchtlingswelle stoppt.

A propos Geld. Immer öfter ist hier die Rede von "verpflichtender Solidarität", die eine neue Form der Flüchtlingsverteilung einbegleiten soll. Einfach gesagt: Jene Länder, die keine Flüchtlinge aufnehmen wollen, sollen jenen, die das doch tun, wenigstens entsprechende Mittel überweisen. EP-Präsident Antonio Tajani sagte vor wenigen Minuten, ihm wäre lieber, Asylsuchende würden in allen Mitgliedsländern gleichermaßen aufgenommen - aber besser ist ein Kompromiss als gar keine Lösung.

17. Oktober, 15.00 Uhr - Mehr geht (fast) nicht

In Brüssel ist man ja einiges gewohnt, aber eine Woche wie diese gibt es auch nur einmal im Jahr. Nicht weniger als vier Gipfel (genauer gesagt fünf) finden derzeit statt, ineinander übergehend - Hochbetrieb für Sicherheitsleute und Hotels, aber auch für die Politik. Und natürlich für Bundeskanzler Sebastian Kurz, der als Ratsvorsitzender von einem Termin zum anderen hetzt. Es begann mit einem Sozialgipfel, heute Abend startet der reguläre Oktobergipfel (bis zuletzt war nicht sicher, ob Theresa May zum Abendessen kommen würde - letzte Info: sie kommt), morgen geht dieser weiter und wird ergänzt durch den Eurogipfel, morgen Abend startet dann der Asien-Gipfel, der am Freitag noch eine eigene Korea-Sitzung beeinhaltet.

Schlag Mitternacht werden wegen des ASEM-Gipfels die Sicherheitszonen, die sich ohnehin schon über das EU-Viertel erstrecken, weiter ausgebaut. Nicht weniger als 51 Staats- und Regierungschefs treffen zusammen, um künftige Zusammenarbeit zu beraten. Das ist die größte derartige Veranstaltung in diesem Jahr.

Mitten drinnen in all dem Trubel ist auch noch einer der reichsten Menschen der Welt zu Gast: Bill Gates traf EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und kam mit Sebastian Kurz zusammen. Unter anderem geht es bei den Gesprächen um Hilfsprojekte für Afrika.

Auch ein Gipfelgespräch: Kurz, Gates
Auch ein Gipfelgespräch: Kurz, Gates © (c) DRAGAN TATIC

14. Oktober, 22.00 Uhr - Nervenkitzel in Brüssel

Beinahe hat es so ausgesehen, als könnte noch am Sonntagabend die Entscheidung im Brexit-Drama fallen. Die Unterhändler Michel Barnier (EU) und Dominic Rab (UK) hatten sich neuerlich getroffen, das ganze Wochenende über war hart verhandelt worden und in den Abendstunden meldete das gewöhnlich gut informierte Nachrichtenportal "Politico", die Botschafter der EU-Länder würden gerade über den endgültigen "Scheidungsvertrag" informiert werden.

Am späten Abend war dann klar: zum Durchbruch war es doch nicht gekommen, es gibt weiterhin keine Einigung. Bis zum EU-Gipfel am Mittwoch soll auch nicht weiterverhandelt werden, das Treffen der Minister am Dienstag bereitet zwar den Gipfel vor, dort wird es aber beim informellen Charakter bleiben. "Trotz intensiver Bemühungen sind einige Schlüsselfragen noch ungelöst, darunter die des 'Sicherheitsnetzes' zur Vermeidung einer harten Grenze" zwischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland", berichtete Barnier auf Twitter. Vor allem die diffuse Lage in England ist es, die die Verhandlungen so schwierig machen. Manche vermuten, Brüssel wolle Theresa May so gut es geht helfen, ihr Gesicht zu wahren, um im Vereinten Königreich doch noch Zustimmung zu erreichen.

14. Oktober, 11.30 Uhr - Tage der Entscheidung

Die Anzeichen verdichten sich, dass die Einigung auf einen Brexitmodus unmittelbar bevorsteht. Ob es, wie der "Spiegel" vermutet, noch heute, Sonntag, soweit ist, ist aber noch - wie so vieles andere auch - unklar. Fest steht allerdings, dass man sich in den letzten Wochen über einige weitere bis dahin noch strittige Punkte geeinigt hat. Die Erledigungs-Liste umfasst damit bereits mehr als 85 Prozent aller Themen. Das ganze Wochenende über wird nun weiterverhandelt. Als sicher gilt, dass die hochrangigen Unterhändler der Mitgliedsländer (Sherpas genannt) morgen, Montag, das Thema beraten werden.

Am Dienstag findet ein Ratstreffen zum Brexit statt, am Mittwoch beginnt der reguläre Herbstgipfel in Brüssel mit einem Abendessen zum Thema Brexit. Zur Sicherheit ist für Mitte November noch ein eigener Brexit-Gipfel in Planung - eines der Ergebnisse des Salzburg-Gipfels im September - allerdings ist dieses Treffen offiziell noch nicht einberufen. Doch die Anzeichen verdichten sich, dass ein Deal (wie auch immer der ausschauen mag) steht - und vielleicht schon am Montag Abend bekanntgegeben wird...

10. Oktober, 15.00 Uhr - Leitl und Tajani

Eurochambres - hinter diesem Namen verbirgt sich die Europäische Wirtschaftskammer, ein Dachverband mit 45 Mitgliedern, die wiederum 1700 regionale und lokale Kammern vertreten und damit sage und schreibe 20 Millionen Unternehmen in ganz Europa. Chef dieser Vereinigung mit Sitz in Brüssel ist Christoph Leitl, der frühere österreichische WK-Chef. Am Mittwoch wurde im Europaparlament zum fünften Mal das "Europäische Wirtschaftsparlament" eröffnet. EP-Präsident Antonio Tajani nahm dabei speziell auf die Klein- und Mittelbetriebe Bezug: Sie seien das Rückgrat der europäischen Wirtschaft: "Sie schaffen 85 Prozent der neuen Jobs und beschäftigen zwei Drittel aller Arbeitskräfte im privaten Sektor." Tajani hätte gerne eine "wirtschaftsfreundlichere EU"; etwa durch eine einheitliche Besteuerung, die auch die großen Konzerne erfasst.

Europäische Wirtschaft zu Gast im Europaparlament: Leitl, Tajani
Europäische Wirtschaft zu Gast im Europaparlament: Leitl, Tajani © Lieb

Christoph Leitl will, dass die EU forscher auftritt: "Europa ist die stärkste Handelsmacht der Welt. Warum lassen wir uns von der zweitstärksten immer vorführen?" In Bezug auf China sagte Leitl, Europa stünde hier in einem Wettbewerb der Systeme. Der chinesische Staatschef Xi Jinping habe zu ihm gesagt, wenn in China eine Straße gebaut werde, dauere das zwei Jahre, in Europa aber zwölf Jahre. Er, Leitl, wäre schon froh, wenn dies in Europa in vier Jahren gelinge: "Aber die Bürokratie darf nicht die Demokratie fressen." Dem Vereinigten Königreich will er übrigens eine Tür offen lassen: "Alle machen Fehler. Aber sie können ihn ja wieder korrigieren. Unsere Arme und Herzen sind offen."

3. Oktober, 11.30 Uhr - Ein Neuer im Ring

Plenarsitzung des Europäischen Parlaments in Straßburg. Die großen Aufreger fehlen, aber es gibt trotzdem eine Reihe von Themen, die für die Bürger weitreichende Konsequenzen haben. Etwa die künftige CO2-Reduktion der Neuwagenflotten bis 2035, darüber wird heute noch abgestimmt. Oder die neuen Regeln für TV-Sender, Streaming-Anbieter (also Netflix, Amazon Prime) und ähnliche Online-Versorger: Bessere Jugendschutzregeln, weniger Werbung, mindestens 30 Prozent Anteil heimischer Produktionen...

Gestern nutzte einer wie erwartet diese Bühne, um etwas bekanntzugeben. Der finnische Ex-Minister, Ex-Ministerpräsident, Ex-Abgeordnete Alexander Stubb bewirbt sich in seiner Fraktion, der Europäischen Volkspartei, ebenfalls um den Platz des Spitzenkandidaten für die EU-Wahl im kommenden Mai. Der 50-Jährige fordert damit intern den Bayern Manfred Weber heraus, der seine Kandidatur schon davor bekanntgegeben hatte. Michel Barnier, EU-Chefverhandler für den Brexit, hatte vergangene Woche abgesagt - falls die Brexit-Verhandlungen nicht völlig den Bach hinuntergehen, könnte Barnier allerdings als Überraschungs-Kompromisskandidat für einen hohen Posten nach der Wahl aus dem Hut gezogen werden, meinen manche. Warum das alles von Bedeutung ist? Weil nach den Wahlen nicht nur Parlament und Kommission neu besetzt sind, sondern auch die dazugehörenden Top-Jobs. Derzeit sind EVP und S+D die stärksten Parteien, falls also nicht ein grober Rechts-Schwenk passiert (was freilich eine ernsthafte Möglichkeit ist) könnte der endgültige Spitzenkandidat auch damit rechnen, Jean-Claude Juncker als Kommissionspräsident zu beerben. Bei den Sozialdemokraten haben sich bisher der slowakische Vize-Kommissionspräsident Maros Sefcovic und Österreichs Ex-Kanzler Christian Kern in Position gebracht. Die Fristen bei allen Parteifamilien, die sich an dem Wettlauf beteiligen, laufen aber noch bis weit in den Herbst oder darüber hinaus.

Will auch kandidieren: Alexander Stubb (rechts, im Bild mit Kommissions-Vizepräsident Jyrki Katainen - der offensichtlich den selben Krawatten-Geschmack hat - und dem finnischen Finanzminister Petteri Orpo)
Will auch kandidieren: Alexander Stubb (rechts, im Bild mit Kommissions-Vizepräsident Jyrki Katainen - der offensichtlich den selben Krawatten-Geschmack hat - und dem finnischen Finanzminister Petteri Orpo) © Lieb

3. Oktober, 9.30 Uhr - Die EU steckt fest

Von einem ebenso ungewöhnlichen wie symbolträchtigen Zwischenfall berichtet man in den weitläufigen Räumlichkeiten des Straßburger Parlamentsgebäudes. Die halbe Kommission sei am Dienstag auf dem Weg zu einer Sitzung im Lift stecken geblieben, heißt es. Passiert ist nichts weiter, aber es dauerte wohl eine gute halbe Stunde, bis die ranghohen Herrschaften aus ihrem gläsernen Gefängnis befreit werden konnten. Ob sie die Zeit für tiefschürfende Gespräche über die Zukunft der Europäischen Union nutzten, ist nicht überliefert.

2. Oktober, 16.20 Uhr - 70 Millionen abgezogen

Statt in die Nähe Europas zu rücken, entfernen sich Länder wie die Türkei immer weiter. Wie damit umgehen? Zunehmend hört man - auch aus Österreich - man sollte die vor Jahren begonnen Beitrittsverhandlungen nicht nur, wie derzeit, einfrieren, sondern völlig abbrechen. Das ist aus zwei Gründen problematisch. Einerseits, weil man politischen Gruppen und jenen Teilen der Bevölkerung im Land, die proeuropäisch eingestellt sind, die Hoffnung nicht nehmen will (und somit eine Richtungsänderung in absehbarer Zeit erst recht zunichte macht), andererseits aber auch, weil man die Türkei aus strategischen Gründen braucht. Als Nato- und Handelspartner etwa oder auch in der Flüchtlingsfrage, wo sich Europa den Stopp der Flüchtlingswelle bisher schon sechs Milliarden Euro kosten lässt, die in die Türkei fließen.

Aber kann man - nicht erst seit dem jüngsten Erdogan-Besuch in Deutschland - wirklich immer so tun, als wäre nichts? Das Europaparlament, das derzeit in Straßburg tagt, hat zumindest ein brauchbares Zeichen gesetzt. 70 Millionen Euro, die als "Vortrittsbeihilfen" gedacht waren - damit ist eine Hilfe gemeint, die einen Beitrittskandidaten in die richtige Richtung bringen kann - werden gestrichen. Weil sich das Land, wie es heißt, von Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Menschenrechten immer weiter wegbewegt. Was mit den 70 Millionen passiert: 42 Millionen Euro gehen an den Syrien-Treuhandfonds und 28 Millionen Euro in den EU-Afrika-Treuhandfonds, weiß der ÖVP-Europaabgeordnete Paul Rübig. Gut so!

30. September, 14.30 Uhr - Gut gemeint, nicht gut gelöst

Die kommenden EU-Wahlen könnten das gesamte Gefüge des Europäischen Parlaments auf den Kopf stellen. Ein Rechtsruck, der Verlust der Mehrheit von Schwarz und Rot, Brexit, mehrjähriger Finanzrahmen, das System der Spitzenkandidaten, Grenzschutz - es steht diesmal extrem viel auf dem Spiel. Dabei weiß jeder, wie schwierig es bisher schon war, die Wähler in den Mitgliedsländern zur Teilnahme zu bewegen; zu fern schien Brüssel, zu weit weg die EU. Kein Wunder, dass man jetzt schon Kampagnen startet, um guten Wind zu machen. So wurden nun vor dem EU-Parlament in Brüssel Richtung Place Luxembourg - dort, wo oft auch Veranstaltungen stattfinden - neue, große Plakate angebracht, die unter dem Motto "This time I'm voting" (Diesmal wähle ich) auf die Wichtigkeit des Anliegens aufmerksam machen. Das ist löblich und schaut auf den ersten Blick ganz gut aus. Hier ein Beispiel (im Vordergrund macht gerade eine Jazzband auf die Vorzüge Sloweniens aufmerksam):

Slowenien wirbt im Vordergrund mit Musik, dahinter die neuen Wahl-Sujets
Slowenien wirbt im Vordergrund mit Musik, dahinter die neuen Wahl-Sujets © Lieb

Doch wenn man sich die Sujets genauer anschaut, kommt man doch ins Grübeln. Hier zum Beispiel wird auf den Schutz der Außengrenzen hingewiesen - mit einem Bild wie aus dem Urlaubs-Fotoalbum:

Grenzschutz als Urlaubsidyll? Naja.
Grenzschutz als Urlaubsidyll? Naja. © Lieb

Hier geht es um die Zeit, die man mit der Familie verbringt - zu sehen ist eine Mutter mit einem Kind, der Rest der "Familie" steht in Form von Ahnenbildern auf dem Sims.

Familie besteht aus Mutter und Kind. Und einigen Bilderrahmen
Familie besteht aus Mutter und Kind. Und einigen Bilderrahmen © Lieb

Noch merkwürdiger ist vielleicht der Schutz der Umwelt. Zu sehen ist - ein Bär. Noch dazu einer, der grantig schaut. Als ob unsere Wälder voll davon wären...

Unsere schöne Umwelt. Und all die Bären!
Unsere schöne Umwelt. Und all die Bären! © Lieb

Schließlich irritiert auch dieses Sujet: "Wir müssen zusammenarbeiten, um unseren "Way of Life" zu schützen", sagt der Text. Abgebildet dazu ist eine feine Käsetheke mit ausgesuchten Leckereien.

Wenn der europäische "Way of life" aus einer feinen Käsetheke besteht...
Wenn der europäische "Way of life" aus einer feinen Käsetheke besteht... © Lieb

Das mag der "Way of Life" so mancher hochrangiger EU-Leute sein. An den Wählern, der Zielgruppe der Kampagne, schießt das alles kilometerweit vorbei. Nun gut, ein paar Monate hat man ja noch Zeit...

27. September, 21.00 Uhr - Der Jo-Cox-Platz

Viel Aufregung heute um den britischen Labour-Chef Jeremy Corbyn, der sich zu einem Brexit-Gespräch mit EU-Chefverhandler Michel Barnier traf. Auch wenn - zumindest nach Aussagen der Beteiligten - nicht viel dahinter war, war das mediale Interesse an dem Treffen groß. BBC-Kollege Adam Fleming fand das auf Twitter "äußerst eindrucksvoll".

Warum aber war Corbyn überhaupt in Brüssel? Im Stadtzentrum der "Europahauptstadt" wurde in feierlichem Rahmen ein Platz nach Jo Cox benannt - jener Labour-Abgeordneten, die vor zwei Jahren, kurz vor dem Brexit-Referendum, in Leeds nach einem Messerattentat eines Rechtsextremen starb. Josef Weidenholzer, österreichischer EU-Abgeordneter und Vizepräsident der sozialdemokratischen Fraktion im Europaparlament, erinnert sich an Jo Cox als große Europäerin: "Sie war eine glühende Kämpferin für soziale Gerechtigkeit und das europäische Friedensprojekt. Der Platz im Stadtzentrum steht für ihre tiefe persönliche Verbundenheit mit Brüssel, aber auch für die Werte, die sie als Sozialdemokratin gelebt hat. Jo Cox war engagierte Feministin und hat in ihrer gesamten Laufbahn humanitäre Projekte unterstützt." Ihr Andenken müsse eine Warnung sein, wohin die zunehmende gesellschaftliche Polarisierung ganz konkret führen kann.

Ein Platz im Gedenken an Jo Cox. Anwesend waren auch ihre Eltern Jean und Gordon Leadbeater sowie Schwester Kim
Ein Platz im Gedenken an Jo Cox. Anwesend waren auch ihre Eltern Jean und Gordon Leadbeater sowie Schwester Kim © AP

26. September, 19.30 Uhr - Kodex vor den Wahlen

Die Brexit-Abstimmung, vor allem aber die amerikanischen Wahlen und deren Beeinflussung durch die Datensammler von Unternehmen wie "Cambridge Analytica" geistern jetzt schon wie ein Schreckgespenst vor den EU-Wahlen im kommenden Frühjahr herum. Bereits im April hatte die Kommission einen Vorstoß für einen - freiwilligen - Verhaltenskodex unternommen, dem sich die großen Online-Konzerne verpflichten sollen. Die für die digitale Wirtschaft und Gesellschaft zuständige Kommissarin Mariya Gabriel sagte damals: „Wir appellieren an alle Akteure, insbesondere die Plattformen und sozialen Netzwerke, die eine ganz klare Verantwortung tragen, ausgerichtet auf einen gemeinsamen europäischen Ansatz Maßnahmen zu ergreifen, damit die Bürgerinnen und Bürger in die Lage versetzt werden, Desinformationen zu erkennen, und wirksam dagegen geschützt werden."

Sie legte aber auch eine Rute ins Fenster: "Wir werden genau verfolgen, welche Fortschritte erzielt werden, und könnten dann bis Dezember weitere, regulatorische Maßnahmen vorschlagen, sollten sich die Ergebnisse als nicht zufriedenstellend erweisen.“ Das hat Wirkung gezeigt. Nun legte die Kommission ein Papier vor, besagten Kodex, in dem sich Unternehmen verpflichten, gegen Falschinformationen vorzugehen. Werbung soll klar als solche ausgewiesen sein, man will auch die Verbreitung durch falsche Nachrichten - Fake News - durch Auto-Bots verhindern.

Einige ganz große wie Facebook, Google und damit auch Youtube haben unterzeichnet, andere, wie Twitter, überlegen noch. Zweifel und Kritik an der Wirksamkeit der Maßnahme kommt vom europäischen Verbraucherverband Beuc sowie von einer beratenden Forumsgruppe aus Medienleuten und Wissenschaftlern, die "klare, aussagekräftigen Ziele und messbare Verpflichtungen" vermissen. Kommissarin Gabriel will aber ohnedies möglichst rasch sehen, wie das läuft, und droht mit gesetzlichen Regelungen.

25. September, 23.00 Uhr - Kaiserwalzer im BOZAR

Österreich und der Ratsvorsitz - diese Kombination spült ein dichtes kulturelles Programm nach Brüssel. Vor wenigen Tagen erst wurde im BOZAR, dem Palais der Schönen Künste im Stadtzentrum, die Ausstellung "Beyond Klimt - New Horizons in Central Europe 1914 - 1938" eröffnet, nun gab es ebendort einen Empfang, ausgerichtet von Elisabeth Kornfeind, Botschafterin Österreichs im Königreich Belgien und bei der Nato, und ihrem Amtskollegen Nikolaus Marschik, Ständiger Vertreter Österreichs bei der EU. Als Gastgeber, quasi in Doppelfunktion, fungierte EU- und Kulturminister Gernot Blümel, der auch den eigentlichen Höhepunkt des Abends einleitete: ein Konzert der Wiener Philharmoniker unter Dirigent Herbert Blomstedt. Das Programm stand im Zeichen Europas, mit Werken von Franz Berwald oder Antonin Dvorak. Als Zugabe heftig akklamiert: Der Kaiserwalzer von Johann Strauss (Sohn).

Ein wunderbarer Abend mit einem Gruß aus Österreich nach Brüssel: Herbert Blomstedt dirigiert die Wiener Philharmoniker
Ein wunderbarer Abend mit einem Gruß aus Österreich nach Brüssel: Herbert Blomstedt dirigiert die Wiener Philharmoniker © Lieb

20. September, 20.00 Uhr - Das Gipfel-Finale

Der Gipfel ist vorbei. Die Staats- und Regierungschefs haben sich samt ihren Delegationen wieder in die Lüfte erhoben und Salzburg verlassen, nach und nach werden die Straßensperren abgebaut, auch viele Journalisten - bei weitem nicht alle - sind auf dem Heimweg.

Was bleibt vom Haupt-Event der österreichischen Ratspräsidentschaft? Viele Versprechungen. Migration, Frontex, Ägypten, Brexit... man habe gute Gespräche geführt, heißt es. Alle zeigten sich begeistert von der Gastfreundschaft und der prächtigen Salzburger Kulisse, alles habe hervorragend geklappt. Aber konkrete Beschlüsse gab es, wie bei einem informellen Gipfel eigentlich zu erwarten, nicht.

Schluss-Pressekonferenz in Salzburg: Kurz, Tusk, Juncker
Schluss-Pressekonferenz in Salzburg: Kurz, Tusk, Juncker © Lieb

Die nächsten Wochen werden aber zeigen, ob in Salzburg wenigstens alle Weichen korrekt gestellt wurden. Vor allem, was den Brexit angeht, zählt man bereits jeden Tag. Bis zum regulären Gipfel im Oktober sollte vor allem die Irland-Frage in Klärung sein. Noch nicht einberufen, aber im Kalender der Regierer bereits vorgemerkt ist der 17. und 18. November, ein Wochenende. Ratspräsident Donald Tusk sagte, das sei dann kein "Notfallgipfel", sondern der Schlusspunkt, das "große Finale". Denn dieser Termin ist im Grunde der letzte, an dem die endgültigen Entscheidungen beschlossen werden können. In weniger als zwei Monaten.

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker geht schon einmal davon aus, dass alles halbwegs gut endet. Seine Empfehlung bei der Gipfel-Abschlusspressekonferenz: "Don't worry - be happy."

20. September, 12.30 Uhr - Die Inszenierung

Tag 2 des informellen EU-Gipfels. Im Vergleich zum Mittwoch, wo ja eigentlich nur das Abendessen auf dem Programm stand, ist heute das Medieninteresse enorm. Mehr als 1000 Journalisten drängen sich im Medienzentrum, Dutzende Kamerateams sind im Einsatz.

Enormer Andrang im Pressezentrum
Enormer Andrang im Pressezentrum © Lieb

Eine Überraschung gibt es schon: Derzeit deutet alles darauf hin, dass der Gipfel etwas früher als geplant sein Ende findet. Ob das ein gutes oder schlechtes Zeichen ist, lässt sich im Augenblick nicht sagen. Das Abendessen, so hört man, sei aber in deutlich entspannterer Atmosphäre verlaufen als ähnliche Treffen davor. Vorgezogen wurde jedenfalls auch das eigentlich erst für 12.45 Uhr geplante "Familienfoto". Der Mirabellgarten mit der Festung im Hintergrund bot eine prächtige Kulisse, auch wenn die Fotografen, die sich streng daran halten mussten, nur ja nicht die Blumenbeete zu betreten, ein wenig murrten, dass sie gegen die Sonne zu fotografieren hatten.

Bloß nicht ins Rabattl: Fotografen bei der Gipfel-Arbeit
Bloß nicht ins Rabattl: Fotografen bei der Gipfel-Arbeit © Lieb

Die Inszenierung hatte allerdings eine weitere kleine Besonderheit zu bieten. Die Staats- und Regierungschefs näherten sich vom Mozarteum her in einer langen Reihe. Angela Merkel voran. Dahinter lauter Herren in dunklen Anzügen. Nachdenklich betrachten die Reporter die Szene, bis einer sagt: "Schaut aus wie ein Trauerzug." Machen Sie sich selbst ein Bild:

Mirabellgarten, Staats- und Regierungschefs. Ein Trauerzug?
Mirabellgarten, Staats- und Regierungschefs. Ein Trauerzug? © Lieb

19. September, 16.00 Uhr - Der Countdown läuft

Die Kulisse könnte prächtiger nicht sein, die Salzburger Innenstadt zeigt sich unter strahlend blauem Himmel von ihrer besten Seite. Zumindest der Tourismus-Effekt, den man sich vom EU-Gipfel erwartet hat, könnte sich einstellen. Einziges Manko des Veranstaltungsortes: es gibt kaum Direktflüge, Journalisten und Kamerateams müssen lange Reisezeiten auf sich nehmen, worüber sich kaum jemand freut - da wäre Wien besser gewesen.

Von Absperrungen und massiven Sicherheitsvorkehrungen merkt man vorerst nicht viel, aber die Staats- und Regierungschefs sind ja auch noch nicht beieinander - das wird erst gegen 18.40 Uhr vor der Felsenreitschule der Fall sein. Gespannt wartet man aber auf Ergebnisse zweier Vorfeld-Veranstaltungen: derzeit tagt die EVP, etwas später die SPE. Im ersten Fall lautet die Frage, ob es zu einer Konfrontation mit Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban wegen des durch das Europäische Parlament eingeleiteten Rechtsstaatsverfahren kommt, im zweiten Fall geht es um die mögliche Kandidatur von Christian Kern als Spitzenkandidat für die Europawahlen.

Knapper Arbeitsraum im Pressezentrum: Noch ist es sehr ruhig
Knapper Arbeitsraum im Pressezentrum: Noch ist es sehr ruhig © Lieb

Ratspräsident Donald Tusk hat inzwischen einen weiteren Text veröffentlicht, in dem er einige seiner Hauptanliegen für den Gipfel detaillierter beschreibt. So nennt er die jüngsten Ansätze von Theresa May für eine Brexit-Lösung eine "positive Entwicklung". In der Migrationsfrage müssten die gegenseitigen Schuldzuweisungen der Mitgliedsstaaten endlich ein Ende haben. Und: Er möchte für den kommenden Februar einen Nordafrika-Gipfel mit der EU und der Arabischen Liga durchführen.

18. September, 21.00 Uhr - Der Salzburg-Gipfel

Wenige Stunden vor Beginn des informellen EU-Gipfels in Salzburg hat sich Ratspräsident Donald Tusk (er ist offiziell Leiter des Treffens, Bundeskanzler Sebastian Kurz fungiert als Ratsvorsitzender als Gastgeber) in einem Schreiben an die 28 Staats- und Regierungschefs gewendet - ein üblicher Vorgang.

Tusk findet sehr klare Worte. Er verweist darauf, dass die Zahl der Migranten, die nach Europa wollen, zuletzt deutlich gesunken ist (ein hoher Ratsbeamter, der heute gefragt wurde, wo genau beim Migrationsthema eigentlich die Krise sei, sagte nach einigem Nachdenken: "Es ist eine politische Krise"). Tusk weiter: "Ich hoffe, dass wir in Salzburg die gegenseitige Abneigung beenden und zu einem konstruktiven Ansatz zurückkehren." Und er verlangte das, was am dringendsten erscheint: Einheit und geschlossenes Handeln.

Donald Tusk entwickelte ebenso wie Sebastian Kurz in den letzten Tagen eine rege Reisetätigkeit - hier beim Gespräch mit dem ägyptischen Staatschef Abdel Fattah al-Sisi
Donald Tusk entwickelte ebenso wie Sebastian Kurz in den letzten Tagen eine rege Reisetätigkeit - hier beim Gespräch mit dem ägyptischen Staatschef Abdel Fattah al-Sisi © BUNDESKANZLERAMT/ARNO MELICHAREK

"Wenn manche die Krise lösen wollen, während andere sie nur benutzen, bleibt sie unlösbar", schrieb Tusk. Es bleibt also die Hoffnung, dass die Adressaten das auch gelesen haben. Wenn immer wieder von einem "Wendepunkt" die Rede ist - der Salzburger Gipfel unter österreichischem Ratsvorsitz böte eine hervorragende Gelegenheit dazu. Schauen wir uns das also an!

18. September, 6.00 Uhr - Alles, was Recht ist

Salzburg bereitet sich auf das Ereignis des Jahres vor. Einen EU-Gipfel hat man nicht alle Tage, da geht es dem Veranstalterort auch darum, sich möglichst gut ins Licht der Öffentlichkeit zu rücken. Die Bilder werden sicher prächtig sein, der politische Hintergrund ist es nicht.

Österreich, das als Land des Ratsvorsitzes schützen und Brücken bauen will, hat nämlich zwar eine Koalitionsregierung, die ein klares Bekenntnis zu Europa abgegeben hat, aber zwei Koalitionsparteien, die in EU-Fragen einander ständig in die Parade fahren. Und das ist kein Ehestreit hinter verschlossenen Türen, sondern einer in aller Öffentlichkeit.

Das schaut dann so aus: Das EU-Parlament in Straßburg beschließt mit 2/3-Mehrheit die Einleitung eines Rechtsstaatsverfahrens nach Artikel 7 gegen Ungarn. Schon vor der Abstimmung erklärt der juristische Dienst des Parlaments das Procedere; insbesondere den Umstand, dass ungültige Stimmen nicht zählen und dadurch die erforderliche Stimmenanzahl entsprechend geringer ausfällt. Weil wir in einer Demokratie leben, ist es zwar merkwürdig, aber völlig legitim, dass die ÖVP-Abgeordneten für das Verfahren, die FPÖ-Leute dagegen abstimmten.

Nun passiert aber Folgendes: Nach der Abstimmung, über die sich Ungarns Regierungschef Viktor Orban natürlich ärgert, äußert das Land Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Abstimmungsvorgangs und schreit Zeter und Mordio. Gleich ist die Rede davon, die EU (bzw. das Parlament) hätte das Rechtssystem gleichermaßen missbraucht, wie man es den Ungarn vorwerfe. Dabei gäbe es einen einfachen Weg, das abzuklären - über den Europäischen Gerichtshof. Ungarn will diesen nun doch anrufen.

Und was hat Österreich damit zu tun? Irgendetwas offensichtlich schon, denn Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) gab über eine OTS-Meldung "seines" Ministeriums bekannt, er habe Außenministerin Karin Kneissl (FPÖ) ersucht, eine Überprüfung durch den juristischen Dienst des EU-Rates einzuleiten. Der hat aber mit der Abstimmung im Parlament schlicht nichts zu tun und erklärte trocken: "Es gehört nicht zur Praxis des Rates, in Verfahren anderer Institutionen zu überprüfen, ob diese die Verfahrensregeln ihrer eigenen Handlungen eingehalten haben, wenn sie Angelegenheiten in den Rat einbringen."

Der entscheidende Augenblick: Ungarn-Abstimmungsergebnis im Europaparlament in Straßburg
Der entscheidende Augenblick: Ungarn-Abstimmungsergebnis im Europaparlament in Straßburg © Lieb

Es stellt sich nicht nur die Frage, wozu das alles, sondern auch die Frage nach der korrekten Lesart. War das österreichische Überprüfungsansinnen nun eine offizielle Regierungsangelegenheit und somit eine Einmischung des Ratsvorsitzes? Oder eine Angelegenheit, die über verschlungene und unerklärliche Wege Straches Sportministerium betrifft? Oder war es doch eine FPÖ-Angelegenheit, die aber über zwei Ministerien nach Brüssel gespielt wurde?

Beim Rat weiß man Rat: Man wartet, wie es das Procedere vorsieht, auf einen entsprechenden Brief von EP-Präsident Antonio Tajani und setzt das Thema dann auf die Agenda der Europaminister. Das Verfahren wird noch laufen, wenn Österreichs Ratsvorsitz längst schon Geschichte ist.

14. September, 7.00 Uhr - Zeit des Handelns

Straßburg. Erste EU-Parlamentssitzung nach der Sommerpause: Das sicherste Zeichen dafür, dass die Arbeit in den Institutionen wieder volle Fahrt aufgenommen hat. Inzwischen sind alle wieder nach Brüssel zurückgekehrt, die Zeit drängt wie kaum jemals zuvor. In acht Monaten sind Europawahlen. Die österreichische Ratspräsidentschaft läuft noch bis Jahreswechsel, dann übernimmt Rumänien ein sich in Auflösung befindliches Gefüge. Alles, was nicht jetzt unter Dach und Fach kommt, ist auf lange Sicht blockiert - solange, bis sich das Parlament neu konstituiert hat, die Kommission und der neue Kommissionschef.

Kommt es tatsächlich zu einem massiven Rechtsruck in Europa? Wie auch immer, die To-do-Liste ist schwergewichtig und lang. Das gigantische Projekt des Mehrjährigen Finanzrahmens (also des gesamten EU-Budgets für die Jahre 2021 bis 2027) sollte noch vor den Wahlen abgeschlossen sein. Ebenso die Brexit-Verhandlungen, die jeden Tag aufs Neue auf Messers Schneide stehen. Und der gesamte Komplex Außengrenzschutz und Migration.

Die Frage: Woran wird man sich später einmal erinnern, wenn von der österreichischen Ratspräsidentschaft die Rede ist? An den Putin-Besuch bei einer Hochzeitsfeier? Oder schafft es das kleine Brückenbauerland, wenigstens in einem der zentralen Punkte zu einem Durchbruch beizutragen?

Eine Gelegenheit dazu gibt es in wenigen Tagen, beim EU-Gipfel in Salzburg. Wir halten Sie dazu auf dem Laufenden.

Was sonst noch geschah: Das Land Oberösterreich gab einen gut besuchten Empfang in Brüssel, bei dem Landeshauptmann Thomas Stelzer unter anderem EU-Kommissar Johannes Hahn oder EU-Abgeordnete wie Eugen Freund (SPÖ) begrüßen konnte, unter den Gästen waren aber auch Vertreter anderer Länderbüros in Brüssel - so etwa Ronald Rödl (Steiermark) Julia Nieuwmeyer-Bernhart (Kärnten) und Michaela Petz-Michez (Salzburg).

Weiterer kurzer Rückblick: EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger ist landauf, landab unterwegs, um für den Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) Stimmung zu machen. Auf Einladung der Journalistenvereinigung API/IPA sprach er unter anderem darüber, warum Italien nichts davon habe, das Budget zu blockieren: "Dann lässt sich vieles nicht umsetzen, auch die Stärkung des Grenzschutzes nicht, die Italien so dringend fordert."

Oettinger (rechts) in Brüssel: Budget-Blockade ist kontraproduktiv
Oettinger (rechts) in Brüssel: Budget-Blockade ist kontraproduktiv © Lieb