Nach dem Rückzug der russischen Truppen aus der Umgebung der ukrainischen Hauptstadt Kiew bietet sich ein Bild des Grauens. In der wochenlang heftig umkämpften Vorstadt Butscha im Nordwesten Kiews wurden zahlreiche Leichen entdeckt. Nach ukrainischen Angaben lagen Dutzende Tote auf den Straßen. In einem Massengrab wurden etwa 280 Todesopfer bestattet, die während der Angriffe nicht beigesetzt werden konnten. Die Entdeckungen lösten international Entsetzen aus.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sprach am Sonntag von Horrorszenen nach dem Abzug der russischen Truppen aus der Umgebung von Kiew. Auf Twitter verlangte sie eine unabhängige Untersuchung. Zugleich versicherte sie: "Kriegsverbrecher werden zur Verantwortung gezogen."

EU will bei Beweisfindung helfen

In den Straßen von Butsch liegen tote Zivilisten
In den Straßen von Butsch liegen tote Zivilisten © APA/AFP/RONALDO SCHEMIDT

EU-Ratspräsident Charles Michel hat Russland für Gräueltaten in der Umgebung der ukrainischen Hauptstadt Kiew verantwortlich gemacht. Der belgische Politiker warf den russischen Truppen am Sonntag bei Twitter vor, in der Vorortgemeinde Butscha ein Massaker angerichtet zu haben. Die EU werde beim Sammeln von Beweisen helfen, um die Verantwortlichen vor Gericht stellen zu können. Zugleich kündigte er weitere EU-Sanktionen gegen Russland und Unterstützung für die Ukraine an.

"Hemmungslose Gewalt"

Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hat härtere Sanktionen gegen Moskau und weitere Hilfen für das ukrainische Militär angekündigt. Die Bilder der "hemmungslosen Gewalt" aus dem Ort Butscha nahe der ukrainischen Hauptstadt Kiew nach dem Rückzug der russischen Truppen seien "unerträglich", schrieb Baerbock am Sonntag im Kurzbotschaftendienst Twitter. "Die Verantwortlichen für diese Kriegsverbrechen müssen zur Rechenschaft gezogen werden."

Der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier warf Russland schwere Kriegsverbrechen vor. "Die von Russland verübten Kriegsverbrechen sind vor den Augen der Welt sichtbar", erklärte Steinmeier am Sonntag in Berlin. "Die Bilder aus Butscha erschüttern mich, sie erschüttern uns zutiefst."

Die russische Armee hatte sich zuletzt in der Region um Kiew zurückgezogen. In Butscha wurden danach laut Angaben der ukrainischen Behörden fast 300 Leichen gefunden. AFP-Reporter berichteten, dass zahlreiche Toten zivile Kleidung getragen hätten. Sie sahen auf einer einzigen Straße in Butscha mindestens 20 Leichen liegen. Ein Video des ukrainischen Verteidigungsministeriums zeigt verstörende Bilder auf Twitter und bezeichnet es als "neues Srebrenica" .

Ein zerstörtes Gebäude in Butscha, im Ort wurde ein Massengrab mit 280 Leichen gefunden
Ein zerstörtes Gebäude in Butscha, im Ort wurde ein Massengrab mit 280 Leichen gefunden © APA/AFP/RONALDO SCHEMIDT

Klitschko: "Völkermord"

Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko sprach von Kriegsverbrechen und "Völkermord". "Das, was in Butscha und anderen Vororten von Kiew passiert ist, kann man nur als Völkermord bezeichnen", sagte er der "Bild". "Es sind grausame Kriegsverbrechen, die (Russlands Präsident Wladimir) Putin dort zu verantworten hat. Zivilisten, die mit verbundenen Händen erschossen wurden."

Der ukrainische Präsidentenberater Mychajlo Podoljak teilte im Kurznachrichtendienst Twitter ein Foto, auf dem erschossene Männer zu sehen waren. Einem der Männer waren die Hände auf dem Rücken gefesselt. Die Echtheit konnte nicht unabhängig geprüft werden. Auf einem anderen Foto waren Leichen auf einer Straße zu sehen. "Die Hölle des 21. Jahrhunderts", kommentierte Podoljak.

Klitschko forderte: "Für die ganze Welt und insbesondere Deutschland kann es nur eine Konsequenz geben: Kein Cent darf mehr nach Russland gehen, das ist blutiges Geld, mit dem Menschen abgeschlachtet werden." Ein Embargo auf russisches Gas und Öl müsse sofort kommen. Das russische Verteidigungsministerium in Moskau nahm zu den Vorwürfen zunächst nicht Stellung.

Nach den Soldaten erreichte ein Konvoi mit Sanitäts- und medizinischen Hilfsgütern die Stadt Butscha
Nach den Soldaten erreichte ein Konvoi mit Sanitäts- und medizinischen Hilfsgütern die Stadt Butscha © AP

Michel kündigte an, angesichts der "erschütternden Bilder" aus Butscha den wirtschaftlichen Druck auf Russland weiter erhöhen zu wollen. "Weitere EU-Sanktionen und Unterstützung (für die Ukraine) sind auf dem Weg", schrieb er auf Twitter.