In Graz stellte Elke Kahrmit ihrer KPÖ die bislang tiefschwarze Politlandschaft auf den Kopf, in Island werden erstmals in Europa mehr Frauen als Männer im Parlament sitzen – und Berlin hat nun mit Franziska Giffey seine erste designierte Regierende Bürgermeisterin: Die 43-Jährige ist dabei keine Unbekannte, viele kennen sie noch als umtriebige frühere Kiezbürgermeisterin des Bezirks Neukölln. Von 2018 bis 2021 war sie dann Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.

Giffeys Vita bekam vor einiger Zeit wegen gewisser "Ungenauigkeiten" bei ihrer Doktorarbeit eine Schramme: Die Freie Universität Berlin hatte ihr bei einer zweiten Prüfung im heurigen Juni ihren Doktortitel aberkannt. Die Tochter einer Buchhalterin und eines Kfz-Meisters trat 2007 der SPD bei und machte sich mit schulischen Themen einen Namen – so gilt sie als Kritikerin der Berliner Grundschulreformen der 2000er-Jahre, in denen unter anderem die Abschaffung der Vorklassen an Grundschulen und die Senkung des Einschulungsalters beschlossen wurden. Für ihre Stadt setzt sich auch auf Umweltbelange, die pragmatisch wirkende Politikerin greift grüne Themen wie den Kampf gegen die Klimakrise auf. Eine gänzlich autofreie Innenstadt fordert sie zwar nicht, dafür aber Alternativen zu den fossilen Antriebskonzepten im Straßenverkehr.

Keine Frage: Die als relativ ideologiefrei und mittig Geltende profitierte nicht zuletzt durch den klaren Aufwärtstrend der SPD auf Bundesebene und des nun bei der Bundestagswahl erfolgreichen Kanzlerkandidaten Olaf Scholz. Im Berliner Abgeordnetenhaus wird sie sich selbst beweisen müssen: Die SPD-Spitzenkandidatin erhielt nur 21,4 Prozent der Stimmen. Man werde mit allen anderen Parteien in Sondierungsgespräche treten, machte Giffey klar – freilich ohne sich in die Karten schauen zu lassen. Grüne, Linke, CDU und FDP bieten sich für ein Dreierbündnis an.