Am zweiten Tag ihres Türkei-Besuchs hat die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock nach einem offenen Streit mit ihrem Amtskollegen Mevlüt Çavuşoğlu Vertreter der Opposition getroffen. In der Hauptstadt Ankara kam sie am Samstag mit führenden Politikern der größten Oppositionspartei CHP, der prokurdischen HDP und der nationalkonservativem İyi-Partei zusammen. Dabei erhielt Baerbock Lob für ihre klaren Worte gegenüber dem türkischen Außenminister.

"Direkte Aussagen und Konfrontation sind manchmal unausweichlich, nicht nur erforderlich", sagte der Co-Vorsitzende der prokurdischen Partei HDP, Mithat Sancar, nach dem Gespräch mit Baerbock in Ankara. Çavuşoğlu spreche bei solchen Treffen immer eine sehr klare Sprache. Dies sei nun das erste Mal, dass sein deutsches Gegenüber sich auch so klar verhalten habe. "Das war in Ordnung."

Streit um Osman Kavala 

Die gemeinsame Pressekonferenz mit Çavuşoğlu am Freitag war zur offenen Konfrontation über die erwartete türkische Offensive in Nordsyrien, die Inhaftierung des Oppositionellen Osman Kavala in der Türkei und vor allem über den Insel-Streit zwischen Griechenland und der Türkei geworden.

Baerbock hatte zuvor Athen besucht und sich dort im Streit um griechische Inseln wie Rhodos, Kos und Lesbos im östlichen Mittelmeer klar an die Seite Griechenlands gestellt. Çavuşoğlu warf Deutschland vor, Partei zu ergreifen und kein Vermittler mehr zu sein, wie Bundeskanzlerin Angela Merkel es gewesen sei.

Auch beim Thema Syrien gerieten die beiden aneinander. Baerbock warnte Çavuşoğlu vor einer neuen Offensive in dem Nachbarland. Ankara will dort die von der Regierung als Terrororganisation angesehene Kurdenmiliz YPG bekämpfen. Çavuşoğlu sagte, es handle sich um Kampf gegen den Terror und nicht um eine Militäroperation.

Sancar forderte für den Fall einer türkischen Militäroffensive in Nordsyrien Konsequenzen der Staatengemeinschaft. "Völkerrechtsbruch darf nicht ohne Folgen bleiben", betonte er. Es sei "sehr gefährlich, mit den Kriegsplänen zu spielen". Das könne "fatale Folgen" haben und Terrororganisationen wie den Islamischen Staat (IS) wieder stark machen. "Falls es dazu kommen würde, dann müssen auch Maßnahmen von den Regierungen ernsthaft diskutiert und auch beschlossen werden", verlangte Sancar. Welche Maßnahmen er meint, sagte er nicht.

Russland und Ukraine

Skeptisch äußerte sich Sancar zur türkischen Vermittlung zwischen der Ukraine und Russland. Die türkische Regierung sei "im Fall Ukraine–Russland Friedenstaube, hier in der Region Falke, Kriegsfalke", sagte er.

Auf ein Verbotsverfahren wegen Separatismus gegen seine Partei angesprochen, sagte Sancar, er rechne noch vor den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen im Juni 2023 mit einem Verbot, weil er nicht an ein faires Verfahren glaube.

Die Regierung wirft der Partei vor, der verlängerte Arm der PKK zu sein, die in der Türkei, Europa und den USA als Terrororganisation gilt. Die HDP weist das zurück. Der ehemalige Parteivorsitzende, Selahattin Demirtaş, sitzt seit 2016 wegen Terrorvorwürfen im Gefängnis, obwohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte 2020 die Freilassung des Politikers angeordnet hatte.

Beobachter gehen davon aus, dass sechs Oppositionsparteien sich zu einem Bündnis zusammenschließen und einen gemeinsamen Kandidaten für die im Juni 2023 geplanten Wahlen aufstellen. Dann werden gleichzeitig Parlament und Präsident neu gewählt.

Die Opposition hofft, dann Präsident Recep Tayyip Erdoğan abzulösen, der seit fast 20 Jahren an der Macht ist. Die Umfragewerte Erdoğans und seiner islamisch-konservativen Regierungspartei AKP waren zuletzt gesunken. Laut einer Erhebung des Instituts Metropoll hätte die AKP bei Wahlen in diesem Juni die absolute Mehrheit im aktuellen Bündnis mit der ultranationalistischen Partei MHP verfehlt. Auch Erdoğans Beliebtheit sinkt. In einer vor zwei Tagen veröffentlichen Metropoll-Umfrage waren rund 54 Prozent der Befragten der Meinung, dass Erdoğan keinen guten Job als Präsident macht. Bestimmendes Thema in der Türkei ist zurzeit die schwächelnde Wirtschaft mit einer massiven Inflation von offiziell rund 80 Prozent.