Als Mohammed bin Salman kürzlich eine Tour zu Nachbarn unternahm, konnte man meinen, Saudi-Arabiens Kronprinz sei wieder im Alltag angekommen. Bei der Reise in die Türkei sowie zu den Verbündeten Ägypten und Jordanien gab es Militärkapellen, rote Teppiche und viele herzliche Gesten. Mit dem Besuch von US-Präsident Joe Biden in Saudi-Arabien kommt dessen faktischer Herrscher seinem Ziel jetzt einen wichtigen Schritt näher, auf der Weltbühne langsam wieder salonfähig zu werden.

Bald vier Jahre ist der Mord am Journalisten Jamal Khashoggi her, den der Kronprinz nach Einschätzung der US-Geheimdienste persönlich genehmigte. Jahre, in denen der junge Herrscher so gut wie gar nicht ins Ausland reiste. Das war mal anders: Noch im März 2018, etwa ein halbes Jahr vor dem Mord, traf er in Großbritannien Queen Elizabeth II. und die damalige Premierministerin Theresa May. In den USA empfingen ihn Bidens Amtsvorgänger Donald Trump und Bill Clinton, außerdem UN-Generalsekretär António Guterres und Unternehmens-Schwergewichte wie Bill Gates, Tim Cook und Jeff Bezos.

Kühler Empfang für Biden

Am Freitagabend setzte die US-Präsidentenmaschine Air Force One in Jeddah am Roten Meer auf. Der Empfang war kühl: Begrüßt wurde Biden von Mekkas Gouverneur Khalid al-Faisal und der saudischen Botschafterin in den USA, Rima bint Bandar - ein klarer Affront mit Blick auf deren Rang. Die Momente standen im starken Kontrast zur feierlichen Zeremonie bei Bidens Ankunft in Israel auf dem vorigen Stopp der Reise. Und sie erinnerten an den kühlen Empfang, den Jahre zuvor Ex-US-Präsident Barack Obama in Riad erhalten hatte.

Um einen Handschlag mit "MBS" kam Biden herum - ausgerechnet dank der Coronapandemie. Bei seiner Ankunft am königlichen Palast gab es für den Kronprinzen nur einen kurzen Faustgruß und ein Kopfnicken Bidens, dann verschwanden beide im Gebäude. "Wir versuchen, Kontakt so weit wie möglich zu minimieren", hatte Bidens Sprecherin mit Blick auf Corona während der Reise nach Israel gesagt. Dort begrüßte Biden seine Gastgeber zwar teils mit ausgestreckter Faust, schüttelte aber auch Hände - etwa die von Oppositionsführer Benjamin Netanyahu.

"Historischer" Schritt 

Auch wegen der wachsenden Bedrohung durch den Iran ist Riad auf den Verbündeten USA angewiesen - und macht Zugeständnisse. Freitag früh teilte die saudische Luftfahrtbehörde mit, ihren Luftraum "für alle Fluggesellschaften" zu öffnen, sofern diese "die Voraussetzungen" erfüllen. Damit dürfte das Überflugverbot für israelische Maschinen enden, das zuvor bereits gelockert wurde. Biden sprach von einem "historischen" Schritt zu einem "stabilen und sicheren Nahen Osten".

Irgendeine Form von Umgang wird der Westen ohnehin finden müssen. Denn der erst 36 Jahre alte Kronprinz könnte noch lang an der Spitze des Wüstenstaats stehen. Sein altersschwacher Vater, König Salman (86), hat dem Lieblingssohn und potenziellen Thronfolger schon viele Befugnisse übertragen. Unter dem Titel einer "Vision 2030" versucht der Kronprinz, Saudi-Arabien in höchstem Tempo zu modernisieren, etwa durch gesellschaftliche Reformen und den Plan, die Wirtschaft unabhängiger zu machen vom Öl. Er holt hochkarätige Sport-Events nach Saudi-Arabien, hat Musikkonzerte und Kinos erlaubt.

"MBS" durchdringt so viele Lebensbereiche, dass er den Spitznamen "Mister Everything" verliehen bekommen hat. Er hat das Land für Touristen geöffnet und will Jobs schaffen für die junge Bevölkerung, etwa zwei Drittel sind jünger als 35. Frauen können sich in dem eigentlich streng islamisch-konservativen Land heute etwas freier bewegen und kleiden, in Shoppingmalls sind junge Mädchen ohne Kopfbedeckung zu sehen, die zwischen Männern einkaufen oder plaudern. Zuvor galt eine strikte Geschlechtertrennung, die in vielen Schulen, Restaurants und Familien aber weiterhin gelebt wird.

Abweichler werden gleichzeitig mit aller Härte verfolgt. Sie würden willkürlich inhaftiert, gefoltert oder hingerichtet, erklärte eine Gruppe von 13 Menschenrechtsorganisationen zuletzt erneut. Im März richtete das Königreich an einem einzigen Tag 81 Menschen hin. Im Jemen bombardiert Saudi-Arabien mit Verbündeten Stellungen der Huthi-Rebellen - ein Bürgerkrieg mit mehr als 150.000 Todesopfern und verheerenden humanitären Folgen. Riad war lange einer der größten Käufer von Rüstungsgütern aus den USA.

US-Präsident Biden verteidigte sich vor und noch während der Reise gegen Kritik. "Ich spreche immer die Menschenrechte an. Aber meine Position zu Khashoggi war so klar. Wenn jemand das nicht versteht, sei es in Saudi-Arabien oder anderswo, hat er nicht zugehört", sagte Biden am Donnerstag. Im Wahlkampf 2019 hatte er noch versprochen, die saudische Führung zum "Außenseiter" zu machen.

Auf absehbare Zeit wird der Kronprinz weiterhin wohl nicht in Berlin oder Paris zu Gast sein. Aber Zeit heilt alle Wunden - zumindest nach Lesart einiger saudischer Medien. In den saudisch-amerikanischen Beziehungen habe es mehrfach Differenzen gegeben, schrieb etwa die in Jeddah erscheinende "Saudi Gazette" vor dem Biden-Besuch. "Aber diese Differenzen wurden oft ausgeräumt oder lösten sich mit der Zeit einfach in Luft auf."