Mit der Genehmigung von milliardenschweren Waffengeschäften auf den letzten Drücker hat die scheidende deutsche Regierung von Union und SPD einen neuen Rüstungsexport-Rekord aufgestellt. Vom 1. Jänner bis zu ihrem Ausscheiden am 8. Dezember erlaubte das Kabinett von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) Ausfuhren im Wert von 9,04 Milliarden Euro und übertraf den bisherigen Höchststand von 2019 damit um mehr als eine Milliarde Euro.

Geschäfte in letzter Minute

Das geht aus einer Antwort des Wirtschaftsministeriums auf eine Anfrage der Linken-Bundestagsabgeordneten Sevim Dagdelen hervor, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegt. Für mehr als die Hälfte des Exportvolumens - 4,91 Milliarden Euro - gab die schwarz-rote Regierung erst in den letzten neun Tagen vor dem Regierungswechsel grünes Licht. Zu diesem Zeitpunkt war sie nur noch geschäftsführend im Amt und damit angehalten, keine weitreichenden politischen Entscheidungen mehr zu treffen. Besonders brisant: Die Nummer eins unter den Empfängerländern ist mit großem Abstand Ägypten, das wegen Menschenrechtsverletzungen und seiner Verwicklung in die Konflikte im Jemen und in Libyen in der Kritik steht.

Ob Kanzler Scholz seine heutigen Koalitionspartner - die Grünen und die FDP - in die Last-Minute-Genehmigungen eingebunden hat, blieb zunächst unklar. Das für Rüstungsexporte zuständige Wirtschaftsministerium des Grünen-Vizekanzlers Robert Habeck erklärte dazu auf dpa-Anfrage lediglich, dass die Vorgängerregierung die "vollständige Verantwortung" für die Exportentscheidungen trage.

Die Grünen-Außenministerin Annalena Baerbock drängt nun auf schärfere Regeln für Rüstungsexporte. "Wir haben als Koalition deutlich gemacht, dass wir die Rüstungsexportpolitik der vergangenen Jahre auf den Prüfstand stellen", sagte sie der dpa. "Deswegen arbeiten wir an einem Rüstungsexportkontrollgesetz, das deutlicher macht, nach welchen Kriterien Rüstungsexporte genehmigt werden." SPD, Grüne und FDP wollen vor allem die Rüstungsexporte in sogenannte Drittstaaten außerhalb von EU und NATO eindämmen. Dazu zählt auch Ägypten, das dieses Jahr zum dritten Mal in Folge einen Spitzenplatz unter den wichtigsten deutschen Empfängerländern einnimmt.

Bereits vor wenigen Tagen war bekannt geworden, dass die Regierung Merkel kurz vor ihrem Ausscheiden noch den Verkauf von drei Kriegsschiffen und 16 Luftabwehrsystemen der Rüstungsschmieden Thyssenkrupp Marine Systems und Diehl Defence an Ägypten erlaubte. Aus der aktuellen Antwort des Wirtschaftsministeriums geht nun der Gesamtumfang der genehmigten Rüstungsgeschäfte mit dem autoritär regierten arabischen Land in diesem Jahr hervor: 4,34 Milliarden Euro. Bis zum 29. November waren es früheren Angaben zufolge erst 0,18 Milliarden Euro. Das heißt, dass Genehmigungen für mehr als vier Milliarden Euro erst in den letzten Tagen vor dem Regierungswechsel erteilt wurden.

Mitverantwortlich für die Entscheidungen ist auch der heutige Kanzler. Er gehörte als Finanzminister der alten Regierung neben Merkel und sechs weiteren Ressortchefs dem deutschen Bundessicherheitsrat an, der für die Genehmigung heikler Rüstungsexporte zuständig ist.

Die Linken-Außenpolitikerin Dagdelen kritisierte dies scharf. "Olaf Scholz hat sich in der nur noch geschäftsführenden Regierung ein wahres Gaunerstück geleistet und eindrücklich demonstriert, wie folgenlos die Kritik der SPD an skrupellosen Waffenexporten gerade an Diktaturen und autoritäre Regime letztlich bleibt", sagte sie der dpa. "Für die neue Ampel-Regierung unter Scholz ist das eine schwere Hypothek."

"Nichts anderes als Krokodilstränen"

Ganz anders sieht das der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter, der die Last-Minute-Genehmigungen verteidigte. "Das Handeln der geschäftsführenden Bundesregierung geschah innerhalb des gültigen Rechtsrahmens. Deshalb sind die kritischen Stimmen von Grünen und Linken nichts anderes als Krokodilstränen", sagte der Bundestagsabgeordnete der dpa.

Kiesewetter forderte auch eine Berücksichtigung der sicherheitspolitischen Interessen Deutschlands bei der anstehenden Reform der Rüstungsexportkontrolle. "Es ist in deutschem Interesse, wenn sich die Länder im Nahen Osten weiterhin in ihrer Rüstungspolitik durch EU-Staaten ausstatten lassen. Es kann nicht in unserem Interesse sein, wenn diese Staaten sich künftig in China oder Russland versorgen."

Die deutschen Rüstungsexportgenehmigungen in diesem Jahr lagen schon zum Zeitpunkt des Regierungswechsels 55 Prozent höher als 2020 mit 5,82 Milliarden Euro. Der Anteil der besonders umstrittenen Ausfuhren in die sogenannten Drittländer ist mit fast zwei Dritteln (5,95 Milliarden Euro oder 65,8 Prozent) vergleichsweise hoch. Im vergangenen Jahr waren es nur 50,1 Prozent. Für 4,01 Milliarden Euro wurden Kriegswaffenausfuhren genehmigt, für 5,03 Milliarden Euro der Export sonstiger militärischer Ausrüstung.

Die neue deutsche Regierung hat in den ersten sieben Tagen ihrer Amtszeit übrigens auch schon Rüstungsexporte genehmigt: Der Umfang ist den Angaben des Wirtschaftsministeriums zufolge aber vergleichsweise sehr gering: 3679 Euro. Diese Exporte gingen auch nur in EU-Länder, NATO-Staaten oder gleichgestellte Länder. Konkret: Australien, Österreich, Schweden und Slowenien.