Jekaterina lächelt von überall. Von Ständern, Scheunenwänden, Wellblech- und Holzzäunen. „Die Leute erlauben mir, meine Plakate auf ihrem Privatbesitz aufzuhängen“. Jekaterina Jeschowa, 40, ist Kandidatin der liberalen Jabloko-Partei bei den Wahlen zum Regionalparlament des Gebiets Tomsk. Und Publikumsliebling.
Sie kurvt in ihrem alten Nissan-Jeep durch ihren Wahlkreis „Wusowoj“. Der beginnt am Leninprospekt, der Tomsker Prachtstraße, und endet in den Schlaglöchern ihres Heimatdorfs Dscherschinskoje. Lokale Unternehmer hätten 16 Ladungen Schotter in den vergangenen Wochen auf die holprigsten Straßen gekippt, freut sie sich. Wahlkampf mit dem Lkw.



Tomsk und ganz Russland wählen, von Freitag an bis Sonntag. Zur Abstimmung stehen die 450 Sitze der Staatsduma, zwölf Gouverneure, 39 Gebiets- und elf regionale Haupstadtparlamente. Der Wahlkampf in Tomsk ist heftig, zum Gebietssowjet wie zur Staatsduma. Dabei wurde Oppositionsführer Alexei Nawalny wahrscheinlich in einem Tomsker Hotel vergiftet, landete im Gefängnis, seine Stäbe wurden als extremistisch verboten, seine ehemaligen Mitarbeiter dürfen nicht mehr kandidieren. Moskauer Liberale beklagen den Tod der Opposition.



Die fröhliche Jekaterina zeigt Betonfundamente in einem Kiefernhain. „Die haben sie illegal zwischen die Bäume gesetzt, wollten den Wald abholzen und Villen bauen. Wir konnten es verhindern.“ Eigentlich sei sie unpolitisch, aber Russlands Wohlstand solle allen zugänglich sein. Die Ingenieurin erzählt von ihrem Kampf gegen die Wucherpreise, die der Monopolist Gasprom für Gasanschlüsse verlangt, von den Bemühungen, den Sportsaal wieder aufzubauen, der 2007 beim Renovieren der Dscherschinskojer Dorfschule abgerissen wurde. Aber auch vom Anruf eines gut informierten Bekannten: Es gäbe eine Anordnung, aktive Oppositionskandidaten platt zu machen. „Was bedeutet platt machen?“, diesmal klingt ihr Lachen abwehrend.

Vergiftung

Die Angst denkt hier in den meisten Köpfen mit. Auch der Duma-Kandidat, Wassili Jerjomin, 72, der wichtigste Mann der Jabloko-Partei in Tomsk, befürchtet nach den Wahlen neue Verhaftungswellen: „Andersdenkende sollten sich angewöhnen, immer ihr Zahnputzzeug dabei zu haben.“ Und es gibt viele Andersdenkende in Tomsk. Ein paar Wochen nach Nawalnys Vergiftung fanden Stadtratswahlen statt. Die Putin-Partei Einiges Russland (ER) verlor krachend 21 ihrer 32 Mandate in dem 34- Sitzehaus. Auch der frühere Nawalny-Mitarbeiter Andrei Fatejew zog in den Stadtrat ein, befürchtet aber, man werde ihn wegen Extremismus belangen. „Die Ungewissheit ist bedrückend.“

In Tomsk hängen die Wahlplakate dichter als in Moskau, viele sind rot, mit der Parole: „KPRF - Führer des Protestes“. Gerade ihre Kandidaten drängen in die Nische, die der Radikaloppositionelle Nawalny freigemacht hat. „Russland gehört zehn Oligarchen, den früheren Nachbarn Putins aus dem Datschenkombinat Osero“, sagt Wassili Schipilow, politischer Berufsblogger. „Die Mission von ER lautet: Alles für Putins Datschenkombinat.“ Schipilow, 36, parteilos, kandidiert für die KPRF zur Staatsduma. Auch Schipilow nutzt seinen Renault als mobiles Wahlkampfbüro. „Würden die Kandidaten der Einheitsrussen mit ihren Aufklebern rumfahren, riskierten sie, dass die Leute ihnen die Karosserie demolieren.“ Er glaubt an seinen Sieg.


„Ich werde die Wahl gewinnen“, verkündet auch Jekaterina Jeschowa, die eine Etage niedriger kandidiert, „wenn sie nicht manipuliert wird.“ Bei den Stadtratswahlen hätte ihr ER-Widersacher drei Stimmen mehr geholt. „Aber ich habe Screenshots eines Chats, wo Leute ihn fragen, ob sie ihm Fotos ihrer Wahlzettel schicken sollen, als Beleg, dass sie für ihn gestimmt haben.“ Der Einheitsrusse habe Stimmen gekauft.
Die Duma-Wahllokale werden wieder von Kameras überwacht. Aber im Gegensatz zu 2016 haben statt aller Internetnutzer nur die Behörden Zugang, eingeschränkt auch Parteien und Kandidaten. Schipilow, der Kommunist, schimpft: „In meinem Wahlkreis gibt es 96 Abstimmungslokale. Ich kann nur die Übertragung aus vieren sehen.“ Er schließt neue Missetaten nicht aus.