Papst Franziskus wünscht sich ein stärkeres Gemeinschaftsgefühl in Europa. "Wie können wir sonst auf ein Europa hoffen, das seine christlichen Wurzeln wiederentdeckt, wenn wir die ersten sind, welche die ursprüngliche volle Gemeinschaft vermissen lassen?", fragte das katholische Kirchenoberhaupt am Sonntagabend bei einem ökumenischen Treffen in der slowakischen Hauptstadt Bratislava. Dabei ermutigte er die Gläubigen zu neuem prophetischem Schwung nach Jahren des Atheismus.

Es sei schwierig, ein mehr vom Glauben beeinflusstes Europa zu fordern, ohne sich darüber Sorgen zu machen, dass man dort noch immer untereinander gespalten sei, sagte der 84-Jährige. Historische Gründe und politische Bindungen dürften keine unüberwindbaren Hindernisse sein, sagte er in offenkundiger Anspielung auf die Nachwirkungen der kommunistischen Zeit in einigen Ländern.

Papst Franziskus mit der slowakischen Präsidentin Zuzana Caputova
Papst Franziskus mit der slowakischen Präsidentin Zuzana Caputova © (c) AP (David Josek)

"Haben wir Christen nicht ein wenig den Eifer der Verkündigung und die prophetische Kraft des Zeugnisses verloren?", fragte der Papst laut Kathpress bei der Begegnung mit Vertretern von elf christlicher Kirchen rhetorisch. Nach den Jahrzehnten atheistischer Verfolgung hätten sich viele Menschen in der wiedergewonnen Freiheit bequem eingerichtet, beklagte er. Dabei dürste gerade der kirchliche Westen danach, die Anbetung Gottes wiederzuentdecken.

Bis Mittwoch in der Slowakei

Franziskus legt in seinem Pontifikat großen Wert darauf, Gemeinschaft und Geschwisterlichkeit in der Welt voranzutreiben. Der Argentinier erreichte die Slowakei am Sonntagnachmittag. Am Sonntagabend stand noch ein privates Treffen mit Mitgliedern des Jesuitenordens auf dem Programm. Bis Mittwoch will er in dem mitteleuropäischen Land mehrere Orte besuchen und Messen feiern.

Franziskus kam nicht nur für nette Worte nach Ungarn

Nicht weniger als eine "eine Wiedergeburt der Kirche" haben sich die katholischen Bischofe in Ungarn vom Auftritt des Papstes in Budapest erhofft. Doch die Worte von Franziskus beim Eucharistischen Weltkongress sind keine bloße Ermutigung nach harten Monaten der Pandemie. Bei seinem siebenstündigen Kurzbesuch am Sonntag übte er - mal mehr, mal weniger deutlich - Kritik an Regierung, Kirchenführung und der ungarischen Gesellschaft insgesamt.

Lange vor Beginn der 34. Auslandsreise des 84-Jährigen Papstes hatte sich angedeutet, dass es keine ganz einfache Visite werden würde. Die Misstöne waren unüberhörbar und wurden vom Papst selbst verstärkt. Sein Auftritt in Budapest sei "kein Ungarn-Besuch", betonte er in ungewohnter Manier. So als wolle er sich im Land der rechtsnationalen Regierung von Ministerpräsident Viktor Orban nicht länger als nötig aufhalten. Die zügige Weiterreise in die Slowakei, wo er gleich mehrere Tage verbringen wird, bestätigen diesen Eindruck.

Das mit Spannung erwartete Begrüßungstreffen mit dem Calvinisten Orban und dem katholischen Staatspräsidenten Ader absolvierte Franziskus mit auffällig großzügigem Sicherheitsabstand. Bei der rund halbstündigen Unterredung saß der Papst auf einem schmucklosen Holzstuhl inmitten des Museums der Schönen Künste. Flankiert wurde er von Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin und dem päpstlichen Außenbeauftragten Erzbischof Paul Richard Gallagher. Die ungarische Führung saß meterweit entfernt. Nach "herzlicher Atmosphäre", wie der Vatikan die Szenerie im Nachgang beschrieb, sah das nicht aus.

Eine Erklärung dürfte die Flüchtlingspolitik der regierenden Fidesz-Partei sein, die so gar nicht dem "geschwisterlichen" Gesellschaftsbild des Papstes entspricht. Migranten aus muslimischen Ländern sollen nach ihrem Willen möglichst fernbleiben. Der Vatikan indes mahnt die EU-Staaten immer wieder zu Aufnahme und Unterstützung.

Orban veröffentlichte zu der Begegnung mit dem obersten Repräsentanten der katholischen Kirche nur einen einzigen Satz. "Ich habe Papst Franziskus gebeten, das christliche Ungarn nicht untergehen zu lassen", schrieb er auf Facebook und schenkte dem Papst das Faksimile eines Briefes von König Bela IV., der Papst Innozenz IV. vor einer Tartaren-Invasion warnte. Auch das wirkte nicht gerade herzlich.

Orban interpretiert die viel zitierten christlichen Werte offensichtlich anders als der Bischof von Rom. Pikanterweise befürworten große Teile des ungarischen Klerus den dezidiert konservativen Fidesz-Kurs - vor allem das propagierte klassische Familienbild kommt in kirchennahen Kreisen gut an. Selbst Orbans unverhohlene Ablehnung muslimischer Einwanderer stößt nicht selten auf Verständnis. Obwohl dies in eklatanter Weise der von Rom vorgegebenen Linie widerspricht.

Franziskus sprach das Problem in einer Rede vor den ungarischen Bischöfen direkt an. Öffnung, Dialog und mehr Mut zur Veränderung seien das Gebot der Stunde, mahnte er die Geistlichen. Angesichts kultureller, ethnischer, politischer und religiöser Unterschiede gebe es zwei Haltungen: "Entweder verschließen wir uns in einer starren Verteidigung unserer sogenannten Identität, oder wir öffnen uns für die Begegnung mit dem Anderen und kultivieren gemeinsam den Traum einer geschwisterlichen Gesellschaft."

Und es kam noch mehr Kritik hinzu. Bei einem Gespräch mit jüdischen Vertretern - ebenfalls im Museum der Schönen Künste - rief der Papst zum Kampf gegen Antisemitismus auf, der "immer noch in Europa schwelt". Ungarn nannte er in diesem Zusammenhang nicht explizit, aber Gegner des Orban-Lagers werfen diesem immer wieder vor, mit antisemitischen Klischees Wahlkampf zu machen. Etwa im Falle einer fragwürdigen Kampagne gegen den ungarisch-amerikanischen Investor und Philanthropen George Soros.

Kurz bevor Franziskus am Sonntagnachmittag in die Slowakei weiterflog, hätte er die perfekte Gelegenheit gehabt, die ungarische Seele zu streicheln. Gut 100.000 Gläubige hatten sich bei Kaiserwetter auf dem Heldenplatz und ringsherum versammelt, um den Abschluss des Eucharistischen Kongresses zu feiern. Doch auch diesmal ging es nicht ohne mahnende Zwischentöne. "Zurschaustellung und Triumphalismus" seien nicht der Weg zu Gott, sagte der Papst und warnt zu Füßen des Millenniumsdenkmals vor dem "Götzen unseres Ichs", den es mit Jesus Hilfe zu überwinden gelte. Das Ergebnis könnte tatsächlich "eine Wiedergeburt der Kirche" sein. Auch wenn sich Ungarns Bischöfe das vermutlich anders vorgestellt haben.

(Von Alexander Pitz/Kathpress)