"De Standaard" (Brüssel):

"Mehr noch als 2015 gegenüber Flüchtlingen aus Syrien hat der Westen eine Ehrenschuld gegenüber jenen Afghanen, die in den vergangenen 20 Jahren mit unseren Truppen, aber auch mit nichtstaatlichen Hilfsorganisationen zusammengearbeitet haben. Von den Taliban werden sie als Kollaborateure betrachtet, womit sie einer unheilvollen Zukunft entgegensehen. Sie eiskalt im Stich zu lassen, wäre verwerflich.

Einfache Lösungen gibt es nicht. Das Signal auszusenden, dass alle Afghanen willkommen sind, könnte erneut zu einem Menschenstrom führen, der kaum zu beherrschen ist. Aber wir können auch nicht wegschauen. (...) Zweifellos sehen jetzt wieder gewissenlose Menschenschmuggler ihre Chance. Die Politik darf ihnen nicht naiv in die Karten spielen. Aber aus politischer Berechnung jedwedes moralisches Empfinden zu missachten, kann auch keine Option sein."

"Neue Zürcher Zeitung":

"Um die Islamisten wenigstens zu minimalen Zugeständnissen zu bewegen, könnte der Westen einzig den Geldhahn zudrehen. Das hätte für die Bevölkerung jedoch verheerende Konsequenzen. Schon heute ist mehr als die Hälfte auf humanitäre Hilfe angewiesen, und mit dem Kampf um dicht besiedelte Ballungszentren wird die Zahl der zivilen Opfer und der Flüchtlinge weiter ansteigen. Hunderttausende sind seit Anfang Jahr vertrieben worden. Wer kann, versucht auf legalem oder illegalem Weg aus dem Land zu kommen. Auch wir in Europa werden das zu spüren bekommen. Bereits heute stellen die Afghanen hinter den Syrern die größte Gruppe von Asylsuchenden dar. In den kommenden Monaten wird der Druck an den Außengrenzen wieder stark zunehmen, und Rückführungen ins Kriegsgebiet werden gleichzeitig nicht mehr möglich sein."

"Kommersant" (Moskau):

"Vertreter Russlands, Chinas, der USA und Pakistans haben sich einmal mehr getroffen, um eine Deeskalation in Afghanistan zu erreichen. Die Diplomaten stehen vor der äußerst schwierigen Aufgabe, die Taliban, die immer mehr Provinzen erobern, zur Einstellung der Offensive zu bewegen. Der afghanische Präsident Ashraf Ghani scheint sich unterdessen nicht mehr auf Diplomatie zu verlassen: Laut Medienberichten hält er die Verhandlungen mit den Taliban für 'tot'. Die einzige Chance, das Land vor einer terroristischen Machtübernahme zu bewahren, besteht darin, eine verlässliche Verteidigung Kabuls aufzubauen.

Die seit mehreren Monaten andauernde Offensive der in Russland verbotenen Taliban-Bewegung hat nämlich in der vergangenen Woche an Tempo gewonnen. Seit dem 6. August, als es den Kämpfern gelang, die Stadt Zaranj in der Provinz Nimroz einzunehmen, haben sie die Kontrolle über mehrere andere Verwaltungszentren übernommen."

"de Volkskrant" (Amsterdam):

"Wer hat Afghanistan verloren? Diese Frage drängt sich auf, da der von Präsident Joe Biden im April angekündigte Rückzug aus Afghanistan immer mehr an Vietnam erinnert - genau das, wovor einige seiner Berater im Frühjahr gewarnt hatten. (...)

Afghanistan als Symbol schwindender Macht der USA in der Welt - das war sicher nicht beabsichtigt. Dies ist umso schmerzlicher, als es eine Alternative gab: den Verbleib einer relativ kleinen Resttruppe, die militärische Luftunterstützung leistet. Dass man sich nicht für einen Rückzug entschieden hat, der strikt an Fortschritte vor Ort und im Friedensprozess gebunden ist, hat Biden zu verantworten. (...)

Die Europäer könnten in nächster Zeit mit den Folgen der in Afghanistan entstandenen Situation zu kämpfen haben, die vielleicht Hunderttausende in die Flucht treibt. Und die USA? Die haben auch den Irak einmal verlassen, um später erzwungenermaßen wieder zurückzukehren. Diese Geschichte ist noch (lange) nicht abgeschlossen."