Armin Laschet ist früh vor Ort. In Hagen stellt der CDU-Politiker erstmal klar: „Wir werden Betroffenen und Kommunen nicht alleine lassen.“ Laschet ist hier in erster Linie als Ministerpräsident des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen unterwegs. Aber natürlich auch als Kanzlerkandidat der Union für die Bundestagswahl im September. Und so schiebt er mit Blick auf die Fluten im Südwesten Deutschlands im ZDF hinterher: „Wir werden bei den Maßnahmen für den Klimaschutz mehr Tempo brauchen?“.

Noch sind die Trümmer an den Nebenflüssen von Rhein, Mosel und Ruhr nicht aufgeräumt, nicht einmal alle Toten sind geborgen. Allein im Kreis Ahrweiler im Süden von Rheinland-Pfalz werden noch 1300 Menschen vermisst, heißt es am Freitag. Offiziell gehen die Behörden derzeit von 58 Toten aus, darunter neun Bewohner eines Behindertenheims im Eifelort Sinzig. Das Heim konnte nicht rechtzeitig geräumt werden, müssen die Behörden einräumen. Und so ist die Politik mit vorschnellen Forderungen zurückhaltend. „Die Rettungskräfte ihre Arbeit machen zu lassen, ist das Gebot der Stunde“, erklärt die Grünen-Ko-Chefin Annalena Baerbock.

Erinnerung an Winfried Kretschmann

Deutschland versucht erst einmal zu begreifen, was da passiert ist: Aber schon fragen sich viele mit Blick auf die Bundestagswahl: Bedeuten die Unwetter in Deutschland eine Art Fukushima-Moment für die Wahlen im Bund?

Zur Erinnerung: Im März 2011 hatte eine Flutwelle nach einem Seebeben den Atommeiler im japanischen Fukushima hinweggespült. Wenige Tage darauf wählte Baden-Württemberg den Grünen Winfried Kretschmann zum Ministerpräsidenten. Zehn Jahre und zwei Wahlen später ist Kretschmann immer noch Regierungschef in Stuttgart und die CDU zum Juniorpartner geschrumpft. Kann das Unwetter ein ähnlicher Gamechanger für die Bundestagswahlkampf sein?

Grünen-Spitzenkandidatin Baerbock hat ihren Urlaub abgebrochen. Das Thema Klima spielen offensiv aber erstmal andere. Die Klimaaktivistin Luisa Neubauer hält der Union Verschleppungstaktik beim Klimaschutz vor.

Fridays-For-Future-Front-Frau Greta Thunberg spricht auf Twitter von einem „ökologischen Notfall“. Die Empörungsgemeinde in den sozialen Medien macht sich über Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) lustig, der erklärte: Klimaschutz dürfe unseren Wohlstand nicht gefährden. Allerdings stammt das Zitat von vor zwei Jahren.

Olaf Scholz hofft auf den Dreyer-Effekt

Die Bilder an Wupper, Kyll, Lieser und Ahr zeigen eine ganz andere Wohlstandsgefahr: Starkregen. Vier Häuser sind im Örtchen Schuld an der Ahr eingestürzt, andere eingestürzt. Nun sucht Olaf Scholz ganz in der Nähe seine Bühne. „Wir sind dabei vorzubereiten, wie eine Unterstützung aussehen kann“, sagt Scholz der Bundesfinanzminister. Aber natürlich ist er auch als SPD-Spitzenkandidat hier. Auch, wenn alle in seinem Umfeld beteuern, Scholz sei auf Wunsch der in Washington weilenden Angela Merkel in seiner Funktion als Vizekanzler hier.

Scholz hat die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) untergehakt. Die ungemein beliebte Politikerin ist seit Jahren an Multipler Sklerose erkrankt, hat mitunter zu kämpfen beim Gehen auf langen Strecken. Dreyer wohnt ganz in der Nähe mit ihrem Mann in Trier.

Vor allem aber hat sie im März bei ihrem fulminanten Sieg bei den Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz gezeigt, wie wenig Umfragen vor Wahlen zählen. Monatelang lag Dreyer in den Erhebungen zurück, dann holte sie auf. Woche für Woche. Und siegte. „Dreyer-Effekt“ haben Hauptstadt-Medien wie die „Berliner Zeitung“ das Phänomen genannt, dass Politiker sich von ihrer Partei abkoppeln. Kann Scholz das im Herbst auch gelingen?

Deutschland plötzlich Notstandsgebiet

An der Ahr zeigt sich Scholz leger. Wanderschuhe, Jeans, dunkles Hemd und blauer Sweater. Nur nicht den Fehler von Edmund Stoiber wiederholen, der 2002 nach dem Hochwasser an der Elbe aus dem Urlaub nicht nur verspätet im Flutgebiet auftauchte, sondern in Spitzenschuhen. Danach war die Bundestagswahl für ihn gelaufen und Gerhard Schröder blieb Kanzler.

Von einem „Schröder-Moment“ spricht der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte von der Universität Duisburg-Essen. Er mahnt aber auch: „Darstellungsmoment und Entscheidungsmoment müssen zusammenpassen.“  Es gibt zu viele Fallstricke im Krisenmanagement. Das hat schon die Corona-Pandemie gezeigt.

Die Verunsicherung in Deutschland ist groß. Nicht allein, weil Corona Spuren hinterlassen hat. Naturkatastrophen wie Fluten oder Erdbeben, das war in Deutschland lediglich aus der Ferne zu beobachten. Nun müssen Menschen in der Eifel in der Nacht aus der Angst vor den Fluten auf ihren Dächern ausharren. Zum besseren Verständnis: Das Gebiet zwischen Köln und Trier ist die Region, in die Menschen ziehen, weil ihnen Beamtenschlafstädte wie Koblenz und Bonn zu hektisch geworden sind. Und so bricht das Technische Hilfswerk in Rheinhessen jetzt im Katastrophenfall nicht auf zu Einsätzen in entfernten Krisenregionen nach Asien oder Südamerika, um Trinkwasser aufzubereiten. Sondern nur zwei Lkw-Stunden weiter nach Kordel in der Eifel. Die Krise ist jetzt hier Deutschland ist plötzlich Katastrophengebiet. Macht das den Klimawandel zum Wahlkampfthema?

Die Experten diskutieren noch über Wetter und Klima. Doch zeichnet sich ab, dass die Erderwärmung die Extremwetterphänomene beschleunigt. Reicht das, um einen bisher eher langweiligen Wahlkampf zu drehen?

Anders als Fukushima scheinen die Extremwetter in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen eher lokale Ereignisse zu bleiben. Doch ist jetzt schon klar: Nach all den Debatten über geschönte Lebensläufe und abgekupferte Buchzeilen scheint der Wahlkampf mit den Unwettern eine neue Ereigniskarte zu haben. Karl-Rudorf Korte fasst das als Politikwissenschaftler so: „Exogene Schocks können die Lage weiter verändern.“

Von ihrer Abschiedsreise aus Washington meldet sich Angela Merkel: „Die Häufung macht einfach Sorge und fordert uns zum Handeln auf“, mahnt die scheidende Bundeskanzlerin. Sie war es übrigens, die nach Fukushima, die Rückkehr zu Deutschlands Ausstieg von der Atomkraft veränderte. Äußere Schocks können echte Wendepunkte sein.