Die Türkei ist mit dem heutigen Tag offiziell aus einem internationalen Abkommen zum Schutz von Frauen vor Gewalt ausgetreten. Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte diesen Schritt bereits im März angekündigt. Türkische Frauenrechtsorganisationen kündigten umgehend Protest an. Kritik kommt auch aus Österreich. Monika Vana, Delegationsleiterin der Grünen im Europaparlament, zeigte sich entsetzt über den Austritt des Landes aus der Istanbul-Konvention.

Frauenrechtsorganisationen in der Türkei befürchten nun, dass betroffene Frauen nun weniger Hilfe vor häuslicher Gewalt bekommen werden. Zugleich kündigten sie einen stärkeren Kampf für Frauenrechte an. "Nichts kann uns die Stimmung und Motivation verderben", sagte Canan Güllü, Chefin der Föderation der Frauenverbände der Türkei.

In Istanbul wurde bereits mehrfach gegen den Austritt der Türkei aus dem internationalen Abkommen zum Schutz der Frauen protestiert
In Istanbul wurde bereits mehrfach gegen den Austritt der Türkei aus dem internationalen Abkommen zum Schutz der Frauen protestiert © AP

Opfer von Gewalt in der Türkei hätten Angst und fragten sich, "wer sie schützen wird", sagte Güllü. Wenn Politiker auf Landesebene nicht mehr mitspielten und die Konvention nicht umsetzten, werde man sich eben an die regionalen Regierungen wenden. "Man kann Frauen, die 50 Prozent der Population dieses Landes ausmachen, nicht ignorieren und das Fenster zu Menschenrechten nicht einfach schließen."

Für Kritik im Land sorgt derzeit auch eine Passage einer geplanten Justizreform. Berichten zufolge sieht diese vor, dass zur Verfolgung von sexuellem Missbrauch etwa konkrete Beweise für die Tat vorgelegt werden müssten. Verhaftungen wegen Sexualdelikten würden so unmöglich gemacht, hieß es seitens der Frauenrechtsorganisationen.

Kritik über diesen Schritt in der Türkei kommt auch von den österreichischen Grünen. Monika Vana, Delegationsleiterin im Europaparlament, zeigte sich entsetzt: "Dass Erdogan diesen frauenfeindlichen Rückschritt mit dem Argument verteidigt, die Konvention bedrohe die traditionelle türkische Familie, ist ein höhnischer Schlag gegen Frauen und Frauenrechte in der Türkei. Dem muss die EU entschieden entgegentreten."

Bereits Ende März kritisierte Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) den Austritt der Türkei aus der Istanbul-Konvention scharf. Dieser Schritt sei "beschämend, das ist ein Schlag ins Gesicht für alle Menschen, die sich für Frauenrechte einsetzen, das ist der Versuch, die Uhren zurückzudrehen", sagte Schallenberg damals. Anfang Mai forderten dann zahlreiche europäische Minister die Türkei auf, den Rücktritt aus dem Abkommen rückgängig zu machen.

Konservative in der Türkei und Erdogans islamisch-konservative Partei AKP sehen in dem Abkommen eine Gefahr für Familienstrukturen. Einige störten sich an dem dort festgelegten Prinzip der Nichtdiskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung und sahen darin eine Förderung der Homosexualität.

Yücel soll wieder der Prozess gemacht werden

Aber auch Journalisten geht es in der Türkei an den Kragen: Rund ein Jahr nach seiner Verurteilung wegen Terrorpropaganda sollte heute in der Türkei ein neuer Prozess gegen den "Welt"-Journalisten Deniz Yücel stattfinden. Die Staatsanwaltschaft wirft Yücel, der ein Jahr lang in der Türkei inhaftiert war und inzwischen wieder in Deutschland lebt, öffentliche Herabwürdigung der türkischen Nation und des türkischen Staates vor. Scharfe Kritik an dem Verfahren kam von deutschen Politikern, die damit auch andere Staatsbürger in Gefahr sehen.

Doch der Auftakt zum neuen Prozess wurde verschoben. Die Verhandlung in Istanbul habe am Donnerstag nicht stattgefunden - es sei stattdessen darüber informiert worden, dass der zuständige Richter im Urlaub sei, sagte Yücels Anwalt Veysel Ok. Das Datum des neuen Verhandlungstermins steht noch nicht fest.

Journalist Deniz Yücel
Journalist Deniz Yücel © APA/dpa/Annette Riedl

Der Vorwurf gegen Yücel bezieht sich der Anklageschrift zufolge auf Artikel Yücels aus dem Jahr 2016 in der "Welt", in denen der Journalist unter anderem die Bezeichnung "Völkermord an den Armeniern" benutzt. Er wird zudem der Präsidentenbeleidigung beschuldigt, weil Erdogan in einer Überschrift als "Putschist" bezeichnet wird.

Im Jahr 2016 hatte der Deutsche Bundestag die Massaker an den Armeniern als Völkermord eingestuft.

Yücel war von Februar 2017 bis Februar 2018 ohne Anklageschrift im Hochsicherheitsgefängnis Silivri westlich von Istanbul inhaftiert. Der 47-jährige „Welt“-Korrespondent hatte seit 2015 aus Istanbul berichtet. Aufgewachsen ist der Sohn türkischer Gastarbeiter im hessischen Flörsheim.

Haftprotokoll

In einem Haftprotokoll, das er in einer Ausgabe des „Kleinen Prinzen“ nach draußen schmuggeln konnte, schrieb der Journalist, der die deutsche und die türkische Staatsbürgerschaft hat, lapidar: „Drei mal 0,5 Liter Wasserflaschen täglich. Wenn man nachfragt, auch mehr. Nie Kaffee oder Çay.“ Çay ist ein türkischer Tee. Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel war empört: Yücel habe „nichts anderes getan, als seiner Arbeit nachzugehen“. Außenminister Sigmar Gabriel erklärte damals, Yücel sei eine „Geisel“. Er und Merkel ließen auf diplomatischem Wege nichts unversucht. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan konterte aber stets: Yücel sei ein „Helfer der Terroristen“, ein „Feind der Türkei“.

Die „Welt“ hielt fest, dass ihr Korrespondent in U-Haft gekommen sei, weil er über E-Mails des türkischen Energieministers, Erdogans Schwiegersohn, berichtet hatte, die das linke Hacker-Kollektiv RedHack in Umlauf gebracht hatte. Deniz Yücel, der türkische Staatsfeind, der von seinem Jahr in U-Haft neun Monate isoliert in einer Zelle saß, erlebte aber auch einen sehr positiven Moment in seiner Haft. Im Gefängnis heirateten er und seine Freundin Dilek Mayatürk. Die  TV-Produzentin war zum Zeitpunkt der Verhaftung von Yücel am 14. Februar 2017 erst ein halbes Jahr mit dem Journalisten zusammen, dennoch entschied sie sich, ihren Freund zu heiraten. Denn nur als seine Frau war es möglich, Deniz dort zu besuchen.

Im Juli vergangenen Jahres war Yücel in Abwesenheit wegen Terrorpropaganda für die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK zu rund zwei Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt worden. Unter anderem vom Vorwurf der Volksverhetzung wurde Yücel freigesprochen. Sowohl Yücels Anwalt Veysel Ok als auch die Staatsanwaltschaft, die eine härtere Bestrafung forderte, legten Berufung ein. In dem Revisionsverfahren geht es um die dieselben "Welt"-Artikel, für die Yücel nun wieder belangt wird.