Wieder einmal wird viel über Ungarn geschrieben: Viktor Orbán, so heißt es da, hat ein Gesetz verabschieden lassen, das Homosexuelle diskriminiert.


Man mag das so sehen. Das neue Gesetz gegen Pädophilie enthält einen Passus, der die Verbreitung homosexueller Inhalte an Jugendliche unter 18 Jahren verbietet. Es ist aber, politisch gesehen, nicht der eigentliche Zweck des Vorstoßes. Der Zweck ist es, vor den nächsten Wahlen in zehn Monaten Chaos zu stiften in den Reihen der nur oberflächlich „vereinten” Opposition, und die eigenen Wähler zu mobilisieren.


Taktisch ein kluger Schachzug. Eine der größten Oppositionsparteien, die rechte Jobbik, stimmte mit Fidesz für den Entwurf. Die anderen enthielten sich und nannten es „Boykott”. In Wahrheit hatten sie nur Angst, dagegen zu stimmen: Denn die meisten Wähler sehen es so wie die Regierungspartei. Mit einem Schlag ist also die Einheitsfront der Opposition zerbrochen.

2021 wird gewählt


Gewählt wird im April 2021. Gegen Ministerpräsident Viktor Orbán treten eine ganze Reihe Herausforderer an, aber nur drei sind wichtig. Klára Dobrev von der linken „Demokratischen Koalition”, Péter Jakab von der rechten Jobbik-Partei und Budapests Bürgermeister Gergely Karácsony, den die Sozialisten und die „grüne” LMP unterstützen.


Einer oder eine dieser vier Politiker wird die nächste Regierung führen.
Zunächst bekämpfen Orbáns Gegner einander. Es ist ein Novum in der ungarischen Politik: Sieben Oppositionsparteien haben sich zu einem Bündnis zusammengeschlossen, Vorwahlen im September und Oktober sollen einen Spitzenkandidaten hervorbringen. Neben Dobrev, Jakab und Karácsony gibt es weitere Konkurrenten: Der frühere Fidesz-Politiker József Pálinkás mit der Partei „Neue Welt”; András Fekete-Gyõr, Chef der jungen Momentum-Partei, die urbane Jugendliche anspricht; und Péter Márki-Zay, der eher rechte, parteilose Bürgermeister der Provinzstadt Hódmezövásárhely.


Kaum traten die Kandidaten aus der Deckung, feuerte die Regierungsseite aus allen Rohren, vor allem mit Internet-Anzeigen. Klára Dobrev wurde umgehend mit ihrem weitgehend verhassten Ehemann gleichgesetzt, dem früheren sozialistische Regierungschef Ferenc Gyurcsány. Besonders in die Defensive geriet Karácsony, der auf der Webseite seiner Partei seinen Lebenslauf ändern musste. Er hat nämlich doch keinen Doktortitel; er gab zu, seine Englischkenntnisse seien „hyperpassiv”; er entschuldigte sich, weil er in einem Interview Orbán „klein und dick” genannt hatte, sich selbst hingegen „groß und schlank”. Es sei „witzig” gemeint gewesen. Péter Jakab profiliert sich derweil mit derben Sprüchen in Parlamentsdebatten und bezeichnet die Regierung als „Diebe”. Die regierungsnahe Presse nennt ihn „Gyurcsány’s Clown”. Bei alldem werfen die Oppositionskandidaten einander Knüppel zwischen die Füße: Die DK etwa betont die Sprachkenntnisse Dobrevs, als Kontrast zu Karácsony’s „hyperpassivem” Englisch.


Die Opposition hat einen großen Vor- und einen großen Nachteil. Der Vorteil: Da es erstmals in den 106 Wahlkreisen jeweils nur einen gemeinsamen Oppositionskandidaten geben wird, braucht Fidesz überall mindestens 50 Prozent, um zu gewinnen. Früher, mit einer gespaltenen Opposition, reichten oft rund 40 Prozent. Der Nachteil: Die „vereinte Opposition” führte zwar in den Umfragen seit Dezember. Aber seit nun konkrete Kandidaten da sind, ist der Trend gestoppt. Fidesz liegt in manchen Umfragen wieder leicht vorn, was für Verteilung der insgesamt 93 Listen-Mandate wichtig ist. Es gibt 199 Parlamentssitze, davon 106 Direktmandate und 93 Listenmandate.


Es ist, als hätten manche Wähler zwar im Prinzip gerne eine andere Regierung - aber Dobrev, Jakab oder Karácsony dann konkret lieber doch nicht. Zudem wird spürbar, dass diese Opposition kein Bündnis der Herzen ist – sichtbar wurde das bei deren abweichendem Abstimmungsverhalten zum Pädophilen-Gesetz.
Gerade rechtzeitig hat die Regierung mit einem kühnen Impfprogramm auch die Covid-Epidemie in den Griff bekommen. Die jüngsten Wirtschaftsdaten sind trotz Covid-Krise besser als die der meisten anderen EU-Länder.


Denkbar also, dass Orbán am Ende wieder siegt, wenn auch wahrscheinlich diesmal nur knapp.