Auch im Iran schaut vor Wahlen alles gespannt auf die Umfragen – doch vor der Präsidentenwahl in der Islamischen Republik an diesem Freitag richtet sich die Aufmerksamkeit nicht so sehr darauf, welcher Kandidat vorne liegt. Im Mittelpunkt stehen vielmehr Voraussagen über die Wahlbeteiligung, und die könnte für das Regime schlecht aussehen, denn die Iraner interessieren sich nicht für die Wahl.

Das liegt an der weit verbreiteten Desillusionierung inmitten von US-Sanktionen und einer schweren Wirtschaftskrise, aber teilweise auch daran, dass es kaum etwas zu wählen gibt. Schon vor dem Wahltag steht so gut wie fest, dass der Iran in den kommenden vier Jahren einen erzkonservativen Präsidenten haben wird: Justizchef Ebrahim Raisi ist der haushohe Favorit.

Wächterrat

Das personelle und programmatische Angebot ist bei iranischen Wahlen immer eingeschränkt, weil alle Kandidaten über den so genannten Wächterrat von Revolutionsführer Ali Khamenei ausgewählt werden. Bei früheren Wahlen hatte der seit 1989 herrschende Khameini, selbst ein Hardliner, aussichtsreiche Kandidaten aus dem Lager der Reformer zugelassen.

Diesmal aber hat Khamenei vor allem das Überleben des Regimes im Blick, das in den vergangenen Jahren mehrmals von landesweiten Protesten erschüttert wurde. Khamenei ist 82 Jahre alt und soll krebskrank sein. Er will dafür sorgen, dass konservative Kräfte und die Revolutionsgarde alle Fäden in der Hand haben, wenn es in den kommenden Jahren um die Ernennung seines Nachfolgers geht.

Deshalb zählen fast alle zugelassenen Präsidentschaftskandidaten zu den Hardlinern, darunter Raisi und der frühere Kommandeur der Revolutionsgarde, Mohsen Rezai. Laut einer Befragung des staatlichen Senders PressTV kommt Raisi auf 58 Prozent und führt damit klar vor Rezai, der als Zweitplatzierter bei 5,4 Prozent liegt. Wenn Raisi am Freitag unter 50 Prozent bleibt, folgt am 25. Juni eine Stichwahl.

Raisi und Rezai haben vieles gemeinsam, obwohl der 60-jährige Raisi ein Geistlicher ist, der seine Herkunft auf den Propheten Mohammed zurückführt, und der 67-jährige Rezai ein Berufssoldat, der schon mit 27 Jahren im Jahr 1981 zum Chef der Revolutionsgarde aufstieg.

Schüler von Khamenei

Beide gehen für das Regime über Leichen: Raisi war 1988 an einer Massenhinrichtung von rund 5000 Menschen beteiligt und ließ auch in den vergangenen Jahren als Justizchef viele Hinrichtungen zu; die USA haben Sanktionen gegen ihn verhängt. Raisi ist ein früherer Schüler von Khamenei in einem islamischen Seminar und laut Medienberichten der Lieblingskandidat des Revolutionsführers.

In Rezais Zeit als Chef der Revolutionsgarde fielen der Mord an vier iranischen Oppositionellen im Berliner Lokal „Mykonos“ im Jahr 1992 und der Anschlag auf das jüdische Gemeindezentrum in Buenos Aires 1994, bei dem 85 Menschen starben. Die Behörden in Deutschland und Argentinien nannten Rezai als einen der mutmaßlichen Drahtzieher.

Gemeinsam haben Raisi und Rezai auch, dass sie seit Jahren versuchen, Präsident zu werden. Raisi verlor 2017 gegen den scheidenden Präsidenten Hassan Ruhani, der nach zwei Amtszeiten diesmal nicht antreten darf. Für Rezai ist die derzeitige Bewerbung schon die vierte Kandidatur seit 2005. Ein weiterer Hardliner, Said Dschalili, könnte am Freitag für eine Überraschung sorgen und Raisi in eine Stichwahl zwingen. Der 56-jährige frühere Atom-Unterhändler war zeitweise Khameinis Büroleiter und ist ebenfalls ein treuer Gefolgsmann des Revolutionsführers.

Auch mit Rezai oder Dschalili im Präsidentenamt wäre der Siegeszug der Hardliner komplett, nachdem sie im vergangenen Jahr bereits die Parlamentswahlen gewonnen hatten. Die Reformer sind chancenlos, weil sie ihre Glaubwürdigkeit verloren haben. Sie hatten den Iranern nach Abschluss des Atomvertrages mit dem Ausland 2015 mehr Wohlstand versprochen, doch stattdessen gab es neue US-Sanktionen. Ruhanis früherer Zentralbankchef Abdolnasser Hemmati darf zwar antreten, liegt laut PressTV aber bei nur drei Prozent. Als einziger der fünf verbliebenen Kandidaten zählt Hemmati nicht zu den Hardlinern; der zweite Bewerber der Reformer, Mohsen Mehr-Alizadeh, gab am Mittwoch auf.

Kein Wunder also, dass die Wahl am Freitag viele der 59 Millionen Wähler kalt lässt. Schon bei der Parlamentswahl im vergangenen Jahr sank die Beteiligung auf den historischen Tiefstand von 42,6 Prozent – bei Ruhanis Wahlsieg vor vier Jahren waren es noch 73 Prozent gewesen. Diesmal rufen viele Reformer zum Wahlboykott auf. Das Institut Ispa sagt für Freitag eine Beteiligung von 38 bis 41 Prozent voraus.

Khameini und sein neuer Präsident können zwar auch ohne Wähler-Mandat regieren: Der Revolutionsführer wird nicht vom Volk gewählt, sondern vom erzkonservativen Expertenrat, und seine Regierung kann sich auf die Revolutionsgarde und andere Sicherheitskräfte verlassen. Doch wenn die Wähler am Freitag mit einem Wahlboykott ein Misstrauensvotum gegen das System abgeben, wird das die Frage nach der Legitimation der Islamischen Republik aufwerfen, die nach den Idealen der Revolution von 1979 allen Iranern die Freiheit bringen sollte. Khameini, dem es um das Überleben des Regimes geht, nimmt das in Kauf.