In Israel sind die Würfel gefallen. Ein buntes Bündnis aus rechten, linken und Mitte-Parteien bildet eine neue Regierung und löst Langzeitpremier Benjamin Netanjahu ab. Architekt dieser Entthronung ist Yair Lapid.
Es war gestern kurz vor Ablauf einer Frist um Mitternacht, als Mansour Abbas, der Chef der kleinen arabischen Raam-Partei, mit seiner Unterschrift unter den Koalitionspakt das Ende der zwölfjährigen Ära Netanjahu in Israel besiegelte.

Treibende Kraft hinter dem Block des Wandels, die Israels längstdienenden Premier vom rechtskonservativen Likud auf die Oppositionsbank schickt, ist allerdings ein anderer: Yair Lapid, Chef der Zukunftspartei. Vor seinem Eintritt in die Politik vor zehn Jahren sorgte er sich, dass seine Landsleute sich zu viel mit Vergangenheit und Gegenwart beschäftigten. „Das ist gefährlich.“ Jetzt will er, dass sie den Blick nach vorn richten. Seine Zentrumspartei hat den passenden Namen: „Jesch Atid – Es gibt eine Zukunft“.

Lapids zu diesem Zweck geschmiedetes Bündnis ist jedoch alles andere als ein einfaches Konstrukt. Nie gingen die Ideologien so weit auseinander wie bei dieser Koalition. Von der Linkspartei Meretz bis zur nationalreligiösen Jamina ist ein breites Spektrum vertreten. Sogar die islamistische Partei Raam soll Teil der Regierung werden. Es ist das erste Mal in Israels Geschichte, dass eine arabische Partei auf der Regierungsbank sitzt.

Lapids Jesch Atid ist die größte Koalitionspartei. Bei den Wahlen am 23. März holte sie 17 Mandate. Gleichwohl lässt ihr Vorsitzender einem anderen den Vortritt als Premier: Naftali Bennett. Die beiden werden sich den Posten zeitlich teilen. Doch Bennett, der nur sieben Sitze hat, darf als erster Platz auf dem Chefsessel nehmen.

Alle, die Lapid als Schönling mit Hang zum Rampenlicht bezeichnen, straft er damit Lügen. Wieder einmal. Denn es ist nicht das erste Mal, dass er zeigt, das Wohl des Landes ist ihm näher als  das Ego oder Machtbegehren. So wird er zunächst den Posten des Außenministers übernehmen – eine Idealbesetzung.

Der einstige Fernsehmoderator, Buchautor und Kolumnist fühlt sich wohl auf den Bühnen der Welt. Dabei ist er gleichzeitig bodenständig, seit langen Jahren mit Lihi verheiratet und Vater von drei Kindern. Mit seinem Charme und guten Aussehen ist er das perfekte Aushängeschild für die Nation.

Auch hütet sich Lapid vor Extremen. Er ist Mainstream auf ganzer Linie. Mit den Palästinensern will er eine Verständigung, verdammt jedoch auch die Siedler nicht. Als er in die Politik eintrat, sagte ein Kommentator über ihn: „Niemand kann es allen recht machen. Aber Lapid hat es versucht“. So kommt er auch mit seinem Buddy Bennett klar, einem Hardliner für die Siedlersache.

Israels vergangene zwei Jahre waren von Krisen geprägt. Es gab wohl kaum ein Schimpfwort, das nicht durch die Flure der Knesset hallte. Lapid aber hielt sich aus den Schlammschlachten heraus. Ob der 58-Jährige von seinem einstigen Bündnispartner Benny Gantz auf der politischen Bühne sitzen gelassen wurde oder Bennetts Wankelmut ertragen musste – stets behielt er kühlen Kopf. Mit dieser Attitüde, meinen Polit-Experten, könne er es vielleicht tatsächlich schaffen, die weit auseinanderklaffenden Ideologien des Wandel-Blocks unter einen Hut zu bringen.

Dabei war Lapid nicht immer überzeugter Gegner Netanjahus, sondern war in der von diesem geführten Koalition von 2013-2014 Finanzminister. 2019 dann schloss er sich mit Gantz zusammen. Unter dem Namen Blau-Weiß wollte man Netanjahu entthronen. Der war damals bereits in drei Fällen wegen Korruption angeklagt.
Doch die Pandemie machte dem einen Strich durch die Rechnung. Gantz koalierte mit Netanjahu, Lapid sagte nicht viel dazu. Jetzt haben sich die beiden wieder zusammengetan.