Frau Botschafterin, Sie verlassen Österreich. Wie haben Sie das Land in den vergangenen fast vier Jahren erlebt?

KSENIJA ŠKRILEC: Es war sowohl professionell als auch persönlich eine sehr intensive Zeit. Ich habe meine Antrittsbesuche in Wien noch den Ministern der Großen Koalition aus SPÖ und ÖVP abgestattet. Kurz danach habe ich den Dialog mit den Mitgliedern der türkis-blauen Koalition weitergeführt. Es folgten Ibiza, Türkis-Grün und die Pandemie. In diesem innenpolitischen Kaleidoskop hatte ich die Leitlinien slowenischer Politik und Kultur zu vertreten und sichtbar zu machen. Ein wesentlicher Bereich waren dabei auch Fragen der slowenischen Volksgruppe in Kärnten und der Steiermark, insbesondere zum 100. Jahrestag der Kärntner Volksabstimmung. Rückblickend ist für mich die intensive und tiefgehende persönliche Verbindung mit vielen Menschen aus allen Lebensbereichen Österreichs von nachhaltiger Bedeutung. Dabei ist mir viel Österreichisches ans Herz gewachsen.

Was wird Ihnen besonders im Gedächtnis bleiben?
Der Auftritt von Bundespräsident Alexander Van der Bellen bei der Jubiläumsfeier im Kärntner Landtag, die Verleihung des Großen österreichischen Staatspreises für Literatur an Kärntner Schriftsteller slowenischer Sprache Florjan Lipuš, des Österreichischen Staatspreises für europäische Literatur an Drago Jančar und die Rede von Maja Haderlap bei dem Staatsakt anlässlich 100 Jahre Gründung der Republik.

Was war für Sie am gewöhnungsbedürftigsten?

Es gibt in Österreich eine doppelte Realität, kodierte Sprechweisen, bei denen vieles nicht wörtlich zu nehmen ist. Das hat insbesondere in Wien mit Nachklängen höfischer Verkehrsformen zu tun, deren Charme und Eleganz fürs Erste oft verführerisch sind, deren Hintersinn jedoch gewöhnungsbedürftig ist. Der spezifische österreichische Humor allerdings ist für Slowenen so wie auch für Tschechen, Slowaken, Kroaten oder Ungarn aufgrund der gemeinsamen geschichtlichen Erfahrung generell zugänglicher als für Diplomaten aus nord- oder nichteuropäischen Ländern.

Zum Abschied haben Sie Österreich zu Selbstreflexion im Umgang mit seinen Minderheiten ermahnt. Sind sie so enttäuscht?

Enttäuschung ist keine brauchbare Kategorie auf dem Feld der bilateralen Politik, hier ist nicht auf Basis von Gefühlen, sondern mit konkreten Maßstäben zu messen. Festzustellen ist, dass Österreich durch den Staatsvertrag und selbst auferlegte Verpflichtungen bei der Verwirklichung der Minderheitenrechte noch einige Luft nach oben hat, insbesondere im Vergleich mit Südtirol.

Diplomaten sprechen üblicherweise verklausulierter. Woher rührt Ihre Offenheit?

Dass Diplomaten nur verklausuliert sprechen, ist in gewisser Weise auch ein Stereotyp. Dass eine Vertreterin eines kleineren Staates sich so offen artikuliert, wie es von den Botschaftern größerer Länder akzeptiert ist, erzeugt offensichtlich hierzulande manchmal Verwunderung. Mir ist es wichtig, dass Positionen klar formuliert werden, sodass Inhalte nicht nur für Experten und Spezialisten, sondern auch für ein breiteres Publikum verständlich sind.

Was genau irritiert Sie?

Ich wurde zu Aufrichtigkeit, Ehrlichkeit und Gerechtigkeit erzogen. Also stört mich alles, was diesen Prinzipien entgegensteht. Irritierend ist für mich die oft vorhandene Unfähigkeit, mit offenem Visier aufeinander zuzugehen und anderen Positionen grundsätzlich auch Verständnis entgegenzubringen. Und irritierend ist der in Österreich oft übliche Gebrauch von zweierlei Maßstäben. Etwa im Bereich des Arbeitsmarktes. Bei österreichischen Arbeitskräften spricht man über Arbeitsrecht, bei ausländischen über Lohndumping.

War die Entschuldigung von Bundespräsident Van der Bellen bei der Volksabstimmungsfeier für das den Slowenen zugefügte Unrecht nicht eine starke Geste?

Natürlich, für Staatsmänner gehören sich staatsmännische Gesten. Im Hintergrund dieser Geste steht aber, dass Kärntner und Steirer Slowenen Teil der österreichischen Geschichte und Gesellschaft sind, aber noch immer ihre Muttersprache in der Öffentlichkeit nicht vorbehaltlos benützen können.

Geht Slowenien mit seinen Minderheiten so viel besser um?

Sloweniens Minderheitenrechtsschutz ist im internationalen Vergleich exemplarisch. Die rechtlichen Rahmen sind klar gesetzt, die Finanzierung ist gesichert. Minderheitenrechtsschutz bedeutet, dass man nicht immer für das kleinste Recht kämpfen muss. Die autochthonen Minderheiten haben eine öffentlich-rechtliche Vertretung, die durch die Selbstverwaltung auf lokaler und staatlicher Ebene geregelt wird, und sie sind im Parlament vertreten. Ich empfehle jedem einen Ausflug nach Pomurje, ins zweisprachige Gebiet um Lendava, wo ich als Angehörige der ungarischen Minderheit aufgewachsen bin und wo zweisprachige Ortstafeln niemanden gestört haben. Und wo ich gleichzeitig auch Deutsch, Serbokroatisch und Englisch gelernt habe.

Was ist dann mit den Altösterreichern in Slowenien?

Für einige Hundert Mitglieder dieser Gruppe sind die Rechte im 61. Artikel der slowenischen Verfassung nicht nur verankert, sondern werden auch umgesetzt und ständig verbessert.

Was verbindet Slowenen und Österreicher?

Vieles, viel mehr, als uns trennt.

Und was trennt Sie?

Manchmal eine gewisse Unfähigkeit, sich gegenseitig zuzuhören und das Wort des Anderen verstehen zu wollen.

In der Europäischen Union aber auch in Slowenien wächst der Unmut über Ministerpräsident Janez Janša. Haben Sie das als Botschafterin zu spüren bekommen?

Nein, in keiner Weise.

Janšas Angriffe auf die Presse und auf politische Gegner haben zuletzt die Schlagzeilen über Slowenien im Ausland dominiert ...

Leider, denn dadurch sind viele andere Themen in der Berichterstattung nicht zum Zug gekommen.

Hat Janša autoritäre Züge?

Das ist eine Beurteilung, die ich mir weder für den slowenischen Ministerpräsidenten noch für den österreichischen Bundeskanzler anmaßen möchte.

In der slowenischen Regierung geht es drunter und drüber. Ist das Land damit kurz vor Übernahme des EU-Ratsvorsitzes überhaupt europapolitisch handlungsfähig?

Slowenien ist eine funktionierende parlamentarische Demokratie auf Basis einer liberalen Rechtsstaatlichkeit und auf die Übernahme des EU-Vorsitzes in jeder Hinsicht gut vorbereitet. Slowenien hatte in der Periode des ersten sehr erfolgreichen Ratsvorsitzes eine Regierung, geführt vom selben Premierminister wie heute. Es besteht kein Grund, sich um die europapolitische Handlungsfähigkeit Sloweniens Sorgen machen.

Mit welchen Gefühlen verlassen Sie Österreich?
Eine gute Nachbarschaft kann man nicht verlassen, und in diesen vier Jahren habe ich mich an Land, Leute und Sprache gebunden. Mit meinem österreichischen Mann verlegen wir unseren Wohnsitz nach Slowenien in das Dreiländereck, beide bleiben wir aber weiter in unserer Arbeitswelt in Ljubljana und Wien. In Ljubljana warten auf mich mit EU-Ratsvorsitz und Wirtschaftsdiplomatie verbundene Aufgaben, denen ich als überzeugte Europäerin mit Freude entgegensehe. Ich bin mir sicher, das auch durch meine Arbeit hier viele Österreicher das geografisch, kulturell und gastronomisch diverse, aufregende Land ums Eck in Katzensprungnähe entdecken wollen werden. Das wird mir die größte Freude bereiten.