Die jüngsten Wahlen in England, Schottland und Wales werfen ein erhellendes Licht auf die gegenwärtige Stimmung in Großbritannien. Erst einmal haben die Impf-Erfolge der letzten Monate einen neuen Optimismus geschaffen, der noch im Winter undenkbar war.

Alle drei Regierungen Großbritanniens – die in London, die in Edinburgh und die in Cardiff – haben davon profitiert. Statt unter der üblichen Mid-Term-Müdigkeit zu leiden, fanden sich die an der Regierung befindlichen Administratoren ausnahmslos unterstützt von den Wählern. Boris Johnson, Schottlands Nicola Sturgeon und in Wales der dortige Labour-Regierungschef Mark Drakeford festigten allesamt ihre Stellungen in dieser Situation.

Kein Wunder. Die Covid-Krise hatte ihnen allen eine öffentliche Plattform geschaffen, auf der sie sich als entschlossene Kämpfer gegen die Pandemie präsentieren konnten. Und der in Westeuropa beispiellose Erfolg des britischen Impf-Programms trug das seine zu weitläufiger Zustimmung bei.



Vor allem Boris Johnson, der britische Premierminister, sieht seine Position zu Beginn dieser Woche beträchtlich gestärkt. Weder seine folgenschweren Fehlentscheidungen vom Vorjahr, in Sachen Covid, noch die jüngsten Skandale um seine Person konnten ihm etwas anhaben. Eine klare Mehrheit englischer Wähler stellte sich hinter ihn.

Bis tief ins Labour-Stammland hinein, in die alten Industriegebiete Nord- und Mittelenglands, ist Johnson auf teils spektakuläre Weise vorgestoßen. Selbst in den „roten“ Großstädten, auf die sich Labours Wählerschaft zunehmend beschränkt, machen die Tories der Opposition das Leben schwer.

Der Brexit ist in England kein Thema mehr

Die Gründe dafür sind mannigfach. In den Pro-Brexit-Gebieten Englands gibt es bislang keine Anzeichen irgendwelcher Reue. Gerade in den alten Working-Class-Bezirken ist man Johnson dankbar dafür, dass er den Brexit „über die Bühne gebracht“ hat (und nun gegen die frechen Franzosen die Royal Navy aufbietet im Ärmelkanal).

Labours schwankende Haltung nach dem Referendum, und das gegenwärtige betretene Schweigen der Parteiführung, haben der alten Arbeiterpartei wenig Sympathien in diesem Teil der Bevölkerung eingetragen. Dagegen teilt sich Johnsons ewiger Optimismus, seine unzerstörbare Zuversicht, gekoppelt mit allerlei patriotischen Parolen und PR-Kunststückchen, den Wählern als etwas Positives mit.



Aber die Zustimmung zu den Tories reicht tiefer. Die Pandemie hat es Johnson möglich gemacht, sich von der alten Austeritätspolitik seiner Partei abzusetzen. Enorme Gelder aus der Staatskasse sind ins Land geflossen. Massive Investitionen, auch in die Infrastruktur verarmter Gebiete, sind angesagt.

Täglich gelobt die Regierung, Ressourcen in die Provinz auszulagern, das Niveau überall „anzuheben“. Dazu mag es am Ende nicht wirklich kommen. Aber Johnsons Versprechen, sich von Staats wegen um die Leute zu kümmern, und mit öffentlichen Mitteln die ins Stocken geratene Wirtschaft neu anzukurbeln, hat offenkundig Wähler beeindruckt vielerorts.

Für die Labour Party hat sich das als enormes, als viel zu spät erkanntes Problem erwiesen. Die Partei hat Boris Johnson total unterschätzt. Sie verließ sich darauf, dass nach dem Brexit und angesichts eines chaotischen Covid-Krisenmanagements die Tories schnell wieder unbeliebt würden.

Stattdessen haben die Konservativen auch ideologisch Labour-Terrain besetzt – und die Oppositionspartei in eine Krise gestürzt, in der sich selbst die loyalsten Labour-Leute der Kompetenz ihres Vorsitzenden und des eingeschlagenen Kurses nicht mehr sicher sind und sich die einzelnen Fraktionen erneut zu bekämpfen beginnen. Labour weiß derzeit schlicht nicht, wohin.

Aus dem Norden droht Johnson Ungemach

In der Tat droht Johnson von der „offiziellen“ Opposition Westminster fürs erste weniger Gefahr als von der neuen Herausforderung droben im „hohen Norden“. Immerhin haben sich bei den Wahlen zum schottischen Parlament die Befürworter eines neuen Unabhängigkeits-Referendums durchgesetzt. Zu diesem Referendum dürfte es zwar erst in ein oder zwei Jahren kommen. Aber dass es dazu kommt, ist nun auch Johnson klar.

Denn ein Veto durch „die Zentrale“ wäre zwecklos. Das würde Schottlands Separatisten nur mehr Anhänger zuführen. Und schon jetzt neigt die Hälfte der Schotten der Trennung von England zu.

Ohne Chancen Labours, Johnson in nächster Zeit aus der Macht zu drängen, dürfte das Verlangen vieler Schotten wachsen, über ihre eigenen Geschicke bestimmen zu können, ohne sich ihre Zukunft von den „englischen Tories“ diktieren zu lassen. Eine bittere Schlacht um den weiteren Zusammenhalt des Vereinigten Königreichs kündigt sich hier an.