In den fünf Jahren seiner Amtszeit ist Frankreichs Präsident Emmanuel Macron Napoleon immer ähnlicher geworden. Nicht nur, dass er seinen leichten Ansatz von Geheimratsecken versteckt, indem er wie der Korse sein Schläfenhaar nach vorne kämmt. Macron weckt, wie einst und immer noch Napoleon, ähnliche Passionen, er wird entweder mit Hingabe gehasst oder mit derselben Energie zum Gestalter Frankreichs verklärt. Bereits Macrons offizielles Amtsfoto, das ihn rücklings auf seinen Schreibtisch gestützt zeigt, darf man als Referenz auf das Gemälde „Napoleon in seinem Arbeitszimmer“ von Jacques-Louis David verstehen. Bräuchte es weitere Indizien dafür, dass Frankreichs Präsident keine Berührungsängste mit Napoleon hat, muss man sich nur an den pompösen Staatsbesuch von US-Präsident Donald Trump am 14. Juli 2017 in Paris erinnern: Macron führte Trump an Napoleons Grab, ein absolutes No-Go, seit Hitler im Juni 1940 bei seinem zweistündigen Blitzbesuch in Paris vor dem Sarkophag im Pariser Invalidendom niederkniete. Der Ort war tabu für Staatsbesuche.

Heute, am 200. Todestag Napoleons, wird Macron genau dort eine Rede halten und einen Kranz ablegen. Ein Drahtseilakt. Der linke Abgeordnete Alexis Corbière ist dagegen und bezeichnet Napoleon als „Totengräber der Republik“. Napoleon hatte die Sklaverei auf den Antillen wiedereingeführt, acht Jahre nach ihrer Abschaffung.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat gegenüber Napoleon keine Berührungsängste
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat gegenüber Napoleon keine Berührungsängste © AFP

Andere verweisen darauf, dass Frankreich sein modernes Gesicht Napoleon verdankt. Code civil, Banque de France, Religionsfreiheit, Erziehungssystem? Alles unbestreitbar Napoleon. Selbst die Pariser Stadtlandschaft hat der selbstgekrönte Kaiser geprägt. Ohne ihn kein Triumphbogen, keine Nationalversammlung, keine Rue de Rivoli, keine Île de la Cité, wie man sie heute kennt. Auch das ist ein ambivalentes Erbe, denn man kann von Glück sagen, dass Napoleon seinen städtebaulichen Größenwahn nicht bis zum Schluss ausleben durfte.

Darf man seiner noch gedenken?

Macrons Vorgänger haben seit 50 Jahren vermieden, den umstrittenen Korsen zu ehren.Georges Pompidou war tatsächlich der Letzte, der es 1969 mit Enthusiasmus tat. 2005 hätte Jacques Chirac der Schlacht von Austerlitz gedenken können, aber blieb den Feierlichkeiten fern. Wenige Monate zuvor hatten Frankreichs Vorstädte gebrannt. Junge Männer, diskriminiert und sozial abgehängt, die späten Erben der Kolonialgeschichte, waren auf die Barrikaden gegangen. Die offizielle Feier Napoleons hätte Öl in ein Feuer gegossen, das noch nicht ganz erloschen war.

In der Debatte, die zu Napoleons 200. Todestag entbrannt ist, fragt „Le Monde“: „War Napoleon rechts oder links?“, eine berechtigte Frage. Sowohl als auch, lautet die komplexe Antwort, die auch als Erklärung für die Napoleon-Anziehung von Macron dienen muss, der das französische Parteiensystem 2017 mit der Parole „weder rechts noch links“ gesprengt hat.

„Napoleon gibt uns bis heute ein Rätsel auf“, sagt Émilie Robbe, Kommissarin einer der zahlreichen, zurzeit geschlossenen Ausstellungen über Napoleon. Angeblich erscheint auf der Welt pro Tag ein Buch, das dem Korsen gewidmet ist. „Toujours lui. Lui partout“, hatte der Dichter Victor Hugo genörgelt. Immer er. „Toujours lui. Immer er!“, rief auch Heinrich Heine aus seiner Pariser Matratzengruft, als er hörte, dass die Überreste Napoleons von der Insel St. Helena nach Paris überführt werden sollen. Das Rätsel Napoleon spiegelt sich auch in den Preisen, die Napoleon-Memorabilien auf Versteigerungen erzielen. Der Hut, den er in Waterloo trug? Ein Sammler aus Korea hat dafür knapp zwei Millionen Euro bezahlt.

Rassist und Frauenfeind

In Zeiten der Cancel Culture, da überall die Statuen von ihren Sockeln gestürzt werden, drängt sich die Frage auf: Darf man Napoleons noch gedenken? Nein, behauptet die Historikerin Marlene L. Daut. Er sei ein frauenfeindlicher Rassist gewesen, der größte Despot aller Zeiten, Symbol der White Supremacy, der weißen Vorherrschaft, schreibt die Spezialistin für französische Kolonialgeschichte mit familiären Wurzeln in Haiti. Es sei für sie irritierend, mitansehen zu müssen, notiert sie in der „New York Times“, wie Frankreich den „Erfinder des modernen Völkermords“ feiert, dessen „Soldaten Gaskammern gebaut haben, in denen meine Vorfahren ermordet wurden“.

Gedenken sei nicht feiern, argumentieren die Berater Macrons. Der Präsident werde der Geschichte „ins Gesicht blicken“. Es gehe weder um „Hagiographie noch um Verleugnung noch um Buße“, war aus dem Élysée zu hören.

Wird heute abgehängt: Kopie des Skeletts von Napoleons Hengst Marengo vom Künstler Pascal Convert
Wird heute abgehängt: Kopie des Skeletts von Napoleons Hengst Marengo vom Künstler Pascal Convert © Photo ©Paris, musée de l'Armée, Anne-Sylvaine Marre-Noël

Das Skelett von Marengo

Das Skelett von Marengo, Napoleons Lieblingshengst, benannt nach der siegreichen Schlacht in der gleichnamigen italienischen Stadt, wird jedenfalls nicht über dem Sarkophag schweben, wenn Macron versucht, die Franzosen mit ihrer Geschichte zu versöhnen. „Memento Marengo“, die Installation des Künstlers Pascal Convert, musste für die Zeremonie abgehängt werden. Obwohl oder weil es sich nicht um das Originalskelett des Hengstes handelt, das man im Royal Army Museum in London bewundern kann, sondern lediglich um eine 3D-Kopie, hat auch diese Installation für Debatten gesorgt. „Sie sind verrückt geworden“, empört sich Napoleon-Experte Thierry Lentz. Andere sprachen von Grabschändung. Dabei handele es sich doch nur um ein modernes „Vanitas-Motiv“, sagt Ariane James-Sarazin, Vizedirektorin des Musée de L’Armée. Ein Symbol für die Eitelkeit der Welt und ihre Vergänglichkeit.
„Frankreich hat ein schwieriges Verhältnis zu seiner Geschichte“, sagt Convert, der Künstler, der sich mit seinen Arbeiten an dieser gerne reibt. „Der 200. Todestag von Napoleon weckt schlafende Gespenster einer zwischen Napoleons Schmeichlern und entschiedenen Gegnern geteilten Nation. Dreh- und Angelpunkt dieses Konflikts ist 1802 die Wiedereinführung der Sklaverei durch Napoleon Bonaparte, unauslöschlicher Fleck seines Aufstiegs – und seines Sturzes.“