"Reden an die Nation" hat Wladimir Putin in seinen 20 Jahren an der Macht schon viele gehalten. Die heutige wurde dennoch mit Spannung erwartet: Innenpolitisch steht das Riesenreich nicht zuletzt wegen der weltweiten Pandemie unter Druck. Außenpolitisch ist die Lage derzeit äußerst heikel. Zum Einstieg widmete sich der Kreml-Chef ganz dem Thema Corona: "Lassen Sie sich bitte impfen", erklärte Putin vor hunderten Vertretern der politischen Elite des Landes. Die Impfskepsis ist in Russland groß. Zugleich gibt es immer wieder Berichte, wonach es außerhalb Moskaus an Impfstoff fehle.

Truppen-Aufmarsch

Außenpolitisch drohte Putin dem Westen vor "Einmischung in russische Angelegenheiten". Sollte es jemand "wagen, Russland zu bedrohen, würde er dies bald bedauern". Russland werde "asymmetrisch, rasch und hart" zurückschlagen, erklärte der Kreml-Chef. Grundsätzlich sei Moskau aber zum Dialog bereit. Auf welche Bedrohung genau er sich bezog, präzisierte Putin nicht. Vermuten kann man, dass er Überlegungen der Regierung in Kiew meint, die Ukraine solle angesichts der russischen Bedrohung der Nato beitreten. Zudem wurden in der Ukraine kürzlich drei pro-russische Propaganda-Sender geschlossen. Putin sprach von andauernden und grundlosen unfreundlichen Handlungen gegen Russland, die bis in den Sport hinein reichten. 

Russland hat seine Truppenpräsenz entlang der Grenze zur Ukraine in den letzten Wochen massiv verstärkt; in Kiew und auch bei der Nato herrscht große Sorge, dass der Konflikt erneut eskalieren könnte. Nach Erkenntnissen der EU hat Russland mittlerweile mehr als 100.000 Soldaten an der Grenze und auf der annektierten Halbinsel Krim stationiert. Dies sei "der größte russische Militäraufmarsch an ukrainischen Grenzen, den es je gab", sagte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell am Montag. Damit sei "das Risiko einer weiteren Eskalation offensichtlich".

Kriegsschiffe

Ende der Vorwoche sorgten zudem Berichte für Unruhe, wonach  Russland im Schwarzen Meer ein Manöver abhalten und dafür bis zum 31. Oktober bestimmte Seegebiete absperren will. Ein ranghoher EU-Beamter sprach am Freitag von einer "äußerst besorgniserregenden Entwicklung". Es sei davon auszugehen, dass die im Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen verankerten Durchfahrtsrechte eingeschränkt und die internationale Schifffahrt behindert werde. Nato-Mitglied Großbritannien wird der "Sunday Times" zufolge im Mai zwei Kriegsschiffe ins Schwarze Meer entsenden. Damit wolle das Land seine Solidarität mit der Ukraine und seinen NATO-Verbündeten demonstrieren.

Seit knapp sieben Jahren werden Teile der Ost-Ukraine entlang der russischen Grenze - die Gebiete Luhansk und Donezk - von moskautreuen Separatisten kontrolliert. Mehr als 13.000 Menschen wurden UN-Schätzungen zufolge in dem Konflikt bereits getötet.

Einschätzen lässt sich die Lage nur schwer. Die Regierung in Moskau weist die Vorwürfe, es bereite mit dem Truppenaufmarsch eine Invasion vor, kategorisch zurück. Verteidigungsminister Sergej Schoigu erklärte, bei der Verlegung Tausender Soldaten handle es sich um eine "Übung". In Kiew dagegen fühlt man sich bedroht und sieht in dem Truppenaufmarsch eine Kriegsgefahr. Nur zu gut erinnert man sich dort an die "grünen Männchen" - Soldaten ohne Abzeichen - die 2014 auf der Krim einmarschiert waren. Zugleich hat US-Präsident Joe Biden, der sich hinter die Ukraine stellte, die Lage kürzlich auch entspannt, indem er den russischen Präsidenten Wladimir Putin zu einem Gipfel-Treffen einlud. Eine Antwort dazu aus Moskau ist aber weiter ausständig. Experten gehen davon aus, dass es Putin, der mit mäßigen Umfragewerten kämpft und in Washington jetzt wieder ein selbstbewusstes Gegenüber hat,  vor allem um eine Drohgebärde und Abschreckung gehen könnte - dass der Preis einer militärischen Offensive hoch wäre, ist offensichtlich.

Russische Agenten

Zugleich wird die Liste der Probleme zwischen dem Westen und Russland immer länger: Am Sonntag wies Tschechien 18 russische Botschaftsmitarbeiter aus, weil sie als Agenten russischer Geheimdienste identifiziert worden seien. Prag wirft Moskau vor, in die Explosion eines Munitionslagers im Jahr 2014 verwickelt gewesen zu sein. Dabei kamen auch zwei tschechische Bürger ums Leben. Zwei der Tatverdächtigen werden auch im Zusammenhang mit dem Nervengift-Anschlag auf den früheren Doppelspion Sergej Skripal in Großbritannien gesucht.

Russland bestreitet eine Verwicklung in die Explosion und wies seinerseits 20 tschechische Diplomaten aus.

Einmischung

Und die USA wiederum haben kürzlich neue Sanktionen gegen Moskau verhängt - als Strafmaßnahme wegen der mutmaßlichen - und erneuten - Einmischung Russlands in den US-Wahlkampf. Und nicht zuletzt geht es auch um den Gesundheitszustand des inhaftierten, russischen Regimekritikers Alexej Nawalny, der sich seit mehr als zwei Wochen in einem Hungerstreik befindet, um eine Behandlung durch seine Vertrauensärzte zu erzwingen, nachdem er in der Haft Lähmungserscheinungen in den Beinen entwickelte - Ursache ungeklärt. Die USA drohten der russischen Regierung mit "ernsten Konsequenzen", sollte Nawalny im Straflager ums Leben kommen. Auf Nawalny war vorigen Sommer in Russland ein Anschlag mit Nowitschok verübt worden. Moskau wiederum sieht eine "Einmischung in seine internen Angelegenheiten"; auch dass Joe Biden in einem Interview bestätigte, er halte Putin für einen "Killer", sorgte für Verstimmung.

"Extrem besorgt"

Insgesamt zeige sich eine Gesamtgemengelage, die leider bestätige, "dass wir einen russischen Partner haben, dem es offensichtlich kein Anliegen ist, mit uns einen modus vivendi zu finden, der tragfähig ist", sagte dazu kürzlich Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg. Man sei "extrem besorgt" über den Bruch der Waffenruhe an der Kontaktlinie in der Ostukraine und über die russischen Truppenbewegungen entlang der Grenze und auf der Krim, so Schallenberg weiter. "Das ist ein gefährliches Spiel mit dem Feuer, jeder falsche Schritt könnte einen Sturz ins Unglück zur Folge haben."