"Wer von Grenzverschiebungen am Balkan spricht, sollte sich die über ganz Europa verstreuten Soldatenfriedhöfe ansehen. Niemand soll die völkische Büchse der Pandora öffnen dürfen. Lasst sie zu!“ Mit drastischen Worten warnt der Hohe Repräsentant von Bosnien-Herzegowina, Valentin Inzko, im Gespräch mit der Kleinen Zeitung vor der Zerschlagung Bosniens.

Doch genau dieses Szenario sieht ein von der slowenischen Plattform „Necenzurirano“ enthülltes informelles Papier vor, das aus der Feder des slowenischen Ministerpräsidenten Janez Jansa stammen soll und – angeblich schon vor Wochen EU-Ratspräsident Charles Michel übermittelt – seit Tagen die Staatskanzleien in Südosteuropa in helle Aufregung und Aufruhr versetzt.

Ziel des „Non-Papers“, wie im diplomatischen Jargon der EU zur Abtestung der allgemeinen Akzeptanz von Vorschlägen informell vorgelegte, vertrauliche Schriftstücke ohne Briefkopf genannt werden, ist die Neuordnung des Westbalkans nach ethnischen Kriterien. Konkret sollen große Teile der Republika Srpska an Serbien angegliedert, der Kosovo mit Albanien vereinigt und den kroatischen Kantonen in Bosnien-Herzegowina nach dem Modell Südtirols weitgehende Autonomie oder aber gleich der Zusammenschluss mit Kroatien gewährt werden.

Warnt vor den Folgen: Valentin Inzko
Warnt vor den Folgen: Valentin Inzko © AP

Auf der Strecke würden die bosnischen Muslime bleiben, immerhin die Hälfte der über drei Millionen Einwohner des Landes. Ihr künftiger bosniakischer Rumpfstaat wäre in Abwandlung des berühmten 1918 auf Österreich gemünzten Diktums von Georges Clemenceau „das, was übrig bleibt“. Gönnerhaft wird ihnen in dem Papier, das dem Vernehmen nach auch in Budapest verfasst worden sein könnte, aber zugestanden, in einer Volksabstimmung zwischen „einer EU- und einer Nicht-EU- oder Türkei-Zukunft“ wählen zu können.

Gewaltige Grenzverschiebungen

„Das ist kein Sturm im Wasserglas.“ Solche „gewaltigen Grenzverschiebungen“ hätten aller Wahrscheinlichkeit unheilvolle Folgen, sagt Inzko. Für ihn als Hohen Repräsentanten sei „die Situation kristallklar: Eine Trennung oder ein Ausscheiden aus dem Staat Bosnien und Herzegowina ist nicht möglich. Ich würde so etwas niemals unterschreiben. Bosnien und Herzegowina braucht einen langfristigen Ansatz, es braucht Zeit, um sich vom Krieg und den hunderttausend Toten zu erholen. Es gibt viele kleine Nelson Mandelas – wie den Moslem Hasan Ahmetlic, aus Tesanj, der eine katholische Kirche auf eigene Kosten restauriert hat.“

Auch Außenminister Alexander Schallenberg erteilt dem Plan eine Absage. „Die territoriale Integrität Bosnien-Herzegowinas steht für Österreich unter keinen Umständen zur Disposition.“

Tatsächlich ist es völlig ausgeschlossen, dass die EU einer Zerstörung der Nachkriegsordnung im ehemaligen Jugoslawien zustimmt. Schließlich hat die von ihr nach dem Zerfall des Vielvölkerstaats Anfang der 1990er-Jahre eingesetzte Badinter-Schiedskommission die bestehenden inneren administrativen Grenzen der jugoslawischen Teilrepubliken als neue Staatsgrenzen bestätigt.

Brisant ist der Vorstoß aber allemal. Slowenien übernimmt im Juli den rotierenden EU-Ratsvorsitz und hat sich „neues Augenmerk auf die Länder des westlichen Balkans“ ins Programm geschrieben. In Brüssel kommt das Non-Paper daher einer heißen Kartoffel gleich: Auf drängende Journalistenfragen bestätigte ein Pressesprecher des Rates zunächst, ein Schreiben erhalten zu haben – eine Viertelstunde später kam das Dementi des Chefsprechers. Seither herrscht ohrenbetäubendes Schweigen im Ratsgebäude. Die Kommission ließ immerhin verlauten, man habe das Papier nicht bekommen.