Appelle zu mehr Toleranz und Einheit gehören zu jedem Papstbesuch – doch im Irak waren die Botschaften von Franziskus besonders eindringlich. Als erster Papst besuchte der 84-Jährige ein Land, das mit biblischen Stätten wie Ur und Babylon und Zentren des schiitischen Islams wie Nadschaf für ein religiöses Miteinander stehen könnte, aber seit fast 20 Jahren von religiös motivierter Gewalt erschüttert wird.

Franziskus verkündete seine Botschaft der Versöhnung beim Treffen mit dem wichtigsten schiitischen Glaubensführer, Großajatollah Ali al-Sistani, und bei der Zusammenkunft mit leidgeprüften Christen, die noch vor wenigen Jahren unter der Schreckensherrschaft des „Islamischen Staates“ lebten. Er traf den richtigen Ton und machte so den Besuch zum Erfolg. Der Irak dürfte sich aufgewertet sehen – auch im komplizierten Verhältnis zum großen Nachbarn Iran.

Zerstörte Kirchen, traumatisierte Menschen: Franziskus wurde im Zweistromland mit den Folgen der IS-Schreckensherrschaft konfrontiert. Er sprach seinen Glaubensgenossen Mut zu und rief sie auf, nicht aufzugeben. In Mossul, wo der IS 2014 sein Kalifat ausrief, betete das Oberhaupt der katholischen Kirche vor zerstörten Gebäuden am Platz der Kirchen. In Karakosch, dem traditionellen Zentrum der Christen im Irak, sagte er, die Überreste der „zerstörerischen Kraft der Gewalt und des Krieges“ sollten nicht darüber hinwegtäuschen, „dass Terrorismus und der Tod niemals das letzte Wort haben“. Unter Beifall rief er der Gemeinde in Karakosch zu: „Ihr seid nicht allein. Gebt nicht auf, lasst die Hoffnung nicht fahren.“

Mit seinem Besuch, der wegen der anhaltenden Gewalt im Irak und wegen der Corona-Pandemie umstritten war, wollte der Papst dazu beitragen, den Exodus der Christen aus dem Irak zu stoppen. Von den ehemals 1,5 Millionen Christen im Land zwischen Euphrat und Tigris sind nur noch etwa 300.000 übrig. Weil das Christentum im Nahen Osten auf dem Rückzug ist, wollte der Papst retten, was zu retten ist. Immer wieder betonte er, dass es eine Zukunft für die irakischen Christen gebe. Während seiner Reise habe er viel von Leid und Verlust gehört, sagte Franziskus zum Abschied – „aber auch Stimmen der Hoffnung und des Trostes“.

Dialog mit dem Islam

Zusammen mit Ali al-Sistani wandte sich der Papst gegen die Gewalt im Namen der Religion. Der 90-jährige Sistani lebt zurückgezogen, hat aber viel Macht über die schiitische Mehrheit im Irak: Sein Aufruf zum Kampf gegen den IS trug 2014 entscheidend dazu bei, den Vormarsch der Terrormiliz im Irak zu stoppen. Nun bekräftigte er die Rechte der Christen im überwiegend muslimischen Irak. Die Angst der Christen vor dem IS ist noch weitverbreitet, denn die Extremisten haben sich in jüngster Zeit mit Angriffen und Überfällen zurückgemeldet. Manche Christen klagen auch über Repressalien durch schiitische Milizen. Sistanis öffentliches Bekenntnis zur Glaubensfreiheit der Christen könnte ihnen helfen.

Nicht nur wegen des Schicksals der Christen und des christlich-muslimischen Dialogs war das Gespräch mit dem Großajatollah wichtig. Auch für das Verhältnis zwischen dem Irak und dem Iran gingen davon bedeutsame Signale aus: Sistani ist ein Rivale der iranischen Mullahs, die das Modell der politischen Herrschaft der Geistlichkeit propagieren. Dagegen tritt Sistani für die Trennung von Religion und Staat ein.

Der irakische Premier Mustafa al-Kadhimi kann sich ebenfalls zu den Gewinnern des Besuches zählen. Seine Regierung hat bewiesen, dass der Irak – ein Land, das vielen vor allem durch Krieg und Gewalt bekannt ist – ein so wichtiges Ereignis wie einen Papstbesuch sicher und mit Botschaften des Friedens über die Bühne bringen kann. Der Premier dürfte den Erfolg nutzen, um aktiver auf der internationalen Bühne aufzutreten, sagt die Nahost-Nachrichtenplattform Amwaj voraus.

Kritik am Papstbesuch

Getrübt wird die Bilanz jedoch durch die Frage, ob der Papstbesuch mit Massenveranstaltungen wie der Freiluftmesse im nordirakischen Erbil zum Corona-Superspreader wurde. Immerhin besuchte Franziskus ein Land, in dem sich die Zahl der täglichen Neuinfektionen innerhalb weniger Wochen fast verdreifacht hat und dessen Gesundheitssystem schon in normalen Zeiten unter Ärzte- und Medikamentenmangel leidet. Er habe die Christen im Irak nicht enttäuschen wollen, sagte der Papst. Doch wenn die Pandemie im Irak jetzt außer Kontrolle geraten sollte, gibt es genügend Kritiker, die ihm die Schuld daran geben werden.