Der Nordirland-Konflikt droht wegen des eskalierenden Streits über die Brexit-Folgen wiederaufzuflammen. Pro-britische Milizen erklärten in einem Schreiben an Premierminister Boris Johnson, aus dem der "Belfast Telegraph" am Donnerstag zitierte, ihre Unterstützung für das Karfreitags-Friedensabkommen von 1998 aufgrund von Bedenken an den Sonderregelungen für Nordirland nach dem britischen EU-Ausstieg einstweilen auszusetzen.

Sie forderten Änderungen an dem Nordirland-Protokoll im Brexit-Abkommen, um einen ungehinderten Handel zwischen Großbritannien und Nordirland zu gewährleisten. Zwar sicherten die Unionisten-Gruppen wie die Ulster Volunteer Force, die Ulster Defence Association und das Red Hand Commando zu, ihren Widerstand auf "friedliche und demokratische" Weise vorzubringen. Diese Warnung erhöht aber den Druck auf Johnson, den irischen Regierungschef Micheal Martin und die EU, sich zu einigen.

Der Streit über die Nordirland-Regelung zwischen Großbritannien und der Europäischen Union hatte sich am Mittwoch verschärft: Die Regierung in London kündigte an, Zollerleichterungen für Agrar- und Lebensmitteltransporte in die britische Provinz einseitig bis zum 1. Oktober zu verlängern. Diese Ausnahmeregelung zur Vermeidung von Lieferengpässen ist im Brexit-Deal bis Ende März befristet. Gespräche zwischen beiden Seiten über eine Verlängerung brachten bisher kein Ergebnis.

Die EU verurteilte das britische Vorgehen als Verletzung des Nordirland-Protokolls und drohte mit rechtlichen Schritten. Ein Gespräch von EU-Kommissionsvizepräsident Maros Sefcovic mit dem britischen Brexit-Beauftragten David Frost habe keine Annäherung gebracht, sagte ein Kommissionssprecher am Donnerstag. "Wir prüfen nun die nächsten Schritte." Rechtliches Instrument wäre das im Brexit-Vertrag vorgesehene Schlichtungsverfahren. Der irische Außenminister Simon Coveney sagte dem Sender RTE am Donnerstag, das Verhalten der britischen Regierung zeige, dass man ihr "einfach nicht trauen kann, und das ist nicht das erste Mal, dass dies passiert ist".

Den Frieden zwischen pro-britischen Unionisten und pro-irischen Nationalisten zu wahren, ohne dem Vereinigten Königreich eine Hintertür in den EU-Binnenmarkt zu gewähren und eine harte Grenze zu schaffen, war eine der schwierigsten Aufgaben in den Brexit-Verhandlungen.