Die Corona-Krise bringt viele neue Worte hervor. Eines davon: die "Impf-Gerechtigkeit". Damit ist es nämlich gerade zwischen den reichen Ländern des Nordens und den ärmeren vor allem im Süden des Globus nicht weit her. In den allermeisten Entwicklungsländern ist bisher keine einzige Dosis Impfstoff angekommen. Wie die renommierte Medizinzeitschrift "The Lancet" kürzlich berichtete, haben sich reiche Industrieländer 70 Prozent der 2021 voraussichtlich verfügbaren Impfstoffe gesichert - mindestens 4,2 Milliarden Dosen. In diesen Staaten leben aber nur 16 Prozent der globalen Bevölkerung.

Die Hilfsorganisation Oxfam warnte, dass 2021 in 70 armen Ländern nur jeder Zehnte geimpft werden könne. Bisher fänden nur 0,5 Prozent der Impfungen in den ärmsten Ländern statt. Dabei weisen Experten darauf hin, dass das Problem auch fatale Folgen für Europa und andere reiche Länder haben könnte: Eine Pandemie ist nur dann zu Ende, wenn sie überall zu Ende ist. "Andernfalls kommt das Virus im nächsten Flieger zurück, vielleicht noch gefährlicher", mahnte auch der deutsche Entwicklungsminister Gerd Müller.  Und so lange die Pandemie nicht im Griff ist, ist auch mit Virus-Mutationen zu rechnen, warnten Vertreter der UNO.

Preis-Ungerechtigkeit

Verschlimmert wird die Lage durch ungleiche Preise: Während die EU für eine Astra Zeneca-Impfdosis 1,78 Euro zahlt, muss Uganda für eine Dosis 7 Dollar, also umgerechnet 5,80 Euro hinlegen. "Wir erkennen an, dass dies die Realität globaler Märkte ist", sagte WHO-Afrika-Chefin Matshidiso Moeti. "Es ist bedauerlich, dass es ärmere Länder gibt, die mehr zahlen als reiche Länder."

Immerhin schaffte es das Thema auf die Agenda des G-7 Treffens vorige Woche: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron setzte sich dafür ein, dass reiche Länder vier bis fünf Prozent ihrer Impfdosen möglichst schnell an ärmere Länder abgeben. Er schlug zudem vor, dass Europäer und Amerikaner so schnell wie möglich 13 Millionen Impfdosen für afrikanisches Pflegepersonal liefern. Der britische Premier Boris Johnson kündigte ebenfalls die großzügige Abgabe von Impfstoffen an - allerdings erst, wenn die Briten geimpft sind. 

Dabei gibt es durchaus Lösungsansätze: Die von der Weltgesundheitsorganisation und der Impfallianz Gavi gegründete Covax-Initiative soll dafür sorgen, dass auch Länder mit kleinen und mittleren Einkommen mit Corona-Impfstoffen versorgt werden, die sich diese sonst nicht leisten können. Doch bisher läuft sie nur langsam an und braucht dringend zusätzliche Impfdosen.

Die Initiative will nach eigenen Angaben in diesem Jahr knapp zwei Milliarden Dosen liefern. Gemeinsam mit den bilateralen Beiträgen der EU-Mitgliedstaaten über Team Europe werden der Covax-Initiative laut Außenministerium in Wien insgesamt 2,2 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt, 2,4 Millionen Euro davon aus Österreich.

Mit einiger Verzögerung ist nun aber zumindest der Start gelungen: Als erstes Land der Welt hat das westafrikanische Ghana am Mittwoch Corona-Impfdosen von der internationalen Covax-Initiative erhalten, und zwar 600.000 Dosen des AstraZeneca-Wirkstoffs. Die UNO sprach angesichts des Tauziehens von einem "monumentalen Ereignis".

Doch das Verteilungsproblem selbst kann auch Covax nicht lösen. Gerd Müller fordert, "auch Produktionskapazitäten in Entwicklungsländern aufzubauen - durch Lizenzproduktion und Technologietransfers". Gegen Vorschläge von armen Ländern, den Patentschutz auf die Vakzine während der Pandemie aufzuheben, legen sich westliche Staaten quer.

Retter in der "Impf-Not"

Und noch ein anderes Corona-Wort macht in diesem Zusammenhang Schlagzeilen: die "Impfdiplomatie". Diese wird derzeit vor allem Russland und China nachgesagt, die ihre eigenen Impfstoffe derzeit an alle Welt verschenken oder verkaufen - nicht immer aus ganz uneigennützigen Gründen.

So begann am Mittwoch Ungarn als bisher einziges EU-Land mit der Verabreichung des chinesischen Impfstoffs von Sinopharm. In den nächsten sieben Tagen sollen 275.000 Menschen mit dem Mittel geimpft werden - das in der EU noch gar nicht zugelassen ist. Angesichts des Mangels an westlichen Impfstoffen setzt der rechtsnationale Ministerpräsident Viktor Orban verstärkt auf die russischen und chinesischen Produkte. In Ungarn erhielten sie eine Notzulassung, zum Teil ohne eigene substanzielle Überprüfung. Serbien wiederum, seit Längerem Zankapfel im geopolitischen Tauziehen zwischen Ost und West, wird derzeit mit russischem "Sputnik V" sowie dem chinesischen Vakzin beliefert - Versprechungen aus der EU hätten sich nicht erfüllt, heißt es in Belgrad. „Die Reichen und die Reichsten retten nur sich selbst und ihre Lieben“, erklärte Staatspräsident Alexander Vucic. Israel wiederum lieferte Tschechien am Donnerstag 5000 Impfdosen von "Moderna" - als "symbolisches Geschenk", wie es heißt, "für die diplomatische Unterstützung des jüdischen Staates". 

Notzulassung

In manchen Entwicklungsländern, vor allem in Afrika, sind die chinesischen Vakzine bereits die wichtigste Säule der Impfbemühungen. Die ersten drei Länder in Afrika, die chinesischen Impfstoff bekamen, waren laut der amtlichen Nachrichtenagentur Xinhua Zimbabwe, Sierra Leone and Äquatorial-Guinea. Oftmals - wie etwa kürzlich in Argentinien - wurden Chinas Impfstoffe mit Notzulassungen genehmigt, da die Länder keine Zeit mit den langwierigen Testreihen verlieren wollten. Verübeln kann man es den Empfängerländern nicht: Der Impfstoff wird zweifelsohne dringend benötigt.

Für Erstaunen sorgte, dass China offenbar mehr Impfstoff ausführt, als es zuhause selbst verimpft. Auch aus Russland wird eine ähnliche Situation berichtet: In Moskau sind nach städtischen Angaben erst etwa 400.000 Bürger geimpft – von rund 13 Millionen. Zugleich wird "Sputnik V" zum Exportschlager; russische Staatsmedien feiern jedes neue Land, das auf "Sputnik" setzt, als habe man erneut den Weltraum erobert.

Impfstoff bei Gefangenen-Austausch

Wie heiß begehrt der "Stoff" mittlerweile ist, zeigt auch ein Beispiel aus Syrien: Bei einem Gefangenenaustausch zwischen Syrien und Israel übernahm Tel Aviv als Gegenleistung auch die Rechnung für eine "Sputnik V"-Lieferung an die Syrer.