Die EU hat im Zuge der Verurteilungen Alexej Nawalnys wie berichtet neue Sanktionen gegen Russland auf den Weg gebracht. Konkret heißt das:

  • Die Strafmaßnahmen sollen Vermögenssperren und EU-Einreiseverbote gegen Verantwortliche für die Inhaftierung Nawalnys umfassen und in den nächsten Wochen in Kraft treten.

Wegen des Giftanschlags auf Kreml-Kritiker Nawalny, der danach in Deutschland behandelt wurde, verhängte die EU bereits im vergangenen Jahr Einreise- und Vermögenssperren gegen mutmaßliche Verantwortliche aus dem Umfeld von Präsident Wladimir Putin. 

Aber was bringen diese Sanktionen wirklich?

Die Liste der von der EU sanktionierten Staaten und Personen ist öffentlich auf der Webpage der EU einsehbar. Die Hauptgründe für aktuelle Sanktionen sind 

  • Annexion von Gebieten,
  • Menschenrechtsverletzungen,
  • Gefahr von Atomwaffen

Die Europäische Union verhängt entweder eigene Sanktionen oder setzt Strafmaßnahmen um, die von den Vereinten Nationen vorgegeben werden. Es gibt Waffenembargos gegen Staaten wie Nordkorea, Iran oder Libyen. Die Liste der sanktionierten Personen, die Al-Kaida angehören, ist die längste im EU-Sanktionsregime.

Diverse Sanktionen sind auch gegen afrikanische Staaten wie Somalia, Mali, Kongo, Simbabwe oder Sudan in Kraft. Venezuela, Nicaragua, Iran, Irak, Pakistan und Afghanistan sind ebenfalls betroffen.

In Europa stehen Russland, die Ukraine, Weißrussland, Bosnien-Herzegowina sowie die Türkei auf der Sanktionsliste.

Ob die Sanktionen der EU gegen Russland zahnlos oder wirksam sind, haben wir den Innsbrucker Politologen Gerhard Mangott gefragt.

Politologe Gerhard Mangott ist Professor für Internationale Beziehungen an der Universität Innsbruck mit dem Schwerpunkt Osteuropa- und Russland

Haben Sanktionen der EU jemals wirklich etwas gebracht? Fallen Ihnen dazu Beispiele ein?

Gerhard Mangott: Es gibt nicht viele Beispiele, in denen die Sanktionen der EU tatsächlich den gewünschten Erfolg hatten. Das wichtigste Beispiel einer erfolgreichen Sanktionsgebung sind die Sanktionen gegen den Iran, um die Urananreicherung auszusetzen. Aber hier war die EU nicht auf sich allein gestellt: Die Sanktionen der EU fanden im Verbund mit den bilateralen Sanktionen der USA statt. Dazu kamen noch die multilateralen Sanktionen im Sicherheitsrat der UNO. Da war also die Sanktionsgebung fast universell. Und je mehr Staaten sich einer Sanktionspolitik anschließen, umso erfolgreicher wird sie.

Die EU alleine ist also zahnlos?

Mangott: Gegenüber großen Staaten, wie Russland, ist die EU in den Hauptbereichen, in denen Sanktionen wirken sollen -  also in der Verhaltensänderung -  nahezu wirkungslos. Bei kleineren Staaten können Sanktionen mehr bewirken. Handels- oder Finanzsanktionen gegenüber einem kleinen Staat. Aber dafür gibt es keine wirklich beeindruckenden Beispiele. Aus der Sanktionsforschung weiß man aber, dass Sanktionen bei Großmächten sehr viel weniger häufig wirken, als bei kleinen Staaten.

Die Sanktionen gegen den Iran hat die Bevölkerung am schwersten getroffen. Plötzlich fehlten Medikamente und Lebensmittel. Treffen Sanktionen in Wahrheit nicht immer die Ärmsten am meisten?

Mangott: Man spricht zwar in der EU und anderswo immer gern von smart sanctions, also gezielten Sanktionen, die auf die Elite zielen sollen, aber sobald wir den Bereich verlassen, in dem es Einreisesperren oder Kontosperren für bestimmte Personen oder Unternehmen gibt und zu Wirtschafts- und Finanzsanktionen übergehen, ist es überhaupt nicht zu verhindern, dass die Wirkung dieser Sanktionen vor allem die Bevölkerung trifft.

Also kann man die generelle Frage stellen, ob Sanktionen überhaupt je ihre Zielsetzung erfüllen und die Regime treffen?

Mangott: Vor allem, wenn man an die wichtigste Zielsetzung denkt, das Verhalten eines sanktionierten Staates zu ändern, denn dann sind Sanktionen nicht häufig erfolgreich. Das trifft bei Großmächten im Speziellen zu. Der sogenannte Verhaltenseffekt von Sanktionen wird meistens nicht erfüllt – Staaten ändern ihr innenpolitisches oder außenpolitisches Verhalten nicht, nur weil sie sanktioniert werden.

Was können Sanktionen dann leisten?

Mangott: Man spricht von einem Constrainment-Effekt: Dass man ein Land dermaßen schwächt, dass es zu einer aggressiven Außenpolitik nicht mehr fähig ist. Dann gibt es noch den sogenannten Bestrafungseffekt, also dass man einen Staat bestraft, ohne zu erwarten, damit das Verhalten zu ändern. Die bisherigen EU-Sanktionen haben Russland bisher nur rund 0,2 Prozent Wachstum jährlich gekostet. Und dann gibt es noch den Signaleffekt, dass man mit Sanktionen ein bestimmtes Verhalten missbilligt. Dieser Effekt ist meistens erfolgreich, aber es ist auch nur ein beschränkter Effekt.

Also Zähnefletschen, aber damit hat es sich?

Mangott: Natürlich könnte die EU auch harte Wirtschaftssanktionen gegen Russland verhängen, beispielsweise russische Bankgeschäfte in Euro zu verbieten oder russischen Gas-, Öl- und Kohleexport in die EU zu beschränken. Das würde Russland hart treffen, aber in all diesen Fällen würde sich die EU auch selbst stark schaden, denn ohne Öl, Gas oder Kohle aus Russland wird es in Europa nicht gehen, das ist kaum zu substituieren, die EU ist auf Russland angewiesen. Das sind dann schon die Grenzen von Wirtschafts- und Finanzsanktionen. Die sind selbstverständlich immer dann erfolgreicher, wenn die Wirkung für die sanktionsgebende Seite relativ gering ist.

Bei den Gegenreaktionen auf Sanktionen hat man noch die heimischen Apfelbauern in Erinnerung, die auf ihren Waren sitzenblieben.

Mangott: Russland hat auf die Wirtschafts- und Finanzsanktionen der EU ein Importverbot für nahezu alle landwirtschaftlichen Produkte verhängt. Das hat damals ein Handelsvolumen von elf Milliarden Euro betroffen. Russland hat versucht viele der Produkte im Land selbst herzustellen, man spricht hier von einer Importsubstitution.  Geschadet haben diese Sanktionen aber vor allem den Obst- und Gemüseproduzenten und da war Österreich beim Apfelexport stark betroffen. Aber über den Umweg über Serbien und Weißrussland kamen dann die Produkte doch auch nach Russland.