Putins stärkster Gegner, Alexej Nawalny, muss eine mehrjährige Haftstrafe im russischen Straflager antreten. Seine Anwälte scheiterten am Samstag vor einem Gericht in Moskau mit dem Versuch, ein zu Monatsbeginn verhängtes Urteil aufzuheben.

Das Gericht bestätigte Nawalnys Verurteilung zu dreieinhalb Jahren Straflager. Weil er gegen die Bewährungsauflagen in einem früheren Verfahren verstoßen hatte und sich in Moskau nicht gemeldet hatte - während er in Deutschland nach dem Anschlag mit dem Nervengift Nowitschok mit dem Tod rang. Nawalny bezeichnete den Vorwurf, er habe sich so vor der Justiz verstecken wollen, am Samstag einmal mehr als „absurd“. Nach der Urteilsverkündung konnte sich der Kreml-Kritiker im Gerichtssaal Zynismus nicht verkneifen: „Ich spreche so oft das letzte Wort. Jetzt geht dieser Prozess zu Ende - und es kommt der nächste. Und dort werde ich auch das letzte Wort haben. Falls sich jemand entschließen sollte, meine letzten Worte zu veröffentlichen: Es wird ein dickes Buch.“

Derzeit sitzt der 44-Jährige in einer Haftanstalt in Moskau. Vermutlich wird er bereits nächste Woche verlegt. Die tatsächliche Haftzeit im Straflager ist noch unklar. Nawalnys Anwälte gehen davon aus, dass ihm ein mehrmonatiger Hausarrest und frühere Haftzeiten angerechnet werden. Demnach könnte er nach zwei Jahren, sechs Monaten und zwei Wochen freikommen - Ende Juli oder Anfang August 2023.

Zweiter Prozess, gleicher Tag

Nur wenige Stunden nach dem gescheiterten Berufungsverfahren wurde am Samstag ein zweiter Prozess gegen Nawalny fortgesetzt. Wegen Beleidigung eines Weltkriegsveteranen wurde er zu einer Geldstrafe in Höhe von 850.000 Rubel (9.400 Euro) verurteilt. Das ist ungefähr das Doppelte eines Durchschnitts-Jahresgehalts in Russland. Die Verhandlung fand im selben Gerichtsgebäude statt wie das Berufungsverfahren am Vormittag. Sogar die Staatsanwältin sei dieselbe, twitterte Nawalnys Team: „Bald teilen sie ihm einen persönlichen Richter und persönliche Polizisten zu.“

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte forderte Russland vor Kurzem auf, Oppositionsführer Alexej Nawalny unverzüglich aus der Haft zu entlassen. Russland reagierte prompt. Es gebe „keine gesetzliche Grundlage“ für eine Freilassung, sagte der russische Justizminister Konstantin Tschujtschenko. Er kritisierte die „grobe Einmischung“ des Gerichts in die inneren Angelegenheiten seines Landes.

Politisch motivierte Anklagen gibt es seit ewigen Zeiten: Sokrates, Jesus, Nelson Mandela, Julia Timoschenko, Ai Weiwei, Liu Xiaobo, Aung San Suu Kyi, Alexei Nawalny oder der türkische Kunstmäzen Osman Kavala: Sie alle waren beziehungsweis sind Opfer einer politisch motivierten Rechtsprechung. Opfer des Umstands, dass das Recht ein formbares normatives Material ist, das von den jeweiligen Interessen, Umständen und Mächten abhängt.

In einem früheren Prozess hielt Alexej Nawalny eine eindrucksvolle Verteidigungsrede, die er direkt an Russlands Präsidenten Putin richtete, an seinen größten Feind: „Egal wie sehr er sich auch als großartiger Geopolitiker darstellen mag, so ist in Bezug auf mich seine schlimmste Kränkung nun, dass er in die Geschichte als Giftmörder eingehen wird. Es gab in Russland Alexander den Befreier. Oder Jaroslaw den Weisen. Und jetzt gibt es noch Wladimir den Unterhosenvergifter. Genau so wird er in die Geschichte eingehen. Euer Ehren.“