In seiner ersten Rede als italienischer Ministerpräsident hat Mario Draghi an das Verantwortungsgefühl der Parteien appelliert. „Einheit ist keine Option, sondern Pflicht“, sagte der 73-Jährige am Mittwoch im italienischen Senat. Dort wurde in der Nacht vom Mittwoch auf Donnerstag die erste Abstimmung über die neue Regierung abgehalten. Diese meisterte die Hürde mühelos. 262 von 304 Senatoren sprachen dem Kabinett Draghi I das Vertrauen aus, 40 stimmten dagegen, zwei Senatoren enthielten sich der Stimme.

Draghi appellierte an den „republikanischen Geist“ und kündigte einen „neuen Wiederaufbau“ an. Er habe sich oft gefragt, „ob unsere Generation für unsere Kinder das tut, was unsere Eltern und Großeltern für uns getan haben“. Jede Verschwendung öffentlicher Ressourcen heute sei ein Opfer, das den künftigen Generationen auferlegt werde.

Der ehemalige Chef der Europäischen Zentralbank bekannte sich ausdrücklich zur EU, dem Euro („irreversibel“) sowie der atlantischen Ausrichtung Italiens. Die von rechts-und linkspopulistischen Parteien getragenen Regierungen der vergangenen Jahre hatten diese Werte in Zweifel gezogen.

Schulen öffnen

Als erste konkrete Herausforderung nannte der am vergangenen Samstag angelobte Regierungschef die Corona-Pandemie, auf die mit einer raschen und effizienten Impfkampagne reagiert werden müsse. Zu ihrer Verwirklichung sollten künftig auch der Zivilschutz sowie das Militär herangezogen werden. „Wir müssen dafür sorgen, dass die Impfungen in allen möglichen Strukturen vorgenommen werden, öffentlichen wie privaten“, sagte Draghi. Zudem sei eine Reform des territorialen Gesundheitssystems notwendig. Draghi kündigte eine rasche Wiederöffnung der Schulen an. Es sei notwendig, die im vergangenen Jahr eingebüßten Stunden im Präsenzunterricht nachzuholen. Vor Tagen hieß es, der Regierungschef plane die außerordentliche Verlängerung des Schuljahres um einen Monat bis Ende Juli.

Als weitere Priorität seiner Regierung kündigte der ehemalige Chef der italienischen Notenbank an, Umweltschutz mit der Modernisierung Italiens zu verbinden und dafür die Hilfsgelder der EU einzusetzen. „Digitalisierung, Landwirtschaft, Gesundheit, Energie, Cloud Computing, Schule und Erziehung, Landschaftsschutz, Biodiversität, Erderwärmung und Treibhauseffekt sind verschiedene Aspekte einer vielfältigen Herausforderung, die das Ökosystem als ihr Zentrum hat“, sagte Draghi. Der Premier betonte, dass sich mehrere Sektoren deshalb im Hinblick auf ihre Nachhaltigkeit verändern müssten, etwa der Tourismus. „Aus der Pandemie zu kommen, bedeutet nicht einfach wieder das Licht einzuschalten.“

Auch in der Wirtschaft stünden Veränderungen an, erklärte der Ministerpräsident. Die Regierung müsse alle Arbeitnehmer schützen, es sei aber ein Fehler auch unterscheidungslos alle Wirtschaftsaktivitäten zu unterstützen. „Manche werden sich verändern müssen, auch radikal“, sagte Draghi. Die Entscheidung, welche Aktivitäten zu schützen und welche in ihrem Wandel zu begleiten sind, sei die schwierige Entscheidung der Wirtschaftspolitik.

Steuer- und Justizreform

Im Hinblick auf die für Italien von der Europäischen Union bereitgestellten Hilfsfonds in Höhe von rund 210 Milliarden Euro kündigte Draghi eine Steuer- sowie eine Justizreform und damit langfristige Projekte an. Die Hilfsgelder würden unter anderem für die Entwicklung erneuerbarer Energien, Hochgeschwindigkeitszugtrassen, den Ausbau eines E-Tankstellen-Netzes, Entwicklung der Wasserstofftechnologie, Digitalisierung und die 5 G-Technologie verwendet. Die Koordination der Fonds liege beim Wirtschafts- und Finanzministerium in Rom. Dort hat Draghi seinen Vertrauten, den ehemaligen Notenbanker Daniele Franco, nominiert.

Die Regierung von Mario Draghi wird in einer Großen Koalition von mehr als sechs Parteien getragen, die untereinander teilweise zerstritten waren und von extrem rechts bis ganz links reichen. Nach dem Scheitern der Vorgängerregierung unter Giuseppe Conte designierte Staatspräsident Sergio Mattarella Anfang Februar den früheren Chef der Europäischen Zentralbank zum Ministerpräsidenten.

Am Donnerstag war im Abgeordnetenhaus eine zweite Vertrauensabstimmung angesetzt. Da nur die postfaschistische Partei Fratelli d’Italia ihre Opposition ankündigte, wurde in beiden Kammern mit einer großen Mehrheit für Draghi gerechnet.