Noch in der Wahlnacht schickte Kataloniens neuer starker Mann eine Botschaft an Spaniens Regierung: „Es ist die Zeit gekommen, um sich zusammenzusetzen und zu sehen, wie wir den Konflikt lösen können.“ Zum ersten Mal hätten mehr als die Hälfte der Wähler für die Unabhängigkeitsbewegung gestimmt, rief Pere Aragonès seinen Anhängern in Barcelona zu. „Wir haben jetzt eine enorme Kraft, um ein Referendum durchzusetzen“. Ein Unabhängigkeitsreferendum, das nach seinen Vorstellungen mit Madrid ausgehandelt und in dem über die Abspaltung Kataloniens von Spanien entschieden werden soll.

Aragonès hat nach der Regionalwahl, die indirekt ein Plebiszit über die Unabhängigkeit war, die besten Chancen, Kataloniens neuer Ministerpräsident zu werden. Der 38-jährige Anwalt ist Spitzenmann der Partei Esquerra Republicana (Republikanische Linke), jene Bewegung, welche in diesem Wahlgang 21,3 Prozent erhielt und damit das katalanische Separatistenlager künftig anführt. Der bisherige Vize-Regierungschef hat den Ruf, ein besonnener Mann zu sein, der auf Diplomatie setzt und einseitige Schritte Richtung Unabhängigkeit ablehnt. Das lässt auf eine gewisse Entspannung in Katalonien hoffen.

Tiefer Graben im Unabhängigkeitslager

Doch bevor es Verhandlungen mit dem spanischen Staat geben kann, wird Aragonès den tiefen Graben im Unabhängigkeitslager zuschütten müssen, um eine Mehrparteien-Regierung bilden zu können. Ein Lager, das zwar durch die Sehnsucht nach einem eigenen Staat geeint wird, und das nun in der Wahl zusammengerechnet 50,7 Prozent der Stimmen erranggut drei Prozentpunkte mehr als in der letzten Wahl 2017. Aber der in vier Parteien aufgespaltene Unabhängigkeitsblock ist zugleich über den richtigen Weg zu einer „freien Republik Katalonien“ zerstritten.

Der interne Kampf tobt vor allem zwischen Aragonès‘ moderater Esquerra-Bewegung und der Hardliner-Partei „Junts per Catalunya“ (Zusammen für Katalonien), die mit einseitigen Schritten die Unabhängigkeit erzwingen will. Junts wird von dem Separatistenführer Carles Puigdemont gesteuert, der im Jahr 2017 vor Spaniens Justiz nach Belgien flüchtete. Bisher gab Junts in Katalonien den Ton an und stand der Regierung vor. In dieser Wahl schwand jedoch Puigdemonts Einfluss, Junts ist nun mit 20 Prozent der Stimmen nur noch zweitstärkste Kraft im Unabhängigkeitslager.

Separatisten-Regierung?

Mit einer schnellen Regierungsbildung ist in Katalonien vor diesem Hintergrund nicht zu rechnen. Auch ein Scheitern der schwierigen Gespräche über eine neue Separatistenregierung gilt als nicht ausgeschlossen. Der Dauerstreit zwischen Junts und Esquerra in der vergangenen Legislaturperiode, der auch die Neuwahl am vergangenen Sonntag provozierte, „gibt keinen Anlass zum Optimismus“, meint Jordi Juan, Chefredakteur von „La Vanguardia“, der größten Zeitung Kataloniens.

Chance für Sozialisten

Die mangelnde Einigkeit der Unabhängigkeitsbefürworter könnte vielleicht dann doch noch zur Chance für den Sozialisten Salvador Illa werden, der sich als heimlicher Wahlsieger fühlen kann. Der populäre Ex-Gesundheitsminister Spaniens bekam zwar mit 23 Prozent die meisten Stimmen und machte die Sozialisten zur stärksten Partei Kataloniens. Aber das nützt ihm momentan wenig, da er keine ausreichende Regierungsmehrheit zusammenbekommt.

Dialog mit den Separatisten

Die Sozialisten wollen sich trotzdem nicht geschlagen geben und setzen auf Dialog mit den Separatisten: Sie lehnen eine Abspaltung Kataloniens ab, auch weil in Spaniens Verfassung die Einheit der Nation verankert ist. Sie sind aber durchaus zu Zugeständnissen etwa in Sachen regionaler Selbstverwaltung bereit, um die seit Jahren schwelende Unabhängigkeitskrise zu entschärfen.

Auch die Rechtspopulisten feiern

Auch die rechtspopulistische Partei Vox hatte einen Grund zum Feiern. Die Rechtsaußenbewegung, die bisher nicht im Regionalparlament vertreten war, holte auf Anhieb acht Prozent. Sie wurde damit viertstärkste Partei und überrundete damit die bürgerlich-liberale Bewegung Ciudadanos (Bürger), die auf knapp sechs Prozent stürzte wie auch die traditionsreiche konservative Volkspartei, die nur auf knapp vier Prozent kam. Im nationalen Parlament in Madrid ist Vox bereits drittstärkste Fraktion. Das Rezept der Rechtspopulisten in Katalonien: Sie wollen die Separatistenparteien verbieten.