Zwei österreichische Delegationen, die sich vorige Woche unabhängig voneinander ein Bild von der Situation im bosnischen Nordosten machen wollten, bringen nicht nur erschütternde Eindrücke von der Lage der rund 9000 – meist asiatischen – Migranten zurück, sie erheben auch schwere Vorwürfe gegen die kroatischen Grenzbeamten. „Wir glauben bisher, dass Zurückschiebungen über die Grenze, so genannte Pushbacks, die Ausnahme seien“, erzählt die grüne Nationalratsabgeordnete Ewa Ernst-Dziedzic, „doch sie sind leider an der Tagesordnung.“ Dies berichteten ihr nicht nur die örtlichen Helfer sondern auch der Bürgermeister von Bihac, Suhret Fazlic, und der Premierminister des betroffenen Kantons Una-Sana, Mustafa Ruznic. Die Menschenrechtssprecherin der Grünen war vier Tage in dem Grenzgebiet zur Europäischen Union, in dem sich seit Monaten Migranten vor allem aus Afghanistan, Pakistan, Bangladesch und Syrien aufhalten.

So habe sie selbst erlebt, wie gerade ein junger Mann von der Grenze zurückgekehrt sei, dem die kroatischen Grenzbeamten das Telefon und die Schuhe abgenommen haben, damit er barfuß durch den Schnee zurückmarschieren musste. Er habe ihr dann gesagt: „Du kannst so oft wie du willst ,Asyl' schreien, es ignorieren dich alle“, erzählt die Nationalratsabgeordnete.

Tausende Pushback-Fälle

Ruznic berichtet von 7200 aufgezeichneten Pushback-Fällen allein im Jahr 2020, darunter aber einige Personen mit mehrfachen Versuchen. Im Lager spricht man zynisch vom „Game“, dem Spiel ihres Lebens, ob man es nun in die EU schaffe oder nicht. Der Bürgermeister von Bihac schätzt, dass die inoffizielle Zahl weit höher sein dürfte. Ernst-Dziezic spricht von einem „Skandal an unseren Außengrenzen“. Das UNHCR spricht von 800 Minderjährigen, die 2020 zurückgeschoben wurden. Selbst ganze Busse kamen mit Migranten aus Italien und Serbien zurück nach Bussen.

Die Lage sei „hochexplosiv“ sagt Ernst-Dziedzic und eine Mischung aus Verzweiflung und Wut. So hätte Anwohner mitbekommen, dass die Migranten gerade Essen ausgeteilt bekommen, seien selbst gekommen und hätte sich beschwert. Bosnien hätte selbst keine Mittel, um die eigene Bevölkerung zu ernähren. Europa lasse sie im Stich, hätten sie ihr gesagt.

Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung

Sowohl die Gruppe der grünen Politikerin als auch eine Gruppe der Caritas Steiermark, die gleich im Anschluss in der betroffenen Grenzregion war, berichten von unmenschlichen Verhältnissen. Viele Migranten würden sich – meist mit der Zustimmung der lokalen Bevölkerung – in Abrisshäusern oder Kriegsruinen verstecken. Es gäbe aber am Stadtrand auch unzählige provisorische Zeltbauten im Wald, berichten Anna Steiner von der Caritas gleichlautend mit Ernst-Dziedzic. Noch immer liegt in der Region Schnee und dort wo keiner liegt ist tiefer Morast.

Doch neben der Wut zeigten sich die Anwohner und auch die lokalen Behörden in ihrer Überforderung überaus hilfsbereit, betont Ernst-Dziedzic. So würden etwa Familien mit kleinen Kindern in einer festes Familienzentrum gebracht. Dadurch entstünden auch jene Bilder, die einerseits viele junge Männer in den Waldbauten zeigten und gleichzeitig Bilder aus der Region mit vielen Kindern in den Hilfsunterkünften.

Kroaten verhindern Untersuchungen

Wie sehr die kroatischen Medien sich gegen die Darstellung in der Öffentlichkeit wehren, zeigen Berichte aus Italien. Deren Medien berichteten, dass vier EU-Abgeordneten stundenlang von der kroatischen Polizei 150 Meter vor der bosnischen Grenze blockiert worden seien. Sie habe die Politiker daran hindern wollen, das Flüchtlingscamp an der Grenze zu Bosnien zu besuchen. Die kroatische Polizei beruft sich bei ihrem Handeln einerseits auf die aktuellen Schutzmaßnahmen und verweist gleichzeitig auf die noch immer vorhandenenMinen aus dem Jugoslawien-Krieg in dem Gebiet. Migranten werden aber offenbar nicht davon abgehalten, mehrfach diese Zonen zu durchschreiten.

Ernst-Dziedzic sagt, dass ihr die bosnischen Politiker einhellig berichteten, dass die finanzielle Akuthilfe aus Österreich noch nicht bei ihnen eingetroffen sei. Eine Million Euro hat die Bundesregierung im Dezember zur Verfügung gestellt.