"Eine Schnecke kriecht schneller, als die Gleichberechtigung der Schweiz vorwärtskommt!“, proklamierten die Frauen schon 1928. Und tatsächlich: In Afghanistan durften Frauen früher wählen als in der Schweiz. Es brauchte mehrere Anläufe, bis auch die Eidgenossen so weit waren, die Frauen als Teil ihrer Gesellschaft anzuerkennen.

Es war der 7. Februar vor 50 Jahren, dass sich die Männer in der Schweiz in einer Abstimmung dazu bekannten, dass auch Frauen das Wahl- und Stimmrecht bekommen sollen. Es war bereits der zweite Versuch, nachdem der erste Volksentscheid 1959 gescheitert war. 1971 stimmten schließlich zwei Drittel der Männer dafür. Die Schweiz gehört damit zu den letzten Ländern Europas, die das Frauenwahlrecht einführten, nur Portugal und Liechtenstein waren noch später dran. Warum es in der Schweiz so lange gedauert hat, erklärt Isabel Rohner, die zum Jubiläum mit der Journalistin Irène Schäppi das Buch „50 Jahre Frauenstimmrecht - 25 Frauen über Demokratie, Macht und Gleichberechtigung“ herausgegeben hat. „Die kurze Antwort: Die Männer wollten nicht, dass die Frauen wählen.“

Die längere Antwort hat mit der direkten Demokratie in der Schweiz zu tun: „Sehr viele Entscheidungen des Staates gehen vors Volk, und die Frauen gehörten damals nicht dazu. Schweizerinnen waren bis 1971 politisch rechtlos. Bis vor 50 Jahren machten Männer die Gesetze, Frauen hatten sich zu unterwerfen. Erst 1988 kam es in der Schweiz zur zivilrechtlichen Gleichberechtigung. Davor war die Ehe eine Art Leibeigenschaft“, erklärt die Frauenforscherin.

Publizistin und Forscherin Isabel Rohner
Publizistin und Forscherin Isabel Rohner © Gordon Welters

Rohner, Jahrgang 1979, wuchs in St. Gallen auf und lebt heute in Berlin. Die Publizistin und Feminismus-Forscherin stellt sich immer wieder die Frage, „was passiert wäre, wenn in den anderen Ländern ebenfalls das Wahlvolk, sprich die Männer, über das Frauenwahlrecht abzustimmen gehabt hätten.“ Bis wirklich alle Schweizerinnen in allen Kantonen wählen konnten, vergingen allerdings zwei weitere Jahrzehnte. Denn die zwei Kantone Appenzell - Innerrhoden, Außerrhoden - haben das bundesweite Wahlrecht einfach ignoriert. Rohner: „Sie haben sich auf ihre Tradition der Landsgemeinde zurückgezogen. Landsgemeinde ist die älteste Form der Demokratie, da stellt sich das Wahlvolk am Sonntag auf den Platz, hebt die Hand und stimmt ab.“

In Appenzell Innerrhoden ging dieser Konflikt bis vors Bundesgericht, das 1990 der Klage von Theresia Rohner - nicht mit Isabel Rohner verwandt - stattgab und das Frauenstimmrecht auch kantonal einführte. Vor dem historischen Entscheid hatte sich die Landsgemeinde zwischen 1970 und 1984 fünfmal gegen das kantonale Frauenstimmrecht ausgesprochen. „Die lange Verweigerung des Frauenstimmrechts ist ein sehr unrühmliches Kapitel in der Demokratie-Entwicklung der Schweiz“, sagt Isabel Rohner. Gleichzeitig zeige gerade dieses leidige Schweizer Thema, wie viel ein einzelner Mensch im Kampf für Gerechtigkeit bewirken könne.

Nichtsdestotrotz: Die Schweiz hat aufgeholt. Die letzte Parlamentswahl in der Schweiz war 2019, was mit einem Frauenanteil von 42 Prozent im Parlament endete. Damit rückte die Schweiz im Ranking vor Norwegen, Italien und Frankreich.