Sie kämpfen mit ungleichen Mitteln, doch mit harten Bandagen: Die Staatsmacht ließ Alexej Nawalny, kaum vom Giftanschlag genesen, unmittelbar nach seiner Rückkehr nach Russland einsperren. Und Nawalny selbst zündete am Mittwoch eine Informations-"Atombombe" und stellte Kreml-Chef Wladimir Putin mit dem Enthüllungsvideo über Putins mutmaßlichen Privat-Palast am Schwarzen Meer an den Pranger. Rund 60 Millionen (!) Aufrufe verzeichnete das Video mittlerweile. Der Kreml nennt die Korruptionsvorwürfe "Unsinn"; die Bürger scheinen sich dennoch dafür zu interessieren.

Einschüchterung

Für Samstag hat Nawalny jetzt also zu Massenprotesten aufgerufen. Wie viele werden ihm folgen? In rund 70 russischen Städten sind Demonstrationen geplant. Die Staatsmacht reagiert so scharf, dass man annehmen muss, sie hält Nawalny und seinen Aufruf für gefährlich: Mit massiver Einschüchterung geht sie gegen sein Team und gegen mögliche Protestierer vor. Nawalnys Pressesprecherin Kira Jarmysch wurde am Freitag festgenommen und zu neun Tagen Haft verurteilt. Mehrere Koordinatoren von Regionalvertretungen Nawalnys kamen ebenfalls in Gewahrsam.

Und auch sonst wächst der Druck: Universitäten drohten damit, Studenten wegen der Teilnahme an den Kundgebungen zu exmatrikulieren. Eltern könnten zur Rechenschaft gezogen werden, wenn ihre Kinder zu Protesten gingen, hieß es. Soziale Netzwerke wie Twitter, Facebook, VKontakte und TikTok erhielten Medien zufolge Aufforderungen, keine Protestaufrufe zu verbreiten. Es drohen hohe Strafen.

Ausrede?

Putins Sprecher Dmitri Peskow warnte vor der Teilnahme an nicht genehmigten Protesten - unter Verweis auf Corona. Menschenrechtler kritisieren dagegen, die Pandemie werde als Ausrede benutzt, das Recht auf Versammlungsfreiheit zu unterminieren.

Nawalny war vor zehn Jahren bekannt damit geworden, die Regierungspartei Einiges Russland als "Partei der Gauner und Diebe" zu bezeichnen. Der Begriff prägte damals die Massenproteste. Mittlerweile sind Demonstrationen selten geworden. Die Einschüchterung der Opposition zeigt Wirkung; auch deren Spaltung.

Ob die Rückkehr- und Proteststrategie Nawalnys aufgeht, steht in den Sternen - umso mehr, wo er selbst ja inhaftiert ist. Selbst regierungsunabhängige Meinungsforscher sehen eine Zustimmung für Nawalny von höchstens 17 Prozent - was allerdings angesichts der Diffamierungen Nawalnys in den Staatssendern wenig überrascht. Zugleich kämpft auch die Kreml-Partei immer noch gegen schlechte Umfragewerte. Das unabhängige Meinungsforschungsinstitut Lewada sieht sie bei 29 Prozent, das ist wenig in einem Land, in dem politische Kontrolle so viel zählt.

Im Herbst stehen Parlamentswahlen an. Obwohl es wenig wahrscheinlich ist, dass tatsächlich eine neue Protestwelle entsteht, beginnt Nawalny  eine Bedrohung für Putin zu sein, urteilen Beobachter in Moskau.

Dass der 44-Jährige vor der Wahl im September wieder aus dem Gefängnis freikommt, ist unwahrscheinlich.