Die Bilder von den schweren Ausschreitungen im US-Kapitol gehen seit gestern um die Welt. Auch die us-amerikanische Wahl-Grazerin Emily Cancienne, die seit 2015 in der Frauenfußball-Bundesliga für den SK Sturm spielt, bekam in den Abendstunden mit, was in ihrem Heimatland passiert. "Ich habe es online auf Facebook gesehen. Zu diesem Zeitpunkt waren es einfach Anhänger von Donald Trump, die sich versammelt hatten", sagt Cancienne. Wenig später bekam sie den Anruf ihrer Mutter aus den USA. "Sie haben das Kapitol gestürmt", waren die wenigen Worte, die die Mutter der Fußballerin über die Lippen brachte.

Bilder, die schockierten. Auch in der mehr als 7000 Kilometer entfernten steirischen Landeshauptstadt. "Was da passiert ist, ist unglaublich traurig", sagt die 28-Jährige. "Es war eine der wichtigsten Tage überhaupt. Und dann kommt dieser Angriff auf die Demokratie." Besonders schlimm für Cancienne: Ihre beiden Cousins arbeiten für die Kapitols-Polizei (United States Capitol Police) und waren während der Randale mittendrin. "Ihnen geht's gut", sagt sie erleichtert.

Ob eine derartige Ausnahmesituation vorhersehbar gewesen wäre? "So etwas nicht. Aber Trump hat die ganze Zeit gesagt, man hätte ihm den Wahlerfolg weggenommen. Und seine Anhänger haben somit wirklich geglaubt, ihnen wäre die Demokratie entzogen worden", meint die in Louisiana, einem "Trump-Staat", aufgewachsene Amerikanerin. In Schutz nehmen will die Befürworterin des Demokraten Joe Biden die republikanische Partie nicht, aber: "Ich bin mir sicher, dass jene Leute, die das Kapitol gestürmt haben, keine Republikaner sind. Sie repräsentieren nicht die republikanische Partei."

"Unverantwortlich von Trump, die Leute dazu aufzufordern"

Was Cancienne ebenso fassungslos macht, ist die Tatsache, dass Trump nach der Kundgebung dazu aufgerufen hat, zum Kapitol zu marschieren. "Das ist unverantwortlich!" Auch die Polizeipräsenz und deren Einschreiten lässt die Nummer 10 der Grazerinnen nachdenklich werden. "Wenn man es mit den Demonstrationen der 'Black Lives Matter'-Bewegung vergleicht, dann ist die Polizei damals mit ganz anderer Härte vorgegangen. Ich fürchte, es hätte diesmal noch mehr Verletzte gegeben, wenn dunkelhäutige Personen das Kapitol gestürmt hätten."

Dass die Amtszeit Trumps nun in immer größeren Schritten dem Ende zugeht, erleichtert Cancienne. "Ich bin sehr dankbar, dass der Wechsel an der Spitze bald vollzogen wird. Ich hoffe, Biden hat die Fähigkeiten, das Land zu vereinen. Momentan ist es sehr gespalten, die Leute wollen Antworten."

Auch, wenn die Sturm-Spielerin stolze Amerikanerin ist, so sagt sie doch: "Es tut mir weh, das zu sagen. Aber: Amerika ist nicht mehr das beste Land der Welt. Wenn man unternehmerisch tätig ist, hat man in den USA viele Möglichkeiten. Aber wenn man am Rande der Gesellschaft steht, ist die Situation sehr kritisch. Ich meine damit die Gehälter, das Gesundheitswesen, die Jobs. Das ist, finde ich, nicht fair." Allerdings sei es auch von Mensch zu Mensch verschieden. "Ich sage das als weiße Frau aus der Mittelklasse. Amerika kann ein wundervolles Land sein. Aber in Österreich hat man einfach ein größeres Sicherheitsnetz, wenn es einmal nicht so gut läuft."